Ein Schwein schwebt am Himmel und eine Kuh schaut zu. "Animals" und "Atom Heart Mother". Diese zwei Alben mit jeweils fünf Tracks stehen im Zentrum von Teil 3 unserer Artikelreihe "Pink Floyd Remastered".

Was erwartet man sich von einer Band, die zwei Meisterwerke in Folge veröffentlichte? Klar, dass es immer so weitergeht. Aber dann kam nicht nur "Animals", sondern es kamen vor allem auch die Punk-Jahre 1976/1977. "Die Musikwelt war zu der Zeit völlig dominiert von Bands wie ELP, YES oder Pink Floyd, die so eine träge, dämliche Selbstgefälligkeit ausstrahlten, dass es für mich nichts mehr mit Musik zu tun hatte", erklärte John Lydon alias Johnny Rotten (Sex Pistols; PIL) einmal in einem Interview, und: "Wir stellten uns gegen so was - zumindest behaupte ich, dass wir das taten." So stand z.B. 'I hate Pink Floyd' auf einem T-Shirt, das Johnny Rotten trug. Lydon: "Mein Gott, es wurde zu einem weltbekannten Klischee! Weißt du, es war nur ein Witz. Es steckte was dahinter, aber wirklich nicht viel! [...] Wenn ich etwas bin, dann ein Ikonen-Zertrümmerer." Mit "The Dark Side Of The Moon" (1973) und "Wish You Were Here" (1975) feierte Pink Floyd unglaubliche Erfolge und katapultierte sich in die oberste Liga der Musikwelt. Dass die Punk-Bewegung gerade Pink Floyd dermaßen ablehnte ist einigermaßen erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Nick Mason das erste Album von The Damned produzierte, dass sich Sid Vicious von den Sex Pistols nach Syd Barrett benannte und dass Bob Geldof (The Boomtown Rats) später die Rolle von Pink in der Alan Parker Verfilmung von "The Wall" übernommen hat. Weniger erstaunlich ist diese ablehnende Haltung hingegen, wenn man die musikalische Grundidee von "Animals" mit den stark verknappten Punk-Songs vergleicht. Da liegen freilich Welten dazwischen, da tun sich Klüfte auf.

Und endlich waren wir frei!

Abgesehen von all dem polarisiert "Animals" auch innerhalb der Pink Floyd Fans. Trotz alledem kletterte das Album in UK auf Platz 2 und in den USA auf Platz 3. "Animals" steht fast schon wie ein Klotz da und ist ein in sich geschlossenes Musikuniversum, ein perfektes (fast schon zu perfektes) konzeptionelles Soundkaleidoskop, das viel bietet, dabei aber auf Experimente verzichtet. Drei längere Lieder bilden das Herzstück des Albums und werden von einem kurzen Akustik-Stück in zwei Teilen umrahmt. So wie bereits auf einigen früheren Alben einzelne Lieder auf einen literarischen Stoff basierten, wie z.B. "Childhood's End" auf "Obscured By Clouds" (1972; siehe auch Teil 2 unserer Artikel Reihe "Pink Floyd Remastered"), so basiert "Animals" bekanntermaßen zur Gänze auf den Roman "Animal Farm: A Fairy Story" (1945) von George Orwell, jener Fabel vom Aufstand der Tiere des Farmers John und vom allmählichen Umschlag der Revolution in ihr den Status quo ante wiederherstellendes Gegenteil. Der Roman ist eine Warnung vor totalitären Staaten, und macht deutlich, dass in einer Welt, in der alle gleich zu sein haben, immer auch ein paar gleicher sein werden als alle anderen.

Das Tier in dir

Orwell hatte den Roman als anti-stalinistische Satire konzipiert, konkret über die Korruption der ursprünglichen Idee des Sozialismus. Der relativ kurze Text lebt von der analytischen Schärfe und vom Erkenntniseffekt, sowie allgemein von der politischen und ästhetischen Intention. Roger Waters schälte diese Eigenschaften auch für seine Liedtexte hervor, veränderte aber zum Teil die Orwell'schen Charaktere. Schweine waren bei Orwell die unterdrückende Klasse, bei Waters hingegen die (sich selbst unmoralisch verhaltenden) predigenden Moralapostel. Die Hunde waren bei Orwell die Diener und Wächter der Schweine, bei Waters sind es die Kapitalisten - profitgierige Geschäftsleute, die stets die Schafe, also die breite Masse, ausnutzen. Die Hunde waren also sozusagen die Geldschweine und die Schweine die Hirten von uns Schafen.

