Die Ausbeute an außergewöhnlichen internationalen Produktionen in Wien war bei den Wiener Festwochen 2017 deutlich abgespeckt. Diese wurden durch zuweilen halbgare Performances, Diskursformate und Ausstellungen assistiert. Die Themen kreisten inflationär um Postkolonialismus- und Gender-Queer-Diskurse. Vor allem mied man Programm, mit dem man frei von sperrigen intellektuellen Floskeln auch niederschwellig Publikum in Kulturveranstaltungen zu locken vermag. Dafür gab es noch mehr Partys in Wien, mit denen man die Auslastungszahlen doch noch etwas "frisieren" konnte.
Ein Mysterium
Das im Vorfeld als offener für andere Gesellschaftsschichten - als dem bisher üblichen eher kaufkräftigen Festwochen-Publikum - präsentierte Angebot, zog aufgrund des mit oft leeren Fachfloskeln bestückten Programms verstärkt Nischenpublikum an. Ob sich das Partyvolk, das im Performeum beim Hauptbahnhof und kurzzeitig auch im Schloss Neugebäude Quartier beziehen konnte, auch in Aufführungen verirrt hat, ist eine Frage, die aus den von den Festwochen veröffentlichten Auslastungszahlen nicht herausgeht. Zahlen übrigens, die in der medialen Berichterstattung Rätselraten auslösen, etwa, wie denn die Veranstaltungen bei freiem Eintritt gezählt werden hätten sollen [Wie es funktioniert, kann in diesem Interview nachgelesen werden; Anm.]. Fürs Publikum zeigten sich die Veranstaltungen oft schlecht, manchmal sehr schlecht ausgelastet. Und warum und wie die Einführungen und Publikumsgespräche extra noch einmal dazugezählt wurden und offenbar so als eigenständige Veranstaltungen gelten, bleibt ebenfalls ein Mysterium.
Richard Wagners Hund im Reich der Populärkultur
Publikumsrenner waren Ivo van Hoves "Obsession" - vor allem wohl um Hollywoodstar Jude Law in der Hauptrolle live zu bewundern - und Jonathan Meeses und Bernhard Langs Uraufführung ihrer Parsifal-Adaption. "Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz)" mit Richard-Wagner-Loops wird vom grandiosen Klangforum Wien unter Leitung von Simone Young eingängig gespielt. Ursprünglich hätte Meese 2014 schon in Bayreuth seinen Parsifal realisieren sollen, zumindest offiziell aus finanziellen Gründen wurde das Projekt damals abgesagt. Das Kind im Meese inszeniert verspielt, mit vielen Zitaten aus seiner immerwährenden Science-Fiction-Fantasy-Jugend - etwa trägt Parsifal hohe Stiefel und ein knappes rotes Höschen mit Hosenträgern wie Zed im Film "Zardoz". Der prächtige Arnold Schoenberg Chor brillierte auch in Kostümen der Fernsehserie "Mondbasis Aspha 1" und die Blumenmädchen entzücken als Manga-Mädchen. Meeses und Langs Richard Wagner-Ausritt wird auch zu den Berliner Festspielen weiterziehen.
Traiskirchen-Chaos als Musicalstoff
Der Sommer 2015 offenbarte desaströse Zustände im niederösterreichischen Flüchtlings-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Aber es löste eine Welle an Solidarität der österreichischen Zivilbevölkerung aus. "Die schweigende Mehrheit" um Tina Leisch und Bernhard Dechant brachte ein witziges "Traiskirchen. Das Musical" zur Uraufführung. Zahlreiche coole Liederbeiträge bekannter heimischer Gruppen waren zu hören: etwa ein Song von Bauchklang, Texta oder von Eva Jantschitsch alias Gustav.
