Was tun, wenn der Songwriter einer Band wegfällt? Üblicherweise bedeutet dies gleichzeitig auch das Ende einer Band. Nicht so bei Pink Floyd. Die spannenden Tage nach dem Abgang von Syd Barrett und die Veröffentlichung der Alben "A Saucerful of Secrets" und "Ummagumma" stehen somit im Zentrum von Teil 5 unserer Artikelreihe "Pink Floyd Remastered".

Für eine kurze Zeit bestand Pink Floyd aus fünf Musikern - neben Roger Waters, Richard Wright und Nick Mason betrat David Gilmour die Bühne als quasi Nachfolger von Syd Barrett. Sein Fehlen war fatal - überhaupt nicht, wenn Pink Floyd ein Live-Konzert spielte, sondern wenn es darum ging neue Lieder hervorzuzaubern. "Syd tat wirklich nichts [Live; Anm.]", wird Aubrey Powell [er arbeitete für Pink Floyd bis zum Album Animals; Anm.] in einem Buch über Pink Floyd zitiert. "Er saß nur vorn am Bühnenrand und kickte mit den Füßen in die Luft. Es war sehr, sehr seltsam." Gilmour brachte hingegen so etwas wie Struktur ins Live-Geschehen rein, vom Repertoire selbst konnte die Band dabei noch aus dem ersten Album schöpfen, nur mit neuem Songmaterial war das halt so seine Sache. Der Manager Peter Jenner erinnert sich: "Ich glaube, das schlimmste war, dass man auf einer weiteren Platte beharrte, wo doch Syd keine neuen Songs mehr ablieferte. [...Ich] traute keinem von ihnen zu, dass er einen Song ohne Syd hinbekommen würde." Dennoch machten Roger Waters und Richard Wright, was sie glaubten tun zu müssen, und übten sich erstmals als Songschreiber unter besonderer Berücksichtigung den Spirit und das kreative Vermögen von Syd Barrett in ihren Songs einzufangen. So kam es also zum (unglücklichen) zweiten Album von Pink Floyd mit dem verheißungsvollen Titel "A Saucerful of Secrets".

We could never write like Syd

Es ist das einzige Album mit David Gilmour und mit Syd Barrett. Letzterer steuerte noch einen Song bei, nämlich den abschließenden "Jugband Blues". Ein Song, der die Band zum eigenen Begräbnis führt. Syd Barrett bekundet im Text bereits seine Abwesenheit wenn er gleich zu Beginn des Songs singt, "It's awfully considerate of you to think of me here / And I'm most obliged to you for making it clear that I'm not here", und im übrigen ist er richtiggehend froh, dass sie ihm seine alten Schuhe ausziehen, und: "I'm wondering who could be writing this song." Fatalerweise wurde in den sechs Songs davor versucht dem Beispiel Barretts zu folgen und so basiert der Einstiegssong "Let There Be More Light" von Roger Waters auf der Bassfigur von "Interstellar Overdrive". Und auch der Text liest sich eher wie eine müde Persiflage an Barrett, wenn es z.B. heißt "Now now now is the time / To be be be aware...", um in der vorletzten Strophe noch eine Referenz an The Beatles einzubauen: "The servicemen were heard to sigh / For there revealed in flowing robes was Lucy in the sky". Nun ja. Wrights "Remember A Day" legt ebenfalls eine seltsam anmutende Harmlosigkeit an den Tag. "I cringe at some of my songs - such as 'Remember A Day'", erklärte Richard Wright 1996 in einem Interview. "We were pretty amateurish at the time, but I don't think it was just my stuff that doesn't sound so good now. Something like 'Corporal Clegg', which was one of Roger's songs, is just as bad. Syd was the songwriter and then we came in and had to take over the song writing and it was a lot of responsibility to assume. We could never write like Syd, we never had the imagination to come out with the kind of lyrics he did." Einzig "Set the Controls for the Heart of the Sun" und der (zum Teil atonale) Titelsong lassen erkennen, dass sich die Band auch ohne Syd Barrett bewegt. "Das war der erste Hinweis auf unsere künftige Richtung", sagte einmal David Gilmour. "Wenn man 'A Saucerful of Secrets' nimmt, dann den Track 'Atom Heart Mother' und schließlich den Titel 'Echoes', dann führen alle ganz logisch zu 'Dark Side Of The Moon'." Davon abgesehen hört man an nur allzu vielen Stellen eine Ratlosigkeit und einen Mangel an Ideen, wie man die kurze Ära von Syd Barretts Pink Floyd überwinden kann. "Wir machten weiter, ohne weiter darüber nachzudenken", so Nick Mason. "Wir kamen gar nicht auf den Gedanken, dass das womöglich nicht funktionieren würde. Im Nachhinein finde ich das allerdings sehr seltsam."

