Songs of a Lost World The Cure Rezension

Wenn The Cure rund um Mastermind Robert Smith nach 16 Jahren Album-Abstinenz Songs of a Lost World veröffentlicht, dann sorgt das zurecht für vermehrte Aufmerksamkeit.

Die Stromgitarren sind eingestöpselt und in gewohnter Lautstärke aufgedreht. Elegie macht sich breit und verspricht, bevor noch der Gesang einsetzt, Hoffnungslosigkeit. Zugleich bietet die Klangfläche bereits beim Einstieg in Songs of a Lost World Raum für ein Momentum der Erinnerung. Eine Erinnerung an die Genealogie und Evolution einer Band, die 1976, inmitten der Hoch-Zeit von Punk seine ersten Spuren legte. Malice hieß die Band, mitgegründet vom damals 17-jährigen Robert Smith, etwas später Namensänderung in Easy Cure und schließlich blieb es beim Bandnamen The Cure. Die Band sollte sich als wegweisend für viele andere Bands erweisen.

Was war das Besondere an The Cure?

Songs of a Lost World The Cure Killing an ArabSongs of a Lost World The Cure Debüt-Album

Alleine in Gedanken versunken spült der düstere Sound des ersten Songs of a Lost World weitere Bruchstücke hoch und die Frage nach der Besonderheit taucht auf. Was war das Besondere an The Cure? Die toupierten Haare und der mit Lippenstift verzierte Mund von Robert Smith alleine wird es ja wohl nicht gewesen sein. Die englische Musikpresse attestierte der Band die musikalischen Weichensteller der 1980er Jahre zu sein. Darüber, ob diese Aussage zutreffend ist, kann freilich genüßlich diskutiert werden, aber, ja, The Cure hatte von Beginn an Gewicht, beginnend mit ihrer ersten Singles-Veröffentlichung "Killing an Arab". Der Liedtext bezog sich auf den Roman "Der Fremde" von Albert Camus, der sich aus seiner essayistisch vorgestellten "Philosophie des Absurden" in literarischer Form entwickelte und die Geschichte des männlichen Protagonisten Meursault erzählt, der einen Araber aus Notwehr mit einem Pistolenschuss tötete, unmittelbar darauf ohne besonderen Grund vier weitere Schüsse auf den Leichnam abgab und dadurch zum Tode verurteilt wurde. Nach diesem musikalischen Einstand, bei dem die Band teils starken Anfeindungen ausgesetzt war, folgte 1979 das Debüt-Album "Three Imaginary Boys" mit ein Dutzend kaum 3-Minuten-lange Songs, das – obwohl in der ursprünglichen Kritik von Rolling Stone nur lau bewertet – im Rolling-Stone-Ranking der "500 besten Alben aller Zeiten" zu finden ist. Auf dem Album-Cover sieht man die drei Jungs Robert Smith (Gesang, Gitarre), Michael Dempsey (Bass) und Lol Tolhurst (Schlagzeug), dargestellt als Kühlschrank, Staubsauger, Stehlampe. Robert Smith war mit dieser Veröffentlichung alles andere als glücklich, da das Label alles bestimmte – von der Auswahl der Lieder bis hin zum Artwork. Er hat daraus gelernt und seither die komplette kreative Kontrolle für sich beanstandet (und auch erhalten).

Positive Lebenseinstellung klingt anders

Songs of a Lost World The Cure Seventeen SecondsSongs of a Lost World The Cure Faith Albumcover

