17. Dezember
Ann Malcolm and Cojazz: Scenes of Christmas (TCB Records, 2001)
Wenn man durch die musikalische Weihnachtslandschaft stapft, führt oft nur der Weg über abgelegene Schneestraßen zu Weihnachtsjazzalben, die ebenso rar wie ernst zu nehmen sind. Die US-amerikanische Sängerin Ann Malcolm begab sich mit dem Schweizer Trio Cojazz auf das Terrain von konsequenter Vermeidung kommerzieller Weihnachtsmusikregeln und realisierte mit "Scenes of Christmas" ein umso freudvolleres Weihnachtsalbum.
Im Begleitheft zur CD "Scenes of Christmas" wird Ann Malcolms Stimme als "absolut einzigartig und sofort identifizierbar" beschrieben, was nicht übertrieben ist, denn ihr feiner Gesang und dazu die individuelle Qualität des Trios Andy Scherrer (Piano), Isla Eckinger (Bass) und Peter Schmidlin (Schlagwerk), machen jeden der 12 Songs zu einem unaufdringlichen Großereignis, die CD zu etwas Besonderem. Hinzu kommt, dass die Musiker*innen es nicht dabei belassen, auf gängige Weihnachtsstandards zu setzen, sondern sie bringen auch weniger bekannte Weihnachtssongs zu Gehör.
Mit Leichtigkeit und Seriosität führt uns die Band durch mehr als ansprechende Titel wie "Caroling, Caroling", "I Heard the Bells on Christmas Day", "We Three Kings of Orient Are", bis hin zu bekannten Liedern in umwerfend kongenialen Versionen wie "Santa Claus is Coming to Town" und "Silent Night", die sich stilistisch auf die Jazzpianisten und -komponisten Ahmad Jamal und Fred Hersh beziehen. Zum Jazz kam die in Iowa (USA) geborene Ann Malcolm über ihre Großmutter Goldie, die als Pianistin und Organistin für Stummfilme gespielt hat. Ann Malcolm: "Die schwungvollen Melodien, die meine Großmutter spielte und die spirituellen Lieder, mit denen ich allsonntäglich den Gottesdienst begleitete, bilden das musikalische Fundament meiner Beziehung zur Jazzmusik." Neben Gesang studierte die Sängerin seit ihrem zehnten Lebensjahr auch Saxofon und dieses Instrument unterrichtet sie aktuell in Basel (Schweiz), während sie Vocal-Workshops in Bern gibt.
"Scenes of Christmas" erschien ausschließlich als CD in einer Einmalauflage im Jahr 2001 beim damals noch recht jungen Schweizer Montreux Jazz Label TCB (Abkürzung von Taking Care of Business) und wartet seither auf eine längst fällige Neuauflage. Bis es soweit ist, bleibt "Scenes of Christmas" von Ann Malcolm eine gesuchte Rarität für Weihnachtsjazzliebhaber*innen. //
18. Dezember
Attersee / Christine Jones: Weihnacht zu zweit (Yedermann Productions, 1983)
Manche Weihnachtsalben sind, oberflächlich gehört, eine skurrile Angelegenheit, die schnell in die Ecke gestellt werden und ohne Bedeutung bleiben, mitunter auch in einer regionalen Musikgeschichte. Ein Schicksal, das "Weihnacht zu zweit" von Attersee und Christine Jones ereilte.
Christian Ludwig Attersee, der (sich selbst) als "der große Einzelgänger der österreichischen Kunst der 60er Jahre und Gegenpol zum Wiener Aktionismus" sieht, und in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als Gründerfigur der 'Neuen österreichischen Malerei', begann bereits Lieder zu texten, bevor seine ersten Bilderzyklen entstanden. Das "Berliner Konzert" von 1978 war die erste Platte, auf der er (gemeinsam mit u.a. Günter Brus, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer) zu hören war. Weitere Veröffentlichungen folgten, so z.B. mit Gerhard Rühm das Album "Klaviertreiben" (1981) und jenes Weihnachtsalbum mit Christine Jones zwei Jahre später. Die 2017 verstorbene Fluxus-Künstlerin war keine ausschließliche Bluessängerin, denn sie konnte alles singen, wie ihr beschieden wurde, und gemeinsam mit Attersee entstand neben dem Weihnachtsalbum auch das entzückende Album "Äpfel der Liebe" (2011).
