Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred Horak

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Natürlich geht es nicht nur darum, dass der Planet überlebt, es wäre ja schön, wenn wir das auch täten. (Nikolaus Geyrhalter)

Jetzt gehen ja die ganzen Schüler weltweit auf die Straße für #FridaysForFuture, um eben Veränderungen im Denken zu bewirken...

Nikolaus Geyrhalter: Das ist ja schön...

...dass diese Gesellschaft eben vielleicht doch eine andere wird, oder die Welt eine bessere wird. Glaubst du an eine positive Änderung, dass sich zum Beispiel dieses #FridaysForFuture durchsetzen wird können, dass es so große Umweltzerstörungen in dem Sinne nicht mehr geben wird? Oder anders gefragt: Bist du ein Optimist?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Nein, ich bin überhaupt kein Optimist. Ich glaube realistischerweise, es gibt schlimmere Dinge, die die Menschen tun, als die Landschaft zu verändern. Wenn wir jetzt alle viel nachhaltiger leben und unseren Fußabdruck ganz drastisch senken würden, dann brauchen wir pro Einwohner vielleicht nicht 20m Kupferkabel sondern nur 3m. Aber prinzipiell haben wir einen Lebensstandard, der seinen Preis hat. Von dem werden wir nicht wegkommen, außer wir gehen in den Urwald und bauen Lehmhütten. Und selbst die Leute, die ich kenne, die das machen, haben einen Laptop daneben stehen. Ich glaube, wir können diese Klimaprozesse schon versuchen zu verlangsamen, aber es ist absurd zu glauben, dass es sich ganz ohne Veränderungen ausgeht, solange wir Menschen mit unserem Lebensstandard hier leben. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Natürlich ist das, was wir brauchen, viel zu viel und deswegen mache ich auch Filme, um darauf hinzuweisen. Gleichzeitig weiß ich, dass ich ein Teil des Systems bin. Wir sind die Spezies, die die Erde am aller nachhaltigsten verändert. Doch für wen ist das ein Problem? Eh nur für uns. Die Weltkugel überlebt uns auf alle Fälle und ob dann da ein paar Narben drinnen sind, weil jemand eine Mine hinein gebaut hat, ist sozusagen in einem geologischen Denken für unseren Planeten irrelevant. Es ist für uns relevant, weil wir unsere Lebensgrundlagen zerstören und weil wir die Lebensgrundlagen für viele andere Lebewesen zerstören. Eng wird es nicht für die Welt, eng wird es für uns. Das habe ich auch im Laufe des Films erst gemerkt, dass man sieht: Wahnsinn, da wird ja die Landschaft verändert. Das wirkt für uns so bedrohlich, weil es eine Veränderung von einem idealisierten Urzustand weg ist, wie die Welt war, bevor wir Menschen eingegriffen haben. Wenn die Marmorsteinbrüche irgendwann einmal weg sind und dort wo vorher einmal Berge waren, ist dann nachher einfach ein karges Tal, dann ist es einfach so. Das ist für uns vielleicht schlimm, weil wir das gemacht haben und wir wissen, wie schön das war - geologisch gesehen sind das Peanuts.

Ist das nicht auch ein bisschen tröstlich, dass uns die Weltkugel womöglich überlebt? Das impliziert irgendwie eine Art Selbstheilungskraft der Erde.

Nikolaus Geyrhalter: Ja, ich finde das auch sehr tröstlich. Aber gleichzeitig darf es nicht zu einer Bequemlichkeit führen: Es ist eh schon alles wurscht. Das ist so die Gefahr dabei. Weil natürlich ist nicht alles egal. Und natürlich geht es nicht nur darum, dass der Planet überlebt, es wäre ja schön, wenn wir das auch täten.

Aber wie groß sind diese Wunden wirklich, von oben herab betrachtet? Wie du richtig sagst, sind sie im gesamten Bild doch noch relativ klein.