Oper trifft afrikanische Club-Kultur
"Les Robots ne connaissaent pas le Blues oder Die Entführung aus dem Serail" verband eine Einführung für Opernbanausen, gepaart mit Clubmusik. Mit von der Partie: Ted Gaier von der Punk-Band Goldene Zitronen und die in Paris lebenden ivorischen Sänger, Tänzer und DJs SKelly und Franck Edmond. Frech und ungeniert interpretierten sie Mozarts Musik gemeinsam mit den tollen Opernsängerinnen Nicole Chevalier und Nerita Pokvytyte und den ebensolchen Opernsängern Patrick Zielke und Hyojong Kim. Manche der mutigen Experimente gingen in die Hose und schafften keine wirklich tragfähige Verbindung zwischen diesen musikalischen Universen. Wobei die beiden Universen nebeneinander besser aufgehoben waren, als in ihren Verschränkungen, etwa beim Versuch ohne Opernstimme zum Orchester zu improvisieren. Missglückt ist der Plan der Gruppe La Fleur, um Regisseurin Monika Gintersdorfer, mit "Die selbsternannte Aristokratie", relevantes und aktuelles Performance-Theater aufzuführen. Balzacs Erzählung "Das Mädchen mit den Goldaugen" in fake-barocken Kostümen mit aktuellen Anliegen der Performerinnen und Tänzer zu aktualisieren, brachte keine substanzvollen neuen Erkenntnisse. Die Performer und Performerinnen von La Fleur kommen großteils von der Elfenbeinküste und leben nun in Paris, wo sie in der "Couper Decaler" Clubszene tätig sind. Es ist ein Begriff der für "ergaunern" und dann "versetzen" steht, also sich mit der Beute in die alte Heimat abzusetzen. Die Aufführung geriet zu einer viel zu langen, sperrigen Nacherzählung von Balzacs Text in französischer Sprache, was dann nochmal sperriger - jeweils übersetzt werden musste. Von den durchaus bezaubernden Tänzerinnen hörte man vergleichsweise weniges aus ihrem Leben das Bezug zum Heute schaffen könnte. Und das was man hörte, waren leider zuweilen allzu undifferenzierte Allgemeinplätze.
Club-Performance mit abruptem Ende
Nur zum Teil gelingt es dem New Yorker Künstler und Aktivisten niv Acosta Clubatmosphäre in den Bühnenraum - in das alte Backsteingebäude, wo das Performeum untergebracht ist - zu übertragen. Sein "Discotropic" versandet als Show-Einlage eines Clubbings, dass um 22 Uhr schon das Ende der Party einläutet. Trotz toller Mixes von DJane BERCAT und den Videoarbeiten der Multimediakünstlerin Bleue Liverpool entwickelt die Tanz- und Gesangs-Performance gegen Ende einen dystopischen Sog, der sich auf die Glieder der hoffnungsfroh Tanzfreudigen legt. Nach rund eineinhalb Stunden ist die Party Geschichte und wie ein Kindergeburtstag, rasch zu Ende. Das Publikum wird aus der Halle geworfen, um nebenan, im nicht mal halb so großen Raum, bei grässlicher Akustik weiterfeiern zu müssen. Dementsprechend schnell ist Schluss mit Partystimmung, obwohl das Performeum in den alten Backstein-ÖBB Hallen ziemlich stimmungsvolles Ambiente bieten würde, um den Abend ausklingen zu lassen.Lässiger HipHop, Breakdance und Zeitgenössische Tanz-Moves bringt Bruno Beltraos "Inoah", das unter dem Titel "Streetgang-Party" laufen könnte. Seine rein männliche Grupo de Rua agiert auf meist düsterer Bühne, unterhalb eines schmalen Video-Streifens mit blau über grau bis sternverhangenem Himmel. Die ernst ins Publikum blickenden Männer tragen Hosenröcke und Hemden, während sie halsbrecherische Sprünge und Stürze federleicht abfangen.
Ein Mantra
Durchwachsen zeigten sich die Wiener Festwochen 2017, vielfach inhaltsschwach und umflort von Floskeln zahnlosen politischen Widerstands. Vieles ließ sich als zahme, eskapistische Partykultur-Ausläufer umschreiben. Die gesellschaftliche Relevanz dieser nicht mehr neuen Ideen aber wird nicht größer, wenn man sie mantraartig wiederholt. //
Text: Veronika Krenn
Fotos: Wiener Festwochen