Ein neuer Bassist nahm den Platz ein, nämlich Simon Gallup, der auf insgesamt 12 von 14 Cure-Alben den Bass spielt. In kurzer Zeit folgten drei weitere LPs, oft nur mit geringem Budget in wenigen Tagen aufgenommen, "Seventeen Seconds" (1980), "Faith" (1981) und "Pornography" (1982). Letzteres ihr erstes meisterliches Schlüsselwerk, todesdüster, qualvoll. Robert Smith litt in dieser Zeit an schwerer Depression, wie er öffentlich bekundete: "I had two choices at the time, which were either completely giving in [committing suicide] or making a record of it and getting it out of me". Und so hört man auch gleich in der Eingangszeile im Eröffnungslied "One Hundred Years" Robert Smith singen, "It doesn’t matter if we all die", um später im Lied zu ergänzen, "Over and over, we die one after the other". Eine positive Lebenseinstellung klingt freilich anders, die britische Musikpresse konnte damit wenig anfangen, das Publikum dafür umso mehr, und spätestens mit diesem vierten The Cure Album "Pornography" wurden sie kultisch verehrt und hatten wie nebenher ihren typischen Sound gefunden. Dazu beigetragen hat sicherlich auch der Nebenerwerb von Robert Smith als Gitarrist bei Siouxsie and the Banshees. Gefunden wurde ein Sound, der an Neurasthenie erinnert, nach einer geistigen Erschöpfung nach geringer körperlicher Anstrengung. "Pornography" fordert intellektuell, textlich wie musikalisch, in all seiner psychedelischen Abstrahierung und lyrischen Manifestation depressiver Stimmungsmuster. Robert Smith entschied sich zum Glück für das Leben und förderte weiterhin seine Kreativität mit neuen Songs.

Songs of a Lost World The Cure Pornography AlbumcoverSongs of a Lost World The Cure The Top Albumcover

Gefällige Düsternis

Das schwache Album "The Top" (1984), erstmals mit David M. Allen als Produzent, führte den wehmütigen Nebel der musikalischen Stoßrichtung fort und zementierte den Status von The Cure als Gothic-Band, was eine zunehmend große Anhängerschar zur Folge hatte, "eine Armee der Beziehungslosen, Desillusionierten und verlorenen Träumer der Vorstädte", wie es der Musikjournalist Simon Reynolds in seinem Buch über Postpunk formulierte. Mit dem kongenialen Nachfolgealbum "The Head on the Door" (1985) erweiterte die Band ihren Musikhorizont und das Personal. Mit Boris Williams setzte sich ein neuer Bandmusiker hinters Schlagzeug, der bisherige, Lol Tolhurst wechselte zu den Keyboards und neu war zudem Porl Thompson an Gitarre und Keyboards. Mit diesem Album gelang es dem nunmehrigen Quintett die Düsternis mit einem fast schon gefälligen und in jedem Fall ohrwurmartigen Pop zu verbandeln, allen voran in den Songs "In Between Days" und "Close to Me".

Geheimnisumwobene Psychedelia, mitreißende Pop-Songs und Rückkehr in die Tristesse

Songs of a Lost World The Cure The Head on the Door AlbumcoverSongs of a Lost World The Cure Kiss me kiss me kiss meSongs of a Lost World the Cure Disintegration
Mit all den Erkenntnissen der ersten sechs Alben schuf The Cure mit ihren beiden nächsten Alben zwei unbedingte Favourites, bzw. das, was man Zenith einer Band nennen könnte. Als die 1980er Jahre Richtung Ende zustrebte entstand zunächst das Doppel-Album "Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me" (1987), das am Plattencover den lippenstiftverschmierten Mund von Robert Smith im mikroskopischen Detail zeigt. Geheimnisumwobene Psychedelia und mitreißender Pop lassen sämtliche Zeitgrenzen verschwimmen. Auf dem Album befindet sich auch "the best pop song the Cure have ever done", wie Robert Smith später einmal sagte, nämlich "Just Like Heaven", ihr erster Top-40-Hit in den US-Charts, was den nachhaltigen Durchbruch von The Cure in den USA bedeutete. Das Album selbst entwickelte sich ebenfalls zum weltweiten Millionenseller und gehört unabhängig davon definitiv in jede gut geführte Plattensammlung. Selbiges gilt auch für das am Ende der Dekade veröffentlichte Nachfolgealbum "Disintegration" (1989), das allgemein als das essenziellste und beste Album von The Cure gilt. Die Musikpresse und die weiterhin zahlenmäßig zunehmenden Fans bejubelten das Album ob der Rückkehr in die Tristesse, in die Finsternis. Anders als bei "Pornography" war diese dunkle musikalische Umsetzung allerdings nicht einer erneuten Depression von Robert Smith geschuldet, was man auch in der ästhetischen Umsetzung in den Liedern hört. Bei Live-Konzerten wuchs The Cure zum Sextett an. Der neue Tour-Keyboarder Roger O'Donnell (der bis dahin mit The Psychedelic Furs unterwegs war) kommentierte die Atmosphäre während der Studiosessions 2009 folgendermaßen: "I remember very clearly laughing and joking and fooling around in the control room while Robert [Smith; Anm.] was singing 'Disintegration', and then all of us trying to be serious when he came in to listen back.[...] It was never a serious atmosphere in the studio, and when you think about the album and how dark it is, I'm sure people think we were sitting around slitting our wrists with candles and chains hanging from the walls."