Die Suche nach dem neuen Ich

Pink Floyd tat nach dem beinahe Desaster vom zweiten Album das einzig Richtige: Die vier Musiker begaben sich auf die Suche nach einer neuen musikalischen Identität. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan, also standen experimentelle Versuche im Zentrum des Geschehens. Das erste Album ohne Syd Barrett und in der Besetzung Roger Waters, Richard Wright, Nick Mason und David Gilmour war der Filmsoundtrack "More" (siehe Teil 2) und nur ca. zwei Monate später veröffentlichte Pink Floyd das eigentliche reguläre dritte Album, "Ummagumma", auf gut Deutsch 'Geschlechtsverkehr'. Ein Doppel-Album, das einen hohen Status genießt und viele meinen sogar, es sei das beste Pink Floyd Album überhaupt. Das Album besteht aus zwei komplett unterschiedlichen Teilen - CD 1 ist das Live Album, CD 2 das Studio Album; hört man bei den vier Live-Mitschnitten eine groß aufspielende Band mit den Songs "Astronomy Domine", "Set The Controls For The Heart Of The Sun" und "A Saucerful Of Secrets" aus den ersten beiden Alben, sowie einem bis dahin unveröffentlichten Stück mit dem verhängnisvollen Titel "Careful With That Axe, Eugene", so erhielt jeder der vier Musiker für das Studio Album jeweils eine halbe LP-Seite. Mag auch der Live-Teil musikalisch mehr überzeugen, so sind dennoch die experimentellen Studio-Tüfteleien die weitaus interessanteren, alleine, weil hier erstmals der ernsthafte Versuch unternommen wird, sich von Syd Barrett zu befreien und sich somit neu zu definieren. "Ummagumma" ist außerdem das erste Album von Pink Floyd, das mit einem herausragenden Art-Work von Hipgnosis daherkommt [Hipgnosis gestaltete auch bereits das Cover von "A Saucerful of Secrets", das aber mehr die Psychedelia-Ära einfing; Anm.]. Oberflächlich betrachtet nichts Aufregendes. Ein Bandphoto halt, wären da nicht diese Spiegel, in dem die Band in jeweils anderer Aufstellung ebenfalls zu sehen ist. Beim CD-Cover sieht man leider nur bis zum fünften Spiegelmotiv, die Vinyl-Ausgabe bot da freilich einen viel tieferen Blick. Und auch die Rückseite des Albums bietet eine tolle Sichtweise auf die Band anhand der symmetrischen Ausrichtung des Equipments. Damit wird einem bereits die Besonderheit der Band bewusst, einerseits das Spiel mit dem Ego, andererseits mit dem architektonisch-konzeptuellen Ordnungsgefüge.

Philosophie des Absurden

Das Studio-Album beginnt mit der vierteiligen Suite "Sysyphus" von Richard Wright. Sisyphos ist ein Held der griechischen Mythologie, der den Totengott Thanatos überwältigte, sodass in Folge niemand mehr starb. Als der Kriegsgott Ares den Totengott wieder befreite, da es ihm keinen Spaß machte, dass seine Gegner auf dem Schlachtfeld nicht mehr starben, wurde Sisyphos mit Gewalt in die Unterwelt gebracht. Zur Strafe musste er einen Felsblock einen steilen Hang hinaufrollen. "Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte", schrieb Homer im 11. Gesang der Odyssee, "so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus." Ob sich Richard Wright an die griechische Mythologie hielt oder seine Inspiration vom französischen Autor Albert Camus erhielt, der im 20. Jahrhundert in "Der Mythos des Sisyphos" eine Philosophie des Absurden (die eng mit dem Existenzialismus verwandt ist) entwickelte, ist nicht bekannt. Für Camus als Inspirationsquelle spricht der nähere Bezug zur Aufarbeitung der tragischen Figur Syd Barrett, denn Camus setzte sich in seinem Werk mit Autoren wie Sören Kierkegaard und Franz Kafka auseinander, welche die Absurdität der menschlichen Situation erkannt haben, die selbst bzw. ihre Protagonisten unter Aufopferung des klaren Verstandes durch einen irrationalen 'Sprung' in der Zuflucht zu metaphysischen, ästhetischen, religiösen oder rationalistischen Rettungsangeboten entfliehen wollten. Mit Synthesizer und Pauken beginnt jedenfalls der erste Teil der (vierteiligen) Suite, die in eine romantische Klaviermusik überleitet, von atonalen Klängen gebrochen wird und mit überschäumenden Clustern endet. Dem folgen Experimente am offenen Klavier und im vierten Teil widmet sich Wright schließlich dem Mellotron, eine Art Vorläufer des Samplings. Und so definierte sich auch sein persönlicher Musikgeschmack. In einem Interview im Jahr 1996 nach seinen Lieblingsalben befragt zählte Wright neben "Porgy & Bess" und "Kind of Blue" von Miles Davis u. a. "Remain in Light" von den Talking Heads und "My Life in a Bush of Ghosts" von Brian Eno und David Byrne auf.

