21. Dezember
The Chieftains: The Bells of Dublin (RCA Victor, 1991)
Wie kann man den Klang der Glocken von einem Glockenturm bestmöglich einfangen? Richtig, man klettert mit Mikrofonen rauf. Brian Masterson, der Tontechniker von The Chieftains machte genau das. Er kletterte für die Aufnahmen zum Album "The Bells of Dublin" auf den Glockenturm von der Christchurch Cathedral in Dublin. Den gibt es bereits seit 1738, hat also viel gesehen, einen Tontechniker möglicherweise bis dahin allerdings noch nicht.
Die dort angebrachten zwölf Glocken werden jeden Sonntag zweimal geläutet und erklingen auch zu besonderen Anlässen wie der Amtseinführung des Präsidenten. Traditionell versammeln sich die Einwohner*innen von Dublin auf dem Christchurch Place, um das neue Jahr mit den Glocken einzuläuten. In diesem Fall läuten sie das Album "The Bells of Dublin" von The Chieftains ein, die mit jeder Menge Gastsänger*innen Weihnachtslieder zum Besten geben. Mit dabei sind The Renaissance Singers Belfast, Elvis Costello, Kate und Anna McGarrigle, Burgess Meredith, Marianne Faithfull, Nolwen Monjarret, The Voice Squad, Nanci Griffith, Jackson Browne, Rickie Lee Jones sowie das Northumbrian Pipe-Spiel von Kathryn Tickell und das Akkordeon von Brendan Begley.
Vollgepackt mit 24 Tracks bietet "The Bells of Dublin" eine wunderschöne Reise quer durch alle Farben der festlichen Jahreszeit von Weihnachten anhand eigens für diese CD geschriebene Lieder bis hin zu traditionellen Christmas Carols. Neben den zwei (damals) neuen Liedern von Elvis Costello ("St. Stephen’s Day Murders") und Jackson Browne ("The Rebel Jesus") zählt vor allem das Medley "The Wren! The Wren!" zum großen Highlight des Albums. The Wren ist ein Vogel und wird auf deutsch Zaunkönig genannt. Das Lied folgt der Tradition in Irland am 26.12. diesen Vogel einzufangen. "The wren, the wren, the king of all birds / On St. Stephen′s Day got caught in the furze / So it's up with the kettle and down with the pan give us a penny to burry the wren", heißt es in dem Lied. So einfach ist das aber halt nicht, den Zaunkönig zu fangen, da er ja nicht besonders groß ist, eher im Gegenteil, ist er doch der drittkleinste Vogel Europas, noch dazu besitzt er den Ruf der Schlauheit und List.
Der Name "The Wren" kommt zwar eigentlich aus dem altgermanischen (wrendo), wurde aber im Englischen ursprünglich "Winter Wren" (Winterkönig) genannt. Lange Zeit wurde The Wren "Schneekönig" genannt, da dieser Vogel im Winter lebhaft singt, wovon sich wiederum die Redensart "sich freuen wie ein Schneekönig" ableitet. Schließlich gibt es dann noch die Legende, dass der Heilige Stephanus ständig lauthals von The Wren begleitet wurde, als er sich vor seinen Feinden zu verstecken suchte. Daher wird u.a. in Irland am 26. Dezember (St. Stephen’s Day) durch das Jagen und Töten von Zaunkönigen an Stephanus, dem ersten Märtyrer des Christentums, erinnert, um die gefangenen Tiere danach in einer Prozession durch das Dorf oder die Stadt zu tragen.
Der Ablauf dieser Tradition wurde in verschiedenen weihnachtlichen Liedern verewigt, und bei The Chieftains klingt das wie eine ausgelassene Weihnachtsfeier im kleinen Rahmen, quasi Stubenmusik vom Feinsten. Die 24 Stücke sind insgesamt wohlfeil aufeinander abgestimmt und ergeben als Ganzes eine dementsprechend runde Angelegenheit mit wohltemperierten Gastauftritten. Ein Weihnachtsalbum, das für mich ganz oben im Ranking steht, schön, klug und berührend wie es ist. //
22. Dezember
Diverse Interpreten: Christmas Rules (CD; Hear Music/MPL, 2012) // Holidays Rule (Vinyl; Craft Recordings, 2022)
Die Kompilation "Christmas Rules" (CD) bzw. "Holidays Rule" (Vinyl) mit eigens für dieses Album eingespielten Liedern ist eine 17 Song starke Zusammenstellung auf Initiative von Paul McCartney mit unter anderem Rufus Wainwright feat. Sharon Van Etten, Calexico, fun., The Shins und Irma Thomas with The Preservation Hall Jazz Band. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Kompilation in einigen Jahren ein gesuchtes Album sein wird, alleine, weil etliche der darauf enthaltenen Versionen gängiger Klassiker und neuer(er) Songs unglaublich gut gelungen sind.