Die sehr breite Masse lernt The Cure kennen

Songs of a Lost World The Cure Wish AlbumcoverNach diesem von Finsternis und Untergang beseelten Album dauerte es knappe drei Jahre, bis The Cure in praktisch identer Besetzung ein weiteres Album vorlegte, und es sollte sich zumindest in kommerzieller Hinsicht als fast ebenbürtig erweisen. "Wish" (1992) folgte diesmal eher dem Sonnenschein und mit der Single "Friday I'm in Love" wurde der Öffentlichkeit erstmals jenes Lied vorgestellt, das (neben "Boys don't Cry") bis heute die breite Masse kennt, die sehr breite Masse. Das Lied bezeichnete Robert Smith in einem Interview als "a throw your hands in the air, let's get happy kind of record", sowie als "a very naïve, happy type of pop song." Dem britischen Musikmagazin MOJO erklärte er außerdem, dass es für ihn immer paradox war, dass den Leuten "in die Kehle gedrückt wurde" The Cure sei eine Gothic-Band. "Because", so Robert Smith weiter, "to the general public, we're not. To taxi drivers, I'm the bloke that sings 'Friday I'm in Love'. I'm not the bloke who sings 'Shake Dog Shake' or 'One Hundred Years’." Das nennt man dann wohl Jammern auf hohem Niveau. Von da an entwickelte die Band einen 4-Jahres-Rhythmus zur Veröffentlichung eines Studio-Albums mit neuen Liedern.

 

Songs of a Lost World The Cure Wild Mood Swings AlbumcoverDas lang erwartete "Wild Mood Swings" (1996) erwies sich als ihr zweites schwaches Album und bedeutete eine Zäsur auf mehreren Ebenen. Je länger die 1990er Jahre andauerten, desto weniger Vinyl-Produktionen gab es. Computer und Musiksoftware wie Cubase ersetzten analoge Gerätschaften. Die Spieldauer eines Albums wurde deutlich länger. Anstelle knapp 40 Minuten gab es doppelt so viel Platz auf einer CD, was wiederum bedeutete, dass allgemein die Qualität der Alben sank, da auch Füller vermehrt draufgepackt wurden. "Wild Mood Swings" war da keine Ausnahme, vielleicht auch, weil erstmals ein Cure-Album nicht von David M. Allen produziert wurde, der immerhin seit 1983 deren Produzent war. Zudem gab es auch personelle Änderungen. Anstelle von Boris Williams stieß Jason Cooper als neuer Schlagzeuger zur Band und anstelle von Porl Thompson griff Perry Bamonte in die Gitarrensaiten. Während ein ziemlich gruseliger Spielzeugclown vom Album-Cover blickte, kam das Album selbst fast schon wie eine Compilation mit scheinbar wahllos zusammengewürfelten Songs daher, stilistisch angesiedelt von Jangle-Pop bis Jazz bis Mariachi. Die Fröhlichkeit und die Dunkelheit wechselten dabei einander ab ohne sich zu berühren. Die Folge: Die Verkaufszahlen sanken dramatisch und dieser Abwärts-Trend setzte sich von da an fort.