Nikolaus Geyrhalter: Die Ölsande in Kanada, die sieht man wirklich auch schon vom Satellitenbild, von Google Earth aus sehr schnell. Größe ist immer eine Frage der Relation. Der Film geht ja von dieser Berechnung aus, dass wir Menschen mehr Erde bewegen als die Natur. Das haben wir in ganz plakativen Beispielen veranschaulichen wollen. Die wirklich großen Mengen an geologischen Eingriffen an der Oberfläche passieren nicht einmal an diesen Orten, an denen man das sieht, sondern die verteilen sich unauffällig überallhin.

Hast du schon zirka gewusst, was du bei den bestimmten Abschnitten erwartest? Hat es irgendwo Überraschungen gegeben?

Nikolaus Geyrhalter: Was mich überrascht hat bzw. sehr gefallen hat, war die Offenheit, mit der wir aufgenommen worden sind. Die harten Jungs in Kalifornien zum Beispiel waren am ersten Tag alle reserviert und dann am zweiten Tag schon offener. Am ersten Tag haben wir die Totalen gedreht, sichtbar für alle und sie haben uns zugewunken. Am zweiten Tag haben schon alle gefragt, was wir da machen. Am dritten Tag haben wir das erste Interview gedreht und am vierten Tag wollten alle anderen auch interviewt werden. Das ist eine ganz klare Kurve, bis ein Eis bricht und das muss man sich erarbeiten. Das ging bei dem Film viel einfacher als bei manchen anderen.

Haben irgendwelche von den Leuten oder Firmen versucht, die Story ein bisschen in ihre Richtung zu drehen?

Nikolaus Geyrhalter: Wir haben uns nirgends beeinflusst gefühlt. Die Firmen, die uns wirklich drehen haben lassen, haben uns vollkommen freie Hand gelassen. In Amerika war es ein bisschen schwieriger, weil die Baufirma uns eingeladen hat zu drehen und die waren auch wirklich cool, aber die Eigentümer, die wollten das eigentlich nicht. Die wollten auf keinen Fall, dass man erkennt, wo das ist und dass der Name von dem Projekt genannt wird. Was ich nie mache ist, dass ich irgendjemand den Rohschnitt anschauen lasse, aus Prinzip nicht. Wenn irgendjemand dann wirklich sehen will, was da passiert ist, dann schicken wir ihnen Links mit dem kompletten Rohmaterial. Sie dürfen alle fünf Stunden oder 20 Stunden durchschauen und sagen, das und das wäre uns lieber wenn sie nicht in den Film hineinnehmen. Das ist erstens einmal eine Aufwandsumkehr. Da muss man dann schon ein bisschen rein hackeln, um sich da durchzuschauen. In dem Fall haben wir dann halt auch den Rohschnitt hingeschickt und sie haben gesagt: Passt eh alles. Dort war es wirklich nur heikel, weil diese Baufirma sonst vielleicht den Contract verloren hätte. Die Leute von der Asse [Schachtanlage in Wolfenbüttel; Anm.] wünschen sich zum Beispiel eine Berichterstattung und sind froh, wenn sie in den Medien irgendwie seriös vorkommen. Die waren extrem kooperativ. Wenn sich normalerweise Personen oder Firmen entscheiden zu kooperieren, dann ist es immer ganz binär, ganz oder gar nicht. Der Weg dahin ist das Schwierige.

Hat es irgendwo sonst noch Probleme gegeben bei der Kontaktaufnahme?

Nikolaus Geyrhalter: Wie gesagt, überall, ständig. Bis wir die Kupfermine hatten, haben wir, glaube ich, 200 andere Minen angeschrieben. Man kann es eigentlich anders herum sagen: Wirklich auf Anhieb war eigentlich nur beim Brenner Basistunnel und bei der Asse eine super Zusammenarbeit gegeben. Alles andere war mühsam.