Bereits der Einstieg von fun. mit "Sleigh Ride" bereitet große Freude, bei dem man in den ersten 40 Sekunden die ganz großen Weihnachtsgefühle serviert bekommt. Verspielt und sinnlich gelingt der Truppe eine hervorragende Mischung aus Drum Programming und echtem Orchester. Es ist was es ist: fun. Interessant ist auch, was The Shins aus dem McCartney-Hit "Wonderful Christmastime“ aus dem Jahr 1979 macht, nämlich eine zeitgemäße Auffettung mit Stil, Lust und Freude. Sir Paul McCartney himself singt hingegen "The Christmas Song" (eh schon wissen, der Mel Tormé Klassiker, der in der Interpretation von Nat King Cole eine Steilvorlage bekam). Begleitet wird er dabei von Diana Krall am Piano und John Pizzarelli an der Gitarre. Die Chestnuts Roasting On An Open Fire hört man hier sehr genau und Sir Paul singt sich einmal mehr in die Herzen. Auf diesem hohen Niveau ist auch "Baby, It's Cold Outside" in der Version von Rufus Wainwright featuring Sharon Van Etten, begleitet von Andy Burton am Piano, angesiedelt. Die vom Arrangement her extreme Reduktion ist ein ungemeiner Gewinn fürs Allgemeinwohl und lässt die meisten Interpretationen dieses Songs (vielleicht mit Ausnahme von Dean Martins Version aus dem Jahr 1959) weit hinter sich.
Eine weitere Großtat auf der Kompilation kommt von der Band Black Prairie featuring Sallie Ford und deren Beitrag "(Everybody's Waitin' For) The Man With The Bag". Man denkt dabei an ein Shanty und hört irgendwie auch Weihnachten, man hört den extra special fun, eine Tanzmusik für Fortgeschrittene und eine Sängerin mit Verve und Esprit. "Green Grows The Holly" heißt es dann später bei Calexico, einem uralten Song, geschrieben von King Henry VIII aus England. Hat daraus Leonard Cohen dereinst die melodiöse Inspiration für "Who By Fire" erhalten? Gut möglich, aber in diesem Falle egal. Calexico gehen es sehr atmosphärisch an, lassen natürlich die Trompeten singen und somit alle frohlocken. Sehr hübsch ist auch "Blue Christmas" von den Heartless Bastards und "Santa, Bring My Baby Back To Me" von Eleanor Friedberger, sowie "That's What I Want For Christmas" von Holly Golightly geworden. Bei letztgenanntem haben wir die Situation, dass es schon sehr spät ist und das Tanzlokal schön langsam zur Sperrstunde aufruft. "Kiss me, that's what I want for Christmas" heißt es da, bevor wir alle rausgeschmissen werden. Aber keine Sorge, das Lokal nebenan ist noch offen, und dort hören wir Irma Thomas with The Preservation Hall Jazz Band ein Weihnachtslied von Louis Jordan (also ebenfalls ein uraltes) singen. "May Ev'ry Day Be Christmas", singt sie und dazu schwingt es wie früher in der Carnegie Hall, als der Jazz noch jung war.
Egal, welches Lied von diesem Album man sich hernimmt, jedes für sich ist ein Highlight, ein großes Vergnügen, ein musikalisches Fest für Musikliebhaber*innen. Ein Weihnachtsalbum, wie man es sich wünscht. Abwechslungsreich. Sinnlich. Originell. Einzig verwirrend ist, dass die Kompilation bei der Erstveröffentlichung auf CD "Christmas Rules" hieß und 10 Jahre später auf Vinyl mit identer Tracklist unter dem Titel "Holidays Rule" auf Red Translucent Vinyl bzw. Clear with Red/Green Splatter Vinyl wiederveröffentlicht wurde. //
23. Dezember
Emmylou Harris: Light of the Stable (Warner Bros., 1979)
Christmas time is comin’, die Snowflakes are falling und die fröhliche Leichtigkeit kehrt in die Stube. Die Vorfreude und der Glanz bestimmen die Sinne und der Gesang der Sängerin ist Engelsgleich. Die Sängerin: Emmylou Harris.
Die kristalline Reinheit ihrer Stimme zeugt von einer ehrlichen und geerdeten Menschlichkeit, als wäre sie dafür geboren ein großartiges Weihnachtsalbum zu veröffentlichen. Emmylou Harris, eine der wesentlichen Stimmen im Country-Genre realisierte im Jahr 1979 mit "Light of the Stable" ein 10-Song-starkes monumentales Weihnachtsalbum, also noch im strikt analogen Zeitalter, und das hört man den frühen Vinyl-Pressungen auch an.
Abgesehen davon liefert Emmylou Harris nicht nur prachtvolle Versionen bekannter Weihnachtsklassiker wie "The First Noel", "Little Drummer Boy" und "Silent Night", sondern auch stimmungsvolle Lieder jüngeren Datums wie die Rodney Crowell Komposition "Angel Eyes (Angel Eyes)", "Beautiful Star of Bethlehem" von Arthur Leroy Phipps oder der Titelsong, komponiert von Steven und Elizabeth Rhymer, den Emmylou Harris auf diesem Album als erste veröffentlichte. Wertvolle musikalische Unterstützung erhielt die Country-Sängerin aus ihrem Freundeskreis, den Kolleg*innen Linda Ronstadt, Dolly Parton, Neil Young, Ricky Scaggs, Brian Ahern, Albert Lee, James Burton, Glen D.Hardin, Willie Nelson uvm. Es ist ein Album, das trotz (oder wegen?) des Starensembles mit Unaufdringlichkeit die Herzen erreicht und das positive des Weihnachtsgedankens hervor zu streichen versteht.