Die größte Konstante bei The Cure war mittlerweile der 4-Jahres-Rhythmus

Songs of a Lost World The Cure Bloodflowers AlbumcoverSongs of a Lost World The Cure AlbumcoverSongs of a Lost World 413 Dream Albumcover
Das 20. Jahrhundert endete ohne ein weiteres Cure-Album, aber am 02.02.2000 war es schließlich dann doch wieder so weit, The Cure veröffentlichte Studioalbum Nr. 11 namens "Bloodflowers". Die Erwartungen waren nicht ganz so hoch, aber The Cure fand wieder zur gewohnten Stärke zurück. Robert Smith kritisierte im Nachhinein das Vorgänger-Album: "I find that seventy minutes of one artist is, almost without exception, too much." Dennoch gab es gemischte Gefühle, vor allem bei der Musikpresse. Die Palette an Ausdruckskunst reichte von "one of the band's most affecting works“ bis "Goth-Awful!" Robert Smith entschied sich entgegen den Willen der Plattenfirma keine Single zu veröffentlichen, ein Song wurde dennoch sehr prominent, nämlich "Watching Me Fall", da dieser im Abspann vom Kinofilm "American Psycho" zu hören war. Abgesehen davon ist "Bloodflowers" ein echtes Highlight in der Cure-Diskografie und ein Must-have, wenn man nicht gerade an einer schlimmen Form von Cure-Allergie leidet. Erneut musste man vier Jahre warten, ehe das das titellose zwölfte Cure-Album erschien. Verschiedene Zeichnungen von einem "guten" und von einem "bösen" Traum, gezeichnet von Smith’s Neffen und Nichten, zierten das Cover. Das auffällige Cover war gut, die Musik noch besser. 20 Lieder wurden eingespielt, veröffentlicht wurde nicht alles. Je nachdem, welche Pressung man kaufte, erhielt man unterschiedlich viele Lieder (Minimum 11, Maximum 15). "Three of the five being left off are the most depressing songs we've ever done", erklärte Robert Smith gegenüber MOJO. Die größte Konstante bei The Cure war mittlerweile der 4-Jahres-Rhythmus und so erschien 2008 das 13. Studio-Album "4:13 Dream", eine Art Abgesang und das bei weitem schwächste Album der Band. Dennoch: Von den 33 eingespielten Liedern fanden 13 den Weg aufs Album, das die Musikpresse als "one of the best Cure albums in years" bezeichnete, was freilich gar nichts aussagt. Und mit dieser Nicht-Aussage begeben wir uns – 4x4 Jahre später – hurtig in die Gegenwart, zum 14. Studio-Album, zu "Songs of a Lost World" von Robert Smith (vocals, guitar, six-string bass, keyboards) und mit Simon Gallup (bass), Jason Cooper (drums, percussion), Roger O’Donnell (keyboards) und Reeves Gabrels (guitar). Letzt Genannter wird einigen als musikalischer Wegbegleiter von David Bowie ein Begriff sein.

Die Gegenwart mit Songs of a Lost World

the Cure Songs of a Lost World AlbumCoverRobert Smith schrieb alle acht Songs of a Lost World im Alleingang, außerdem ist er für sämtliche Arrangements verantwortlich, produzierte und mischte das Album und nicht zuletzt geht auch die Idee zum Album-Cover auf seine toupierten Haare. Das Album-Cover zeigt eine Skulptur des slowenischen Künstlers Janez Pirnat (1932-2021), fotografiert von Robert Smith, und diese "Bagatelle", wie das Kunstwerk aus dem Jahr 1975 heißt, passt sehr gut zum Album-Titel und zur Stimmung der acht Lieder. Das Intro vom ersten Song "Alone" verfliegt mittlerweile und wir hören die vertraute Gesangstimme von Robert Smith. "Flat songs that sounded redundant with endless introductions", befindet das Musikmagazin Rolling Stone. Diese Unbehaglichkeit "endloser Intros" gegenüber ist möglicherweise einem verstärkten TikTok Konsum geschuldet. Da jedenfalls, wo andere Songs oftmals bereits am Ende angelangt sind, beginnt Robert Smith erst zu singen. Dieses Konzept zieht sich im wesentlichen durchs ganze Album.