Und Brenner auch nur deswegen, weil es schon Die bauliche Maßnahme gab?

Nikolaus Geyrhalter: Das war eigentlich ein reiner Zufall. Vielleicht hat es das Vertrauen ein bisschen gehoben, dass da ein Wiener kommt und der sich trotzdem um Tiroler Belange adäquat kümmert. Diese Firmen haben ja auch alle Öffentlichkeitsstellen und Pressebetreuung, die wollen auch vorkommen. Und das Versprechen, das wir immer machen, ist, dass wir sagen: Okay. Wir sind fair. Wir machen keinen Werbefilm für euch, aber wir haben auch nicht vor, euch total zu verarschen.

Gibt es auch Firmen oder Personen, die von dir ältere Filme verlangen, damit sie dich einschätzen können?

Nikolaus Geyrhalter beim Interview; Foto: Manfred HorakNikolaus Geyrhalter: Ja. Wie wir Braunkohle drehen wollten, haben wir erst in Deutschland angefragt bei RWE und Vattenfall und irgendeinem dritten noch und einer von diesen Presseleuten wollte Referenzen. Wir haben lange überlegt, was wir schicken und haben dann doch Unser täglich Brot geschickt. Wir haben gedacht, dass es ein quasi kritischer Blick auf eine Industrie ist, der aber unterm Strich trotzdem gerecht ist und gute Kritiken bekommen hat. Und der hat dann Evelin, die damals die Recherche gemacht hat, zurückgerufen und gesagt: Das war so ein super Film. Vielen Dank, aber Sie werden verstehen, dass wir Sie nicht drehen lassen können. Und am selben Tag hat dann der andere Energiekonzern auch abgesagt. Also die sprechen sich schon ab. Und lustigerweise gehört diese ungarische Mine ja auch RWE, aber so weit reicht dann die interne Kommunikation doch nicht.

Wieso hast du Arbeiter befragt und keine Politiker oder jemand, der einen Konzern leitet?

Nikolaus Geyrhalter: Weil es mich nicht interessiert. Also Politiker schon gar nicht. Diese Eingriffe in die Erdoberfläche passiert einfach mit großen Maschinen und die müssen bedient werden. Das Bedienen dieser Maschinen, die auch ganz mächtige Geräte sind, war schon ein wichtiges Thema. Diese Unmittelbarkeit mit den Personen zu reden, die wirklich verändern, finde ich viel spannender als mit irgendwelchen Chefs zu reden. Was sollen denn die erzählen!? Ich glaube, wenn man den ganzen Tag auf dem Bagger sitzt, dann weiß man schon, was man tut. Da herrschte in Berlin bei der Berlinale in den Gesprächen immer das große Erstaunen: Wie haben Sie das geschafft, dass diese Menschen so gescheite Sachen sagen?. Ich meine, hallo? Nur weil jemand einen Bagger bedient, ist der ja keine Dumpfbacke. Das hat mich zum Teil wirklich schon ein bisschen aggressiv gemacht. Da glaubt der Kulturkreis, dass Leute, die auf Baustellen arbeiten, nur doof sind. Das ist ja nicht der Fall, überhaupt nicht.

Bei den Interviews mit den Arbeitern, merkt man, dass sie natürlich mitbekommen, was sie der Umwelt antun und dass sie nicht ganz damit zufrieden sind. Der eine Arbeiter in Kalifornien hat das ungefähr so ausgedrückt: Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer.

Nikolaus Geyrhalter: So funktioniert unsere Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist ein wahnsinnig komplexes, arbeitsteiliges Gebilde. Und genauso wie wir Fleisch essen - also die meisten von uns - und das Tier nicht selber im Schlachthof umbringen, sondern wen anderen machen lassen, passiert das auf allen Ebenen. Unser Lebensstandard setzt einfach voraus, dass ziemlich viele Ressourcen verbraucht werden und dazu gehört eben unter anderem auch der Bergbau.