Das Instrumentarium ist mit wenigen Ausnahmen akustisch ausgelegt: Banjo, Kastenzither (Auto Harp), Mandoline, Violine, Pedal Steel, Clavinet (ein analoges, elektro-mechanisches Tasteninstrument mit 60 Tasten) und akustische Gitarre bestimmen das Klangbild, angereichert mit dezent eingesetztem E-Bass und Schlagzeug und manchmal gesellt sich auch eine elektrische Gitarre dazu. Hinzu kommt, vielleicht sogar als größte Stärke des Albums, die Zeitlosigkeit der Arrangements. Es scheint, als ob "Light of the Stable" aus jeglichem Zeitgefüge gefallen ist. All das jedenfalls plus die Solo-Stimme von Emmylou Harris plus die Harmonie-Gesänge ergeben ein stilvolles Ganzes, das vollkommen von Kitsch befreit Freude vermittelt. Diese Freude erzeugt wiederum eine positive Energie und eine Idee von Humanismus, den die Weltgemeinde heute genauso braucht wie bei der Geburt dieses Albums. //
24. Dezember
Ella Fitzgerald: Ella Wishes You a Swinging Christmas (Verve Records, 1960)
Es gibt gute Weihnachtsalben, es gibt bekannte Weihnachtsalben, es gibt erfolgreiche Weihnachtsalben – und es gibt aus der Summe all dessen die Quintessenz aller Weihnachtsalben, "Ella Wishes You a Swinging Christmas" von Ella Fitzgerald.
The Great American Songbook ist der Kanon der wichtigsten und einflussreichsten Jazz Standards und populärer Lieder in den USA aus dem frühen 20. Jahrhundert von den 1930er bis 1960er Jahren. Darin enthalten sind auch einige Weihnachtslieder wie z.B. "White Christmas" (1942) von Irving Berlin, "Winter Wonderland" (1934) von Felix Bernard und Richard Bernhard Smith, "The Christmas Song" (1945) von Mel Tormé und Robert Wells, "Have Yourself a Merry Little Christmas" (1944) von Hugh Martin und Ralph Blane, "Santa Claus Is Coming to Town" (1934) von J. Fred Coots und Haven Gillespie, sowie "Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!" (1945) von Sammy Cahn und Jule Styne. Diese sechs Lieder finden sich auch in der Original-Tracklist von "Ella wishes you a Swinging Christmas", das zugleich das erste Weihnachtsalbum einer weiblichen Sängerin überhaupt war.
Die First Lady of Song, wie sie auch genannt wird, nahm für das Label Verve zwischen 1956 und 1964 acht Alben auf, die sich allesamt dem Songbook von bestimmten Komponisten widmeten. Zwischendrin entstand jenes epochale Weihnachtsalbum, das nicht nur Standards beinhaltete, sondern selbst auch Standards setzte. "So here is Ella for Christmas", heißt es auf der Plattenrückseite der Originalausgabe, "Twelve happy, winter songs, happily sung to happily suggest that yours be a Swinging Christmas – anytime – all the time!" Die oben erwähnten sechs Lieder aus dem Great American Songbook werden mit sechs weiteren festlichen, aber nicht religiösen, Weihnachtsliedern ergänzt, die allesamt ebenso als Klassiker angesehen werden können, auch wenn sie nicht zum Kanon zählen: "Jingle Bells" (1857) von James Lord Pierpont, "What Are You Doing New Year's Eve?" (1947) von Frank Loesser, "Sleigh Ride" (1950) von Leroy Anderson und Mitchell Parish, "Good Morning Blues" (1937) von Count Basie, Eddie Durham und Jimmy Rushing, "Rudolph, the Red-Nosed Reindeer" (1949) von Johnny Marks, sowie "Frosty the Snowman" (1950) von Steve Nelson und Jack Rollins.
Letztlich ist dieses Jazz-Weihnachtsalbum jenes, das alle anderen (Genre übergreifend) in den Schatten stellt, da es mit einer Leichtigkeit, Schönheit und Beschwingtheit daherkommt wie kein anderes, umgesetzt mit einer unfassbar exquisiten Phrasierung von Ella Fitzgerald. Die Band rund um den musikalischen Leiter Frank Denny De Vol swingt mit eben diesem gewissen leichten Touch durch die Lieder und bringt dabei die ganze Spielfreude zum Leuchten und Ella Fitzgerald zur gewohnten Höchstform an Gesangskunst. Ein legendäres Weihnachtsalbum, das heute noch so frisch klingt wie zur Erstveröffentlichung 1960 und jeden 24.12. mit einer friedlichen Stimmung ausstattet. Merry Christmas and a joyful 2025! //
Alle Texte: Manfred Horak
Foto: Pixabay by Van3ssa_
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