Ja, "Weihnacht zu zweit" ist ungewöhnlich. Das beginnt beim Gesang von Attersee, der ausschließlich frei improvisiert zu singen imstande ist. Das ungewöhnliche der darauf enthaltenen fünf Lieder beginnt möglicherweise aber bereits bei den Texten von Attersee. Ein Liedtext entstand im Jahr 1966, die vier anderen im Jahr 1969. Die Texte lagen also lange in der Schublade, bevor sie 1983 vertont wurden, dies mit den arrivierten Musikern Hans Salomon (Saxofon), Mischa Krausz (Bass), Robert Schönherr (Keyboards), Erwin Kienast (Synthesizer), Tommy Böröcz (Schlagzeug), Peter Schrammel (Keyboards) und Peter Paul Skrepek (Gitarre, Akkordeon, Chor).
Die Texte: "Das Christkind kommt, sein Augenlicht / zündet alle Kerzen an / und an meinem Weihnachtsbaum / hängen junge Kätzchen dra -an -an", oder: "Kling, kling, klinge-linge-ling / schellts Glöckchen am Butterbrot / wir essen gern zur Weihnachtszeit / A-alle Glöckchen tot". Und genau darin liegt auch der Reiz des Albums, da bekannte christliche Weihnachtslieder mit jazzigen und schlagerhaft-rockigen Texturen versehen sich mit der Attersee’schen Lyrik verbandelt und verwoben werden. Die Ernsthaftigkeit darf sich dabei hinten anstellen.
Und wem das zu schräg (oder sonst was) ist, dem sei die Plattenseite B empfohlen, um mit Attersee und Christine Jones in die "Himmlische Ruh" einzutauchen. Das Album wurde ursprünglich auf Vinyl veröffentlicht und 1992 auf CD neu aufgelegt. Beide Varianten sind auf Discogs erhältlich. //
19. Dezember
Steve Tyrell: This Time of the Year (Columbia Records, 2002)
Der Swing-Sound einer Big Band ist in Kombination mit amerikanischen Weihnachtsstandards fast schon eine aufgelegte Sache, bei der nicht wirklich viel schief gehen kann. Die großen Orchester aus der Frühzeit des Jazz bewiesen es hinlänglich, nachfolgende Big-Band-Generationen bildeten da keine Ausnahme. Das kann auch dann klappen, wenn für ein spezielles Album Studio-Musiker*innen zu einer Big Band zusammengetrommelt werden, wie im Falle von "This Time of the Year" von Steve Tyrell.
Der Jazz-Sänger Steve Tyrell formierte um sich ein klassisches Jazz-Quartett mit Randy Kerber bzw. Elliot Douglass (jeweils Piano), Bob Mann (Guitar), Bob Magnusson bzw. Chuck Berghoffer (jeweils Bass), John Guerin (Drums) und erweiterte dieses Fundament mit einem Klangkörper aus 10-köpfiger Horn Section und 8-köpfiger String Section. Mit Clark Terry (Trompete), "Toots" Thielemans (Harmonica) und Plas Johnson (Saxofon) holte er sich außerdem noch drei Jazz-Legenden für diverse Soli ins Weihnachtsstudio. Heraus kam ein erkleckliches Dutzend von zwar gängigen Weihnachtsliedern, umgesetzt allerdings in einer ungemein freudvollen und stets von Neuem gerne gehörten Interpretationen. Das alles klingt sehr frisch und munter, dargebracht in hoher Spieleleganz und Spaß.