Individuelles Vertrauenslied

Die satirischen Elemente sind auch auf "Animals" überdeutlich zu hören, nicht nur in den Texten (das ist ja quasi aufgelegt), sondern dankenswerterweise auch in der Musik. Bleiben wir aber zunächst im Textkonvolut. Roger Waters wurde thematisch nicht nur bei George Orwell fündig, auch die Bibel durfte herhalten, und zwar im Hirtenbrief Psalm 23. Kongenial, wie es Waters hier verstand den Psalm satirisch nachzudichten. Im christlichen Kontext wird Psalm 23 heute meist als individuelles Vertrauenslied verstanden, und mit Hirte ist freilich ein Herrschaftstitel mit dem Anspruch auf Führung gemeint, mit der Pflicht für Schutz und Ordnung zu sorgen und die anvertrauten Menschen mit Speise und Trank reichlich zu versorgen. Heißt es im Psalm 23, "Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich", so heißt es bei Waters in der gleichen Verszeile, "Er hänge mich empor an Haken hohen Ortes / Er wandele mich um zu Lammkoteletts / Denn Gott, er hat große Macht und großen Bedarf." Im Psalm 23 steht geschrieben, "Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar", bei Roger Waters lautet die Verszeile, "Siehe - Herr, werden wir uns erheben / Und dann treiben wir den Mistkerlen die Tränen in die Augen." Von beachtlicher Qualität sind auch seine Gedankengänge und seine Formulierkunst z.B. in "Dogs", wenn er singt, "You have to be trusted by the people that you lie to / So that when they turn their backs on you / You'll get the chance to put the knife in." Eine Textzeile, die mich immer wieder an Wien erinnert, Stichwort 'Hackl ins Kreuz'.

Reizentfaltung

Musikalisch schöpft Pink Floyd hier aus dem Vollen, die mitunter weit über 10-minütigen Lieder kommen letzten Endes erstaunlich kompakt daher. Recht behutsam und fast schon sparsam werden hier die Synthesizer eingesetzt. Ein Blöken hier, ein Bellen da, mal durch den Vocoder gezogen, mal sehr naturalistisch umgesetzt, fast immer getragen vom satirischen Mut. Schwächen hört man auf dem Album keine, weder das Intro und Outro "Pigs On The Wing", noch die langen Exkurse von "Dogs", "Pigs (Three Different Ones)" und "Sheep". "Animals" ist ein Rock-Album mit schnörkellosen Zügen und akribischen Elementen. Die psychedelischen Momente sind völlig verschwunden und auch das Art-Rock-Gehabe hält sich deutlich in Grenzen. Übrig und in Erinnerung bleiben in erster Linie die wunderbaren Gitarren-Soli von David Gilmour, die fast schon existenzialistischen Songstrukturen von Roger Waters und eine Band, die, wie das Schwein am Cover, zu einem weiteren Höhenflug abhob. Zu diesem Schluss gelangt man allerdings nicht unbedingt beim erstmaligen Hören, im Gegenteil, nach dem ersten Mal hören setzt eher Ratlosigkeit und eine gewisse Müdigkeit ein und man ist versucht das Album schnell als fad und unwichtig abzutun. Ein Tipp daher für all jene, die "Animals" erst durch die Remastered-Serie von 2011 kennenlernen: Der Reiz und die Wucht des Albums entfaltet sich erst nach und nach. Da entdeckt man dann die Versponnenheit, den Melodienreichtum und die Spielereien in Sachen Hall/Loop/Verzerrung. Kurzum: "Animals" gewinnt an Substanz, je öfter man es hört.

Eine ganz andere Band

Das 'Hippie-Geschrammel', wie man es auf "Pigs On The Wing" hört, ist eine ganz wichtige Komponente und Konstanze im Gesamtwerk von Pink Floyd und taucht so gut wie auf jedem Album auf, so auch auf dem sieben Jahre vor Animals entstandenen Album "Atom Heart Mother". Es gibt neben diesem Fakt und dass auf beiden Alben jeweils fünf Tracks zu hören sind sonst allerdings kaum Gemeinsamkeiten zwischen "Atom Heart Mother" und "Animals". Und doch eignen sich gerade diese zwei Alben für einen direkten Vergleich. Pink Floyd war 1970 noch eine ganz andere Band als sieben Jahre später. Hatten sie auf "Animals" das Fehlen von Syd Barrett zumindest (musikalisch) ver- und abgearbeitet, schien das Fehlen von Syd Barrett auf "Atom Heart Mother" noch eine unüberwindbare Hürde zu sein. Pink Floyd war sich zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht ganz im klaren wohin es sie treiben wird und vor allem, wie sie den genialen Songwriter Syd Barrett kompensieren können. So hört man auf "Atom Heart Mother" zwei kollektiv erarbeitete instrumentale Stücke und je ein Song von Roger Waters, David Gilmour und Richard Wright.

