9. Dezember
Enya: And Winter Came… (Warner Bros. / Reprise, 2008)
Jetzt, wo die U2 in Wien wieder durchgehend fährt, kann man auch wieder mal die Band U2 erwähnen als the best-selling music act from Ireland overall. Da U2 bis dato allerdings kein Weihnachtsalbum veröffentlichte, wenden wir uns an dieser Stelle dem second-best-selling music act from Ireland overall zu, Eithne Pádraigín Ní Bhraonái.
Mit mehr als 80 Millionen verkauften Alben weltweit ist sie zugleich the best-selling solo artist aus Irland. Der Name sagt euch nichts? Ja, das kann durchaus sein, denn besser bekannt ist sie als Enya. 2008 veröffentlichte die im New Age und Celtic angesiedelte Sängerin und Multiinstrumentalistin ihr Weihnachtsalbum And Winter Came…, 12 Songs, die sich thematisch in erster Linie der Jahreszeit Winter widmen, wie ja auch bereits der Album-Titel suggeriert,
Weihnachtslieder allerdings sind freilich auch darauf vertreten, so u.a. White is in the winter night. Dieser Song wurde aus der Inspiration heraus geschrieben, ein 21st century Christmas carol zu schaffen. Im Song heißt es denn auch, “Green is in the mistletoe and red is in the holly ... Gold is in the candlelight and crimson in the embers“. Die Single-Auskopplung des Albums, "Trains and Winter rains", erweist sich wiederum als eine dunkle Winterreise ins Unbekannte, "and I think", so Enya, "everybody has taken this journey where it's time to leave home".
Von den 12 Songs sind nur zwei klassische Weihnachtslieder vertreten, "O Come, O Come, Emmanuel“, das Enya auf Latein singt, sowie "Oíche Chiúin (Chorale)“, die gälische Sprachversion von Stille Nacht, heilige Nacht. Insgesamt punkten die 12 Lieder mit ihrer atmosphärischen und bezaubernden Beschwörung irgendwo zwischen Winterlandschaft und Weihnachtsfreude, dementsprechend gut verkaufte sich das Album bis heute, nämlich über drei Millionen mal, und seit 2017 gibt es And Winter Came… von Enya auch auf Vinyl. //
10. Dezember
Bob Dylan: Christmas in the Heart (Columbia, 2009) am Tag der Menschenrechte
Weihnachtsalben mit deutlichem Bezug zu der Erklärung der Menschenrechte ausfindig zu machen, ist nicht ganz so einfach. "Christmas in the Heart" von Bob Dylan erfüllt diesen Anspruch.
Der Tag der Menschenrechte wird von der internationalen Gemeinschaft jedes Jahr am 10. Dezember begangen. Dieser Tag findet im Gedenken an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte statt, die im Jahr 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.
Darin heißt es im Artikel 25:
1. Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
2. Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.
Sämtliche Erlöse von "Christmas in the Heart" fließen zu 100 % – je nachdem, ob das Album in den USA, in Europa, oder anderswo gekauft wird – an Feeding America bzw. an zwei Charity Projekte der United Nations, die sich auf diesen Artikel 25 beziehen. Bob Dylan: "That the problem of hunger is ultimately solvable means we must each do what we can to help feed those who are suffering and support efforts to find long-term solutions. I'm honoured to partner with the World Food Programme and Crisis in their fight against hunger and homelessness“.
Aber ist es deswegen auch wert, sich das Album zuzulegen? Spenden kann man ja auch direkt. Musikalisch bietet das Album mit den 15 ausgewählten Liedern eine gelungene Mischung aus altbekannten Weihnachtsklassikern wie "Here Comes Santa Claus", "Winter Wonderland", "Silver Bells", und deren mehr, bis hin zu weniger vertrautem wie "Christmas Blues", "Must be Santa" und "Christmas Island“. Im Klangbild und in der Umsetzung wurde mit Bedacht der Idee des Weihnachtsliedes besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein weicher Sound, wie man es sonst nur von alten Weihnachtsliedaufnahmen eines Nat King Cole, Bing Crosby, Dean Martin und Frank Sinatra kennt. Hier setzt Bob Dylan an und geht gleichzeitig noch einen Schritt weiter, indem er zur Gänze die dicken Streichersätze weglässt, und nur auf seine Band, auf einen 7-köpfigen Chor und auf ein paar Glockenspiele, sowie auf seinem Crooning vertraut. Heraus kommt dadurch ein unpathetisches, homogenes Ganzes. Ein echtes Hörerlebnis.
Sehr erfreulich ist, dass einiges an Geld zusammengekommen sein dürfte, denn "Christmas in the Heart" erreichte die höchste Position der US-Billboard Holiday Album chart, sowie No. 5 in den Folk Album chart, No. 10 in den Rock Album chart und No. 23 in den overall album charts. Außerhalb der USA kam das Album ebenfalls gut an und erreichte in fast allen europäischen Charts Spitzenplatzierungen. “Christmas in the Heart“ wurde zudem 2023 auf Vinyl neu aufgelegt. //
11. Dezember
Götz Alsmann und die WDR Big Band: Winterwunderwelt (ROOF Music, 2006)
"Das beste Weihnachtsalbum seit vielen Jahren. Seit sehr vielen Jahren", schrieb ich in der Rezension 2006 über das zu diesem Zeitpunkt neu erschienene Album "Winterwunderwelt" von Götz Alsmann und die WDR Big Band.