Vom Töten einer Fliege

Roger Waters lieferte auf "Ummagumma" zwei weitaus naturalistischere Beiträge ab. "Grantchester Meadows" ist vordergründig ein verhaltener Folk-Song, der an Nick Drake erinnert (vielleicht beruht die Beeinflussung aber auch umgekehrt oder beiderseitig), so z.B. wenn Roger Waters in einer Strophe singt: "In the lazy water meadow / I lay me down / All around me golden sunflakes / Settle on the ground / Basking in the sunshine / Of a bygone afternoon / Bringing sounds of yesterday / Into this city room." Eingebaut in diesem Song sind diverse Naturgeräusche bis hin zu Vogelzwitschern und das Brummen einer Stubenfliege. Letztere überlebt das Lied nicht, denn bevor das Lied endet hört man jemanden Treppen runter laufen, um der Fliege den Garaus zu machen. Nach mehrmaligem Versuch mit der Fliegenklatsche ist die Fliege tot und das Lied zu Ende. Dass es sich dabei um eine Metapher, bezogen auf die eigene Bandvergangenheit, handelt, kann und darf diskutiert werden. Es gilt freilich die Unschuldsvermutung. Tierisch geht es jedenfalls auch in seinem zweiten Beitrag zu. Dieser nonverbale Song trägt den ausladenden Titel "Several Species Of Small Furry Animals Gathered Together In A Cave And Grooving With A Pict", ist im Acapella Stil gehalten und ist letztendlich ein experimentelles Geblödel. In jedem Fall eine Seltenheit, dass Roger Waters in einem seiner Songs Humor beweist. Einen gänzlich anderen Charakter wiederum legte David Gilmour mit seinem Beitrag an den Tag. Das dreiteilige "The Narrow Way" ist von Gitarrenüberlagerungen geprägt, ehe er im dritten Teil die Nachtvögel heraufbeschwört, wenn er singt, "You hear the night birds calling you / But you can't catch the words they say / Close your ears and eyes be on your way." Tendenziell geht die musikalische Struktur des Songs bereits in jene Richtung, die man einige Alben später als typischen Pink Floyd Sound erkennt. In "Entrance", "Entertainment" und "Exit" sind schließlich die drei Teile des Nick Mason Beitrags "The Grand Vizier's Garden Party" unterteilt, wobei der Ein- und Ausgang auf der Flöte gespielt wird. Darin eingebettet das Herzstück dieser Trilogie, in dem Nick Mason seine Muskeln spielen lässt und ein siebenminütiges Schlagzeugsolo zum Besten gibt, das immer wieder von Störgeräuschen unterbrochen wird. Diese Zurschaustellung der eigenen musikalischen Persönlichkeit und vor allem auch die Narrenfreiheit, die hier an den Tag gelegt wird, dass jeder seinen Beitrag so gestalten konnte, wie er wollte, war nicht nur die Einleitung in die experimentelle Phase von Pink Floyd, sondern auch die immens wichtige Leistung der Band ein neues Gesicht zu geben. Ein wahres Lehrstück wie man eine Band rettet und somit im nach hinein betrachtet das vermutlich wichtigste Album von Pink Floyd ohne Syd Barrett. //

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Text: Manfred Horak
Foto: EMI / Jill Furmanovsky

Pink Floyd: A Saucerful of Secrets
Musik: @@1/2
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: EMI (1968; Remastered 2011)


Pink Floyd: Ummagumma
Musik: @@@@@@@
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: EMI (1969; Remastered 2011)


Pink Floyd Discovery: Alle 14 Alben im Box-Set
Musik: @ bis @@@@@@
Klang: @@@@ bis @@@@@@