Die Suche nach dem neuen Ich

"Atom Heart Mother" ist ein einziges Experimentierfeld. Ein Suchen und Drängen nach einem neuen Ich, das zuvor veröffentlichte "Ummagumma" war nur noch blasse Erinnerung für die vier Musiker und auch mit "Atom Heart Mother" ging David Gilmour später hart zu Gericht: "Es war wirklich nur ein bisschen zusammengeklaubter alter Müll. Eigentlich sollte ich das ja nicht sagen, aber damals waren wir wohl nicht ganz klar im Kopf." Na ja, der Pink Floyd Fan vertritt hier vermutlich generell eine ganz andere Ansicht. Das 23-minütige Titelstück zählt längst zu jenen Klassikern in der Musikgeschichte, das ganz früh verschiedene, und bis dahin mochte man auch meinen, unvereinbare, Genres miteinander verwob - nämlich Klassik und Rock. Heraus kam eigentlich das, was man in der Klassik als 'Neue Musik' tituliert, umgesetzt mit einer technischen Besessenheit von Pink Floyd, alleine was die Positionierung der Lautsprecheranlagen anlangte. Die Gruppe als Teil eines Orchesters war die Zielvorgabe, und die Soundeffekte haben es letzten Endes ja in der Tat in sich.

Kontrapunkt

Der Wahnsinn hat Methode, wir hören im Titelstück von "Atom Heart Mother" lange Chorpassagen, die einem unwiederbringlich in Erinnerung bleiben, wir hören experimentelle Avantgardefelder und Blechbläser (4 Trompeten, 4 Posaunen, 1 Horn, 1 Tuba plus Solo-Cello), Gilmours Spiel auf der Slide-Gitarrre und wir hören eine Unberechenbarkeit von Beginn bis zum Schluss. Die zweite Plattenseite (auf CD Track 2 bis 5) fällt naturgemäß etwas ab, obwohl vor allem das klagende "If" von Roger Waters als Kontrapunkt zum üppigen Titelstück - sparsamer konnte man das Lied wohl nicht arrangieren - der zweite Höhepunkt des Albums ist. Der Rest ist Beigabe, nicht weltbewegend, aber auch weit von Peinlichkeit entfernt. In jedem Fall war und ist "Atom Heart Mother" ein Album, das sich - so wie auch "Animals" - gegen das Gegrunze der Masse gerichtet hat und sich immer noch dagegen richtet. Auffällig und ebenfalls längst Kult das Cover. Zur Entstehung und vor allem zur Reaktion seitens der Plattenfirma gibt es ja einige nette Anekdoten und Aussagen, wie z.B. jene eines Managers von EMI: "Sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie diese Firma endgültig kaputtmachen?" Heute freilich kann man sich darüber köstlich amüsieren, quasi kaputtlachen. Einige solcher Anekdoten zur Covergestaltung kann man übrigens auch im empfehlenswerten Buch Pink Floyd und The Dark Side Of The Moon: Die Entstehung eines Meisterwerks von John Harris nachlesen. Aber ich beende jetzt mal diesen dritten Teil, ist nämlich eh viel bombastischer geraten als vorgehabt, und höre mir lieber die 23 Minuten von "Atom Heart Mother" an. Die Remaster Version von 2011 ist nämlich ein außergewöhnliches Klangerlebnis, einfach unbelievable! //

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Text: Manfred Horak
Quelle Übersetzung Psalm 23: Bruder Franziskus
Foto: EMI / Hipgnosis

Pink Floyd: Atom Heart Mother
Musik: @@@ bis @@@@@@
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: EMI (1970; Remastered 2011)

Pink Floyd: Animals
Musik: @@@@@1/2
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: EMI (1977; Remastered 2011)


Pink Floyd Discovery: Alle 14 Alben im Box-Set
Musik: @ bis @@@@@@
Klang: @@@@ bis @@@@@@