Ich frage Haneke ja auch nicht: Wann machst du denn endlich deine erste Doku? Jetzt wäre es dann einmal soweit. (Nikolaus Geyrhalter)
Hast du bei Erde alles machen können, was du machen wolltest?
Nikolaus Geyrhalter: Wir haben eigentlich viel zu wenig Drehgenehmigungen bekommen. Ich hätte gerne eine Episode im Film gehabt mit diesen Saugbaggerschiffen, die vom Meeresgrund Sand aufsaugen und dann künstliche Inseln aufschütten oder Dammerhöhungen damit machen. Diese Art der Landgewinnung hätte ich noch interessant gefunden. Es gibt aber auch nur zwei Firmen weltweit, die das machen. Die sind beide aus Holland. Die eine war nicht kooperativ und die andere hat gerade kein Projekt gehabt, weil es der Weltwirtschaft gerade nicht so gut geht, um diese Luxusprojekte realisieren zu können. Das sind alles gerade eingestellte Baustellen. Hätten wir das gehabt, dann hätten wir dafür irgendeine Episode rausschmeißen müssen von den vorhandenen und das kann ich mir jetzt schon nicht mehr vorstellen. Jetzt ist der Film so, wie er ist und das passt schon.
Die Bilder sind ja sehr erschreckend. War das für dich erdrückend, als du zum Beispiel in Kalifornien angekommen bist und die Größe der Baustelle gesehen hast?
Nikolaus Geyrhalter: Nein. Erstens einmal weiß man ja, wo man hinfährt. Man recherchiert ja. Wenn man diese Realität nicht einmal als Realität akzeptieren kann, dann glaube ich, braucht man nicht zu dem Thema arbeiten.
Man muss es einfach aushalten können? Du warst zweimal auch in Gebieten, in die keiner von uns freiwillig gehen würde, nämlich in Tschernobyl für deinen Film Pripyat und in der Gegend um Fukushima und hast dort dokumentiert wie situationsverlassene Welten aussehen. Auf die Idee muss man auch erst einmal kommen und dann ein williges Team finden, das sagt: Okay, wir gehen da jetzt hinein in die Sperrzone. Das ist ja nicht einmal organisatorisch so einfach.
Nikolaus Geyrhalter: Ja, wobei das geht alles. Strahlung kann man messen. Da kann man sich schützen. Wirklich arg, wenn wir schon von argen Dingen reden, war das Drehen in Bosnien nach dem Krieg. Dort haben wir gedreht, wie Massengräber aufgemacht worden sind. Das ist mir auch an die Grenzen gegangen. Irgendwo auf einem Feld kommt ein Bagger und fängt an zu graben, bis der erste Schuh mit Knochen herauskommt und dann weiß man, da ist es. Man stiefelt dann einfach auf Leichen herum, mit Kamera, ohne Kamera. Das war wirklich hart. Bei so einer Exhumierung, wenn alle herumkriechen und versuchen zu klären, ob der Knochen noch da dazu gehören könnte. Das ist mir damals nahe gegangen und seit ich das überstanden habe, ist mir ziemlich alles andere wurscht. Ich bin auch froh, dass ich es damals gemacht habe, weil es jetzt einen Film darüber gibt. Ich möchte ja schon auch Orte ins Kino bringen, die nicht so leicht zugänglich sind, auch wenn das manchmal hart ist. Innerhalb dieses Spektrums sind Kohle- und Kupferminen und große Baustellen relativ harmlos.
Ja, das stimmt. Das ist ja wahrscheinlich auch ein Irrglaube, dass wenn du dort hineingehst, alles verstrahlt ist. Du hast ja auch eine gewisse Jahresration.
Nikolaus Geyrhalter: Genau. Es ist verstrahlt, natürlich, und wenn man dort leben würde, dann würde man diese Grenzwerte, die gesundheitlich als unbedenklich gelten, sehr stark überschreiten. Wenn man sich drei oder vier Tage dort aufhält und schaut, dass man keine heißen Teilchen einatmet oder isst, ist das nicht so tragisch. Man hat ja auch immer einen Geigerzähler, der anfängt zu piepsen, wenn man irgendwo ist, wo es besonders starke Strahlungen gibt und dann geht man halt weg. Wir haben uns natürlich bei diesen Drehs immer vorher und nachher komplett durchmessen lassen, damit das Team vor und nach dem Dreh die Sicherheit hat und sieht, so viel ist dazu gekommen, es ist alles gut. Dafür gibt es Ganzkörperscans. Als wir in Tschernobyl gedreht haben, haben wir die zulässige Jahresstrahlung auch überschritten, aber nicht sehr und einmal im Leben. Wenn man in einem Kernkraftwerk arbeitet, darf man diese Strahlung jedes Jahr haben. Also von daher haben wir auch alle gesagt, dass es vollkommen unbedenklich ist.
In gewisser Weise musst du bereit sein, gewisse Risiken einzugehen, um deine Themen zu finden?
Nikolaus Geyrhalter: Man muss was einsetzen, das glaube ich schon.
Es ist ja auch nicht jeder Rundflug mitunter so sicher.
Nikolaus Geyrhalter: Klar, ich steige auch nicht gerne in Hubschrauber, aber man macht es einfach. Das ist eine Grundsatzentscheidung, entweder konsequent durchdrücken oder eben nicht.
Oder eben keinen Film machen.
Nikolaus Geyrhalter: Ja, schon. Oder zumindest keinen Film, wo klar ist, dass so etwas zu erwarten ist.