Die Tracklist ist gewissermaßen das Who-is-Who der amerikanischen Weihnachtsstandards und beginnt mit "Santa Claus Is Coming To Town", der uns geradewegs ins "Winter Wonderland" führt und zwar, genau, mit "Rudolph The Red-Nosed Reindeer", um dort "The Christmas Song" abzuliefern. Nach der Aufforderung "Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!", am Besten noch "This Time Of The Year", findet Steve Tyrell, dass weder "Have Yourself A Merry Little Christmas" noch "I'll Be Home For Christmas" auf dem Album fehlen darf, ebensowenig "The Christmas Blues" und schon gar nicht "Merry Christmas Baby". Die auf fast jedem Weihnachtsalbum gestellte Frage "What Are You Doing New Year's Eve?" findet sich hier ebenfalls wieder, so auch die Feststellung "Here Comes Santa Claus".
Wie erwähnt, es gibt, was die Songs anbelangt, keine Überraschungen auf diesem Weihnachtsalbum von Steve Tyrell. Die Überraschung liegt vielmehr darin, wie die Lieder performt werden. Es ist nicht die Sentimentalität an irgendein Gestern, das in den Interpretationen liegt, sondern die ewige Jugend in den Songs. //
20. Dezember
The Brian Setzer Orchestra: Dig That Crazy Christmas (Surfdog Records, 2005)
Klassischer Rockabilly gekreuzt mit klassischen Swing-Arrangements und großartigen Bläsersätzen ist ein Markenzeichen vom Brian Setzer Orchestra rund um den Namensgeber mit der Dauertolle, der beste Rockabilly-Gitarrist aller Zeiten an der Gretsch-Gitarre, Mr. Stray Cats Brian Setzer.
Sein erstes Weihnachtsalbum "Boogie Woogie Christmas" (2002) bescherte ihm für seine Darbietung der "Nutcracker Suite" prompt eine Grammy Nominierung für die Best Pop Instrumental Performance, mit dem Album "Dig That Crazy Christmas" legte er ein ordentliches Schäuferl Weihnachtsrockabilly nach. "Hier wird gerockt, gerollt, geswingt, gegroovt, gebopt, getwängt, gejingelt, gejangelt, geklingelt, gesäuselt, gejazzt was das Zeug hält", wie es Olaf Oetken auf rocktimes.info so schön beschrieb. Das zweite Weihnachtsalbum von Brian Setzer war nicht sein letztes – dieses Kapitel wird eventuell noch einige Male fortgesetzt – "Christmas Comes Alive!" (2010) und "Rockin' Rudolph" (2015) waren ebenso perfekt, um jede Weihnachtsparty in Schwung zu bringen aufgrund der Interpretationen bekannter amerikanischer Weihnachtslieder im unverwechselbaren, tanzbaren und mitreißenden Retro-Swing-Sound seines Orchesters.
Setzers erste zwei Weihnachtsalben "Boogie Woogie Christmas“ und "Dig That Crazy Christmas" sowie die Best Of Collection "Christmas Rocks" (2008) haben sich insgesamt 750.000 Mal verkauft, und vor allem sein "Dig That Crazy Christmas" ist qualitativ hochwertig und energiegeladen wie kaum ein anderes Weihnachtsalbum, das ich kenne. Es ist zudem jenes Album, das auch seitens der Mascot Label Group als 2000-Stück-limitiertes 180g Splatter Rot/Weiß Vinyl im Gatefold Sleeve besonders gewürdigt wurde. Letzten Endes sind es nur Kleinigkeiten, das "Dig That Crazy Christmas" über die anderen hebt, vielleicht, weil hier mit Rockabilly-Rhythmen kongenial kombiniert der Glenn Miller-Klassiker "In The Mood" weihnachtlich verpackt wurde, vielleicht, weil "Peggy Sue" von Buddy Holly Eingang im Engelschor jubilierenden "Angels We Have Heard On High“ fand, vielleicht, weil eben neben diesen zwei Beispielen weitere Zitate mit erstaunlicher Leichtigkeit einfließen konnten, wie auch immer es Brian Setzer schaffte, dabei nie den musikalischen Blick auf Weihnachten zu verlieren.
"Dig That Crazy Christmas" ist ein ungemein abwechslungsreiches und grooviges Spektakel, das keine Wünsche offen lässt, und mit "Hey Santa!" und "Santa Drives A Hot Rod" sind sogar nicht nur mehr oder weniger bekannte Weihnachtslieder vertreten, sondern auch zwei Brian Setzer Originale. Dringende Hörempfehlung! //