In New York mag in vielen Bereichen die Avantgarde beheimatet sein. In Sachen zeitgenössisches, experimentelles Theater jedenfalls nicht. "Ich würde sagen, die Kunstform Theater ist bei uns am weitesten zurückgeblieben", meint die Autorin Young Jean Lee und bildet dabei selbst keine Ausnahme. In "The Shipment" arbeitet sie sich in drei Einaktern ironiefrei an verschiedenen Rassenstereotypen ab. Dem schauspielerischem Einsatz des afro-amerikanischen Ensembles verzeiht man fast die Schwächen des Texts.
Der Comedian
Teil 1: Der schwarze Komiker, der schneller quasselt, als man zuhören kann. Bis man realisiert hat, dass Douglas Strater gerade wirklich gesagt hat: "Babies töten und Tiere ficken sei okay", ist er schon drei Obszönitäten weiter. Zwischen den Beleidigungen konfrontiert er das Publikum mit seinem Frust über den anhaltenden Rassismus. Und nimmt dabei auch ein bisschen Bezug auf die Stadt: "Eure Nigger heißen Türken." Klar, sind wir nicht an der Sklaverei schuld, doch sollen wir nicht so tun, als wären wir farbenblind. Seinen dunklen Teint hat er ja nicht von der Sonne. Immerhin beantwortet er einige Fragen, die bei Brett Bailey offen geblieben sind. Nicht jammern, sondern die Kritik annehmen und besser machen. Weil ja alles nur gespielt ist, offenbart er als Schlußpointe: Privat ist er ein anderer Mensch.
Omar, der Rapstar
Teil 2: Eine Minstrel-Show, in der im komischen Schnelldurchlauf die tragische Geschichte von Omar (Jordan Barbour) erzählt wird. Er träumt davon Rapstar zu werden. Doch um eine Fahrkarte zum Rap-Contest kaufen zu können, braucht er Geld. Dazu muß er klauen oder Crack verkaufen, wie ihm sein Freund erklärt. Nachdem sich die konkurrierenden Bosse gegenseitig die Birne weggepustet haben, landet Omar prompt im Knast, lernt dort aber die "richtigen" Leute kennen. Wird also doch noch Rapstar, drogensüchtig, und verzweifelt an der Leere seines Lebens.
Omar, der Einsame
Teil 3: Eine zwanghafte Dinner-Party, die nicht so richtig in Schwung kommen will. Der Gastgeber hört auch auf den Namen Omar, ist aber ein anderer als in Teil 2. Sein Jugendfreund Desmond (exaltiert: Prentice Onayemi) verträgt weder viele Leute, noch Alkohol und ist eine unerträgliche Petze. Sein überkorrekter Arbeitskollege Michael (fokusiert: Mikeah Ernest Jennings) ist verliebt in Thomasina (zauberhaft: Amelia Workman), die gemeinsam mit Michael (Jordan Barbour) kommt. Die Stimmung kippt als Omar verkündet, er habe alle vergiftet und jeden seiner Gäste beleidigt. Nein, das mit dem Gift stimmt eh nicht, aber er hat die Einsamkeit einfach satt. Das klingt doch alles nach typisch weißen Problemen und tatsächlich outen sich die Schauspieler am Ende als Weiße.
Viele Irrwege
"The Shipment" ist das bemühte Ergebnis eines langes Jahres mit vielen Irrwegen, nach denen Young Jean Lee das bereits gesammelte Material verworfen und noch einmal komplett von vorne begonnen hat. Dabei hat sie verschiedene Klischees der Eigen- und Fremdwahrnehmung festgehalten. Ob das Einnehmen unterschiedlicher Perspektiven allein schon als Leistung gilt? Vermutlich soll damit zum Nachdenken angeregt werden, aber die Pointen wirken aufgesetzt, der Abend insgesamt unentschlossen. Richtige Stimmung kommt leider nicht auf. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Paula Court, AJ Zanyk)
Kurz-Infos:
The Shipment
Bewertung: @@@
Spielort: brut im Künstlerhaus im Rahmen der Wiener Festwochen 2010
TEXT UND INSZENIERUNG: Young Jean Lee
Produktion / Caleb Hammons
Bühne / David Evans Morris
KOSTÜME / Roxana Ramseur
MIT Jordan Barbour, Mikeah Ernest Jennings, Prentice Onayemi, Douglas Scott Streater, Amelia Workman
KOPRODUKTION Young Jean Lee’s Theater Company, New York, Wiener Festwochen
AUFTRAGSWERK Wexner Center for the Arts at The Ohio State University (Uraufführung Oktober 2008) und The Kitchen New York (Premiere Januar 2009)