Track #1: Alone

Die erste Songzeile des ersten Liedes eines Cure-Albums war von jeher wie ein starker erster Satz eines Romans angelegt. Auf "Alone" singt Robert Smith, "This is the end of every song that we sing / The fire burned out to ash, and the stars grown dim with tears". Etwas später im Opener heißt es dann auch noch, "And the birds falling out of our skies / And the words falling out of our minds", sowie "Hopes and dreams are gone / The end of every song", und damit weiß man längst schon, dass man sich inmitten eines großen Cure-Songs befindet und gleichzeitig beim viktorianischen Dichter Ernest Dowson, der in seinem Gedicht "Dregs" (dt. Bodensatz) jenen Vers schmiedete, der Robert Smith als Inspiration für "Alone" diente: "The fire is out", dichtete Ernest Dowson, "and spent the warmth thereof, / (This is the end of every song man sings!) / The golden wine is drunk, the dregs remain, / Bitter as wormwood and as salt as pain;" Verlust, Reue und die Unvermeidlichkeit des Todes, verpackt mit all seinen Erfahrungen des Lebens in einem Lied, die allesamt nur noch wie Reste der Erinnerungen daherkommen. Ein Text, der den Pessimismus und die Desillusion der Gegenwart reflektiert, den Geist der Zeit. Jeglichem Zeitgeist fern ist die musikalische Ausrichtung von "Alone". Eine getragene Leere, von den diversen Instrumenten in Energie und Wucht transformiert, entfaltet eine Trancestruktur, die in ihrer Einsamkeit eine fatale Ewigkeit vermittelt.

Track #2: And nothing is forever

the Cure Songs of a Lost World auf glow VinylDie dunkle Seele ist ein bestimmter Zustand der prinzipiellen Trostlosigkeit und inneren Leere. Weltschmerz, immer das Ende vor Augen. "I know, I know that my world is grown old / But it really doesn't matter / If you say we'll be together / If you promise you'll be with me in the end", lamentiert Robert Smith im zweiten Song am Album, "And nothing is forever". Das Lied beginnt zärtlich. Piano und Streicher vermitteln ein Gefühl von Sicherheit und Wärme. Nach einer Minute steigt die Band ein, das Lied bekommt eine gotische Kontur, das Schlagzeug hebt die Dramatik, lässt alles anschwellen, bis sich nach fast drei Minuten Robert Smith entschließt, den Text mit seiner unverwechselbaren dynamischen Elegie vorzutragen. Ein elementares Lied im Oeuvre dieser großen Band.

Track #3: A Fragile Thing

Auf diesem Niveau befindet sich auch das dritte Lied des Albums, "A Fragile Thing". Ein wenig erheiternder Dialog im Pop-Modus, ausbalancierend zwischen Schwermut und Leichtigkeit, eingebettet in einer schönen Melodie. Ein Kunstwerk. "I could die tonight of a broken heart / This loneliness has changed me / We have been too far apart", heißt es darin an einer Stelle. Nicht nur die Welt ist verloren, sondern auch das Herz. Von dieser beinahe schon leichtfüßig dargebrachten persönlichen Malaise folgt mit dem "Warsong" die große Schwere.

Track #4 Warsong

Ein einziges großes Missverständnis wird hier im Text angeprangert, die Musik dröhnt hochgeschaukelt zu einem großen Geschütz. Die Fernlenkwaffen, die auf uns zielen beruhen auf dem Hass für alles was wir machen. "I want your death / You want my life", lautet die unmissverständliche Devise. Ausweg gibt es keinen. "No way for us / To find a way to peace", denn auch wenn wir einiges bedauern, letzten Endes ist es doch so, dass wir Menschen geboren werden, um Krieg zu führen, wie der Sänger uns mitteilt, "For we are born to war". Die Gitarren bleiben die gesamte Länge hindurch laut eingestimmt, das Schlagzeug wuchtet sich durch das Lied, als gäbe es tatsächlich nur ein bitteres Ende und der Bass hält alles wie eine Widerstandsbewegung aus der Tiefe der Zeiten zusammen.

