Eine Outdoor-Performance muss nicht zwangsläufig ein schwatzhafter Spaziergang für Theater affines Volk mit beiläufigem kulturellem Inhalt sein. Der südafrikanische Theatermacher Brett Bailey verwebt den Orfeus-Mythos mit traditionellen, afrikanischen Ritualen und politischen Themen.
Vor dem Künstlerhaus warten zwei verdunkelte Reisebusse. Schon im Bus sollte man ein Auge auf den Sitznachbar haben, schließlich geht man später noch gemeinsam durch die Unterwelt. Doch zuerst geht es mit Südafrikafunk und Video durch die mehr und weniger befestigten Vororte von Kapstadt. Nach einer halben Stunde heißt es aussteigen auf einem scheinbar verlassenen Areal. Bevor es weitergeht, gibt es eindringliche Instruktionen: "Schnell gehen, beisammen bleiben, schweigend." Die gut erzogenen Festivalbesucher halten sich alle daran und werden mit einem außergewöhnlichen Abend belohnt.
Before Orfeus there was no music
Die Behörde hat wieder einmal gründlich geamtshandelt. Im Festwochenwald wachsen Notausgangschilder. Doch im sandigen Erzählerkreis knackt das Lagerfeuer, die Blätter rauschen und schon ist man mitten in Afrika, Zeuge einer rituellen Beschwörung. Der Schamane (Andile Bonde) erweckt unter der Erzählung von Jane Rademeyer Orfeus und Eurydike zum Leben, bald erklingen sanfte und fröhliche Lieder.
This is a story about
falling in love,
falling in tune,
falling apart,
falling down
Orfeus, gespielt vom kongolesischen Musiker Bebe Lueki, und Eurydike (Nondumiso Zweni) verlieben sich und heiraten. In der Hochzeitsnacht wird Eurydike von einer Schlange gebissen bzw. hier von der als Räuber maskierten Schlange entführt. Um sie wieder zu finden, muss Orfeus dorthin, wo die Lebenden nicht hingehen. Frosch - wer "Big Dada" gesehen hat, dem ist Abey Xakwe noch in guter Erinnerung - leitet die Zuschauer durch das Tor zur Unterwelt. Wie sieht das ewige Grauen heutzutage aus? Dieser Ort, dessen Existenz wir am liebsten vergessen würden, weil der Anblick nicht zu ertragen wäre? Es geht über Fabrikgelände, brennende Fässer markieren den Weg. Eingezäunte Flüchtlinge, der vergessene Mann auf dem rauchenden Müllberg, angekettete Kinder in der Schuhfabrik, der gebrochene Häftling - sie alle haben ihre Stimme verloren und können Orfeus nicht helfen.
König der Unterwelt
Im Keller thront der König der Unterwelt (John Cartwright) im Rippstrick mit Powerbook zwischen Rotkreuzschachteln, Alkohol und Zigarettenstummeln. Er redet von einer neuen Ära der Hoffnung, von sozialem Engagement und davon neue Märkte zu erschließen. Edelsteine, Kinder, Öl, Organe - und alles um ein Viertel billiger als sonst wo auf der Welt. Frauen hat er auch im Angebot, auf die gibt es zwei Jahre Garantie. Unter ihnen ist Eurydike gefangen. Sie gehört jetzt ihm. Doch Orfeus rührt mit seinem Lied sogar den König der Unterwelt. Eurydike darf ihm folgen, solange er sich nicht umdreht, sonst ist sie für immer verloren. Es kommt wie es kommen muss. Wieder einmal haben Third World Bunfight, was soviel heißt wie "Dritte Welt Tortenschlacht", ihren Grundsatz, dem Zuschauer aus sicherer Entfernung ein lebendiges afrikanisches Spektakel zu bieten, perfekt umgesetzt. Ihre schon etwas ältere Produktion "The House of the Holy Afro" gastiert übrigens zwischen 30. Juli und 1. August bei Linz09 . (Text: Christine Koblitz; Fotos: Dorothea Wimmer)
Kurz-Infos:
Orfeus
Bewertung: @@@@@
Spielort: an einem dunklen Ort, Start und Ende beim Brut Künstlerhaus im Rahmen der Wiener Festwochen
TEXT, INSZENIERUNG UND AUSSTATTUNG / Brett Bailey
MUSIK / Bebe Lueki
SOUNDSCAPE/ James Webb
MIT Andile Bonde, Mxolisi Bosvark, John Cartwright, Bebe Lueki, Xola Mda, Jane Rademeyer, Abey Xakwe, Nondumiso Zweni
Produktion Third World Bunfight , Kapstadt