Das Album gefiel nicht nur mir, sondern verkaufte sich unglaublich gut, bis heute über 100.000-mal, was bei einer deutschsprachigen Jazz-Weihnachtsplatte nicht häufig vorkommt. Mehr noch, es ist eine der meistverkauften Jazz-Weihnachtsplatten überhaupt. Daher wurde recht bald auch die Frage gestellt, wie es mit einer Winterwunderwelt Vol. 2 wäre? Gute Idee!, meinten die Verantwortlichen, aber – nun ja, die muss man nicht unbedingt kennen.
Die originale Winterwunderwelt dafür umso mehr und besser, denn wer hätte nämlich gedacht, dass die WDR Big Band einmal ein räudiges Weihnachtsalbum einspielt? Götz Alsmann, der Mann am Mikrofon, sorgt dafür, dass die Hochheiligkeit der Lieder nicht ganz so hochheilig rüberkommen und begibt sich mitunter in die Tradition vom guten alten Cab Calloway, dessen "Minnie the Moocher" hier eben zum Nikolaus mutiert. Mutig, mutig, und es geht voll auf. Rasanz in der Bläsersektion, Lockerheit im Umgang mit der Sprache, was wegfällt ist der Schein, übrig bleibt das Sein. Das Dasein einer Jazzbigband, die alle Stückerln spielt und so ziemlich alles an die Wand spielt, Weihnachten, Schnee und Winter betreffend.
Die Symbiose Götz Alsmann – WDR Big Band unter der Leitung von Ansgar Striepens, der auch zum Großteil für die herausragenden Arrangements verantwortlich ist, greift tief in die Schatzkiste, und holte dabei wahrlich wundersames hervor, angefangen von der wunderbaren Ballade "Die Frau vom Nikolaus" bis hin zum spaßigen "Hei, hei, hei, so eine Schneeballschlacht", vom beinahe schon mysteriös anmutenden "Kling Glöckchen Klingelingeling" bis zur Humoreske "Eine Muh, eine Mäh, eine Täterätätä" und deren mehr. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diesem Götz Alsmann in der Figur als Nikolaus bzw. Weihnachtsmann vertrauen kann bzw. will, wenn er von den Glocken, die süßer nie klingen singt, und wenn er um Einlass bittet, weil er ja der fromme Nikolaus vorgibt zu sein, oder uns einfach auffordert froh und munter zu sein. Aber genau diesen Kick macht die Stärke des Dargebotenen aus.
Ein ganz großer Wurf dieses Album. Auf "Winterwunderwelt" hören wir 13 Stücke – allesamt hervorragend abgestimmt im schwierigen Balanceakt: humorvoll-ironisch aber auf Dauer nicht nervend, weihnachtliche Stilmittel aber nicht dröge einlullend, ein Schuss Anarchie in der Seele aber immer Jazz in der Musik, glatt genug für die Familie und enorm kantenreich für den Rest. //
12. Dezember
Mackay & Manzanera feat. The Players: Christmas (Expression Records, 1989)
In der Adventszeit, also im vorweihnachtlichen Rausch- und Konsumdrang, wenn man eilends durch Supermärkte, Kaufhäuser und sonstige Shopping-Erlebnis-Zentren drängelt, ist es ratsam, sich Petersilie in die Ohren zu stopfen, damit das formatierte Weihnachtslied außen vor bleibt. Es geht natürlich auch anders. Ganz anders.
Zur Halbzeit daher ein kurzes Innehalten mit Andy Mackay (sax) und Phil Manzanera (guit), den zwei Gründungsmitgliedern von Roxy Music, die 1989 das Album "Christmas" veröffentlichten. Ein Album mit 26 Instrumental-Versionen von Christmas Carols, die zumeist aus dem 19. Jahrhundert stammen und erstmals 1833 im Liederbuch "Christmas Carols Ancient and Modern" von William B. Sandys abgedruckt wurden – Lieder wie "God Rest Ye Merry, Gentlemen" und "Hark! The Herald Angels Sing", aber auch Weihnachtslieder aus Neuengland von Edmund H. Sears und Richard S. Willis, sei es "Good King Wenceslas" und "It Came Upon the Midnight Clear". Zu hören ist außerdem das bekannteste und vermutlich weltweit am weitesten verbreitete Weihnachtslied "Stille Nacht, heilige Nacht", das ja ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert stammt.
All diese Lieder sind angenehm schlicht gehalten, frei von jedweder Kommerzialisierung, frei von jedweder Pop-Orientierung. Umgesetzt mit den rein akustischen Instrumenten Appalachian dulcimer (Bordunzither), Banjo, Mandoline, Knöpferlharmonika, Oboe, Geige, Cello und Maultrommel, glaubt man sich inmitten der viktorianischen Zeit oder man glaubt sich zu Weihnachten in einem Pub eine sehr entspannte und ausgelassene Band zu hören.
Phil Manzanera fungiert bei diesem Album einzig als Produzent. Rund um Andy Mackay versammelte er die für dieses Album zusammengewürfelte Band The Players, bestehend aus sieben Straßenmusiker*innen aus dem Folk- und Blues-Genre. Dieses Zusammenspiel funktionierte unglaublich gut und lassen diese Christmas Carols sehr spontan und frisch klingen. Lange Zeit war das Album so gut wie verschollen, doch seit 2023 gibt es eine Neuauflage auf CD und auf Vinyl. //