Arbeitest du nur für ein Projekt und wenn das dann fertig ist, kommt das nächste?
Nikolaus Geyrhalter: Nein, ich mache meistens schon zwei nebeneinander.
Dann gibt es schon ein neues Projekt?
Nikolaus Geyrhalter: Es gibt jetzt ein neues Projekt und ich habe ja den anderen Brennerfilm Die bauliche Maßnahme auch gleichzeitig mit Erde gedreht. Das finde ich aber immer angenehm, dass man sich nicht so in einem Ding verbeißt und ein bisschen die Seiten wechseln kann.
Ist es auch so, wie der Grazer Filmemacher Jakob M. Erwa gemeint hat: Beim Filmemachen braucht man auf jeden Fall oft einen langen Atem?
Nikolaus Geyrhalter: Ja, den braucht man sicher. Von der Idee bis er fertig ist dauert ein Film mindestens drei, in der Praxis meistens fünf Jahre. Wenn man da Stück für Stück hintereinander eines nach dem anderen macht, dann macht man einfach nicht sehr viele Filme.
Wie lange hat Erde gedauert?
Nikolaus Geyrhalter: So drei Jahre ungefähr. Aber man dreht ja nicht drei Jahre, sondern vielleicht zwei Monate. Ich arbeite auch gerne so, dass ich einfach schon während der Recherchephase Probedrehs mache und schneide und weiter recherchiere. Das ist eine Kommunikation zwischen Recherche, Schneideraum und Dreh, so in diesem Dreieck, weil sich durch jeden Dreh ja wieder etwas verändert.
Gibt es auch angedachte Projekte, die keine Dokumentarfilme sind?
Nikolaus Geyrhalter: Also von mir als Regisseur nicht. Meine Firma macht Dokumentarfilme, aber ich finde die Realität spannender, die echte.
Wir werden keinen Spielfilm von Nikolaus Geyrhalter sehen?
Nikolaus Geyrhalter: Nein, das sehe ich nicht. Das hat schon in der Filmakademie angefangen, da macht man halt Dokus und irgendwann macht man einen Spielfilm. Oft kommt auch die Frage: Wann machen Sie denn endlich ihren ersten Spielfilm? Ich frage Haneke ja auch nicht: Wann machst du denn endlich deine erste Doku? Jetzt wäre es dann einmal soweit.
Aber es hat auch damit zu tun, dass der Stellenwert von Dokumentarfilmen in den letzten Jahrzehnten durch die guten Arbeiten durchaus gestiegen ist, gerade in Österreich.
Nikolaus Geyrhalter: Ja, das wahrscheinlich schon. Aber ich glaube, es gibt schon noch diese landläufige Meinung, dass eine Doku irgendwie leichter zu machen ist. Was ich überhaupt nicht finde. Ich stelle mir das Spielfilme machen viel leichter vor. Ich tu es zwar nicht und ich kann es nicht, aber ich habe das Gefühl, wenn man schon so viel planen kann, dann kann man sich bei der Umsetzung auf das Wesentliche konzentrieren. Das Umgehen mit einer Wirklichkeit, das man beim Dokumentarfilm hat, ist viel komplexer als beim Spielfilm. Da gibt es auch so Vorbilder wie Ulrich Seidl, die Dokus und Spielfilme gemacht haben.
Ulrich Seidl haben sie oft diese Frage gestellt, kann ich mich erinnern.
Nikolaus Geyrhalter: Deswegen ist in Österreich ein bisschen eine Schiene entstanden: Erst machen wir Dokus und dann Spielfilme.
Aber es gibt ja auch Mockumentaries oder Pseudodokus wie Zelig, die Woody Allen eingeführt hat. Würde dich so etwas interessieren?
Nikolaus Geyrhalter: Im Grunde sind meine Filme ja alle sehr ähnlich. Ich glaube nicht, dass sich das sehr ändern wird. Ich möchte auch Filme machen, denen das Publikum vertrauen kann. Das wichtigste ist, dass einfach klar ist, dass es so ist, wie man es sieht. Das ist quasi ein Vertrag mit dem Publikum. Und ich halte es für wichtig, dass dieser Deal eingehalten wird. Wenn man den einmal nicht einhält, dann ist es vorbei. Ich glaube, das Publikum weiß schon immer, dass es, wenn es einen Film von mir anschaut, eine Realitätsbeschreibung mit einem sehr persönlichen Kommentar und einer sehr persönlichen Handschrift bekommt. So würde ich das zusammenfassen, wenn ich Journalist wäre. //
Interview: Philipp Brandstätter, Hanna Fuchs, Nina Isele, Natascha N'eger, Karin Stieglitz-Klug (Workshop-Teilnehmer/innen Filmkritiken schreiben), Matthias Greuling (Celluloid Filmmagazin), Manfred Horak (Kulturwoche.at), Irene Meinitzer (Radio Helsinki)
Transkription: Nina Isele
Fotos: Manfred Horak
Dieses Interview entstand beim Workshop "Filmkritiken schreiben / Modul Interviewführung" im Rahmen der Diagonale 2019 unter der Leitung von Manfred Horak (Kulturwoche.at) in Kooperation mit Diagonale - Festival des österreichischen Films, Kulturwoche.at, Kleine Zeitung, Die Furche, Celluloid Filmmagazin und Radio Helsinki. Bei Radio Helsinki entstand mit der Moderatorin Irene Meinitzer auch nachfolgende 60-minütige Live-Sendung.