Track #5: Drone:Nodrone

The Cure Songs of a Lost World auf white VinylNach diesen vier mächtigen Liedern der ersten Plattenseite auf Vinyl, folgt auf der zweiten Plattenseite mit "Drone:Nodrone" ein Song, der das Chaos der frühen Band-Phase neu auslebt, die existenzielle Unsicherheit und die Suche nach einer Identität in dieser stets von Chaos geprägten Welt. Musikalisch wird ein ikonischer Sound im Post-Punk-Modus mit Synth-Flächen geformt. Die Menge an Energie, die freigesetzt wird, hebt sich deutlich von allen anderen Liedern des Albums ab. Auch wenn der Song für sich alleine sehr gut dasteht, ihn wegzulassen, hätte dem Album konzeptuell nicht geschadet.

Track #6: I can never say goodbye

Ganz anders verhält es sich dann wieder mit den letzten drei Liedern, die wir noch zu hören bekommen. "I can never say goodbye" ist eines jener Cure-Lieder, die einem von Beginn an nicht mehr losläßt. Donner und Regen. Eine sanfte Pianofigur. Die restliche Band setzt ein, kraftvoll, schwermütig, einen beinah schon hymnischen Charakter vermittelnd, und nach zwei Minuten dann auch der Gesang. Die Farblosigkeit des Novembers bringt nichts Gutes, im Gegenteil, "Something wicked this way comes / To steal away my brother's life".

Track #7: All I Ever Am

Das vorletzte Lied, "All I Ever Am", ist das wohl am meisten nach der Bandgeschichte klingende Lied, als ob The Cure The Cure covert. In diesem Song wird all das reingepackt, was die Faszination und morbide Schönheit der Band ausmacht, musikalisch wie textlich. Von daher ist es nicht wenig verwunderlich, dass "All I Ever Am" die dritte Single-Auskopplung des Albums ist. Mehr Cure-Identität geht kaum. Robert Smith, der Lyriker: "I lose all my life like this, reflecting time and memories / And all for fear of what I'll find if I just stop and empty out my mind". Dazu liefert die Band den passenden melodienreichen Sound für Ungemütlichkeit und Unbehagen.

Track #8: Endsong

The Cure Songs of a Lost World auf grey marble VinylDer Kreis des Songreigens schließt sich mit dem über 10-minütigen "Endsong". Das Alleinsein erhält hier noch einmal die volle Aufmerksamkeit. Ein Rückblick auf das eigene Leben, "Remembering the hopes and the dreams I had". Was bleibt sind keine Hoffnungen, keine Träume, nur "Wondering how I got so old". Immerhin etwas, und: "I will lose myself in time". Das abstrakte Monstrum Zeit als eine mögliche Auffangfläche, so wie auch die Band selbst sich in der Zeit verliert und sich gleichzeitig gegenseitig stützt. Gute Lieder müssen nicht immer lang dauern, aber lange Lieder können auch gut sein. "Endsong" ist genau von dieser Natur, ein Lied, das dich hineinzieht, das die Zeit vergessen lässt, das dich vergessen lässt, dass du ganz alleine bist, "Left alone with nothing at the end of every song".

"Songs of a Lost World" (UMI / Polydor Records) ist ein definitives Highlight des Musikjahres 2024, das sich zudem sehr gut für Neueinsteiger*innen in das Oeuvre von The Cure eignet. Verfügbar ist das Album u.a. als Ressourcenschonende Schallplatte mit bio-basiertem PVC, das erdölfrei für ca. 90% CO₂-Einsparung sorgt und dabei hinsichtlich akustischer und optischer Qualität identisch zur konventionellen LP ist. //

Text: Manfred Horak
Foto: Andy Vella

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