Der Turbo Folk vom kroatischen Nationaltheater raste durch das Schauspielhaus Wien im Rahmen der Festwochen und bot bei der Premiere am 4. Juni 2010 eine reichlich skurrile und in erster Linie plakative und trashige Schauspiel-Revue.
Der dem Stück Titelgebende Begriff ist eine Musikrichtung, die Ende der 1980er Jahre entstand, dabei traditionelle Musik mit Techno verbindet und während des Ex-Jugoslawien-Kriegs auch stark politisierte, was das Phänomen Turbo Folk bis heute in einem fragwürdigen Licht erscheinen lässt. Das Stück selbst will als kollektives Autorenprojekt verstanden werden, nur hat das Kollektiv leider verabsäumt Sprache als Ausdrucksmittel zu verwenden. Das meiste an Text - zumindest im ersten Teil - läuft fast ausschließlich über die Musiktexte diverse Turbo Folk Songs. Liebe, Sex und Nationalismus sind dabei die Inhalte. Auf der Bühne verprügeln sich die Akteure, schreien sich an, liefern Kriegsszenen, Erschießungen und Vergewaltigungen inklusive, sowie die Pflege am Krankenhausbett. Es wird viel geweint und gestorben. Irgendwann platzt dem Ensemble der Kragen und sie beschimpfen den Regisseur Oliver Frljic mit nicht jugendfreien Inhalten. Diese Beschimpfungsorgie wird simultan übersetzt und führt gewissermaßen in den zweiten Teil des Stücks, bei dem kurz Hoffnung auftauchte, dass "Turbo Folk" doch noch zu einem Theaterstück wird, das sich diesen Begriff auch verdient. Ein paar witzige Szenen kommen denn auch tatsächlich vor, so wenn zwei Protagonisten über ihre Geschlechtsorgane sprechen, sie über ihre "Mizzi", er über seinen "Johann" - aber das blieb leider nur ein allzu kurzer heller Moment in einer sinnentleerten Revue, die alsobald wieder rasch in die unterste Schublade kroch und in erster Linie plakative und trashige Action zeigte. Gegen Ende, als die auf der Bühne agierenden Personen aufklärten worüber das Stück eigentlich handelt (bzw. handeln sollte), fügte einer der Darsteller hinzu, dass er bis heute nicht weiß, was er da eigentlich macht. Mit dieser Aussage traf er mein Innerstes: Ich wusste auch nicht, was mich bis zum Schlussapplaus hielt. (Text: Manfred Horak; Fotos: Dražen Šokčević)
Kurz-Infos:
Turbo Folk im Rahmen der Wiener Festwochen 2010 (Produktion: Kroatisches Nationaltheater Ivan Zajc, Rijeka)
Bewertung: @
Inszenierung und Text / Oliver Frljić
Kroatisch mit deutschen Übertiteln
Dramaturgie / Borut Šeparović
Bühne / Oliver Frljić, Borut Šeparović
Kostüme / Modestudio artiđana
Sound Design / Oliver Frljić
Licht / Boris Blidar
VON UND MIT Anastazija Balaž Lečić, Olivera Baljak, Andreja Blagojević/Ana Vilenica, Alen Liverić, Jelena Lopatić, Jasmin Mekić, Dražen Mikulić, Damir Orlić, Tanja Smoje