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Gemeinschaftsbildung versus Abgrenzung 

Diese menschliche Grundzerrissenheit bringt Ligia Lewis in ihrer Performance minor matter (Koproduktion mit Hau Hebbel am Ufer, Dramaturgie: Ariel Efraim Ashbel) anhand der schwarzen Erfahrung stellvertretend für die Erfahrung einer Minderheit auf den Punkt. Die schwarze Geschichte, verstanden als Geschichte der 'colored people’', also der Nicht-Weißen, was nicht nur Afroamerikaner umschließt, ist geprägt von Apokalypse und Utopia. Innere Kollektivzwänge hemmen und befördern gleichzeitig das Streben nach Singularität. Die Performerin mit dominikanisch-amerikanischem Hintergrund, die derzeit in Berlin lebt, erkundet mit zwei weiteren dunkelhäutigen Performern unterschiedliche Zustände der Gemeinschaftsbildung und Abgrenzung. Gemeinsam beanspruchen sie den Raum der Bühne für sich und arbeiten sich sinnlich und experimentierfreudig daran ab. Am Ende sind sie wieder völlig im Hier und Jetzt der Bühne angekommen. Also zeigt sich: Blackness ist mit der Black Box des Theaters vergleichbar: ein Möglichkeitsraum, der in seiner Flüchtigkeit dennoch stets limitiert bleibt. 

Politische Diskurse versus persönliche Befindlichkeiten 

Nach dem Solo "Sorrow Swag" ist minor matter als Trio (Lewis gemeinsam mit Jonathan Gonzalez und Hector Thami Manekhela) der zweite Teil des Triptychons "Blue, Red, White", das kurz nach der US-Wahl Premiere feierte. Trumps Aversion gegenüber kulturelle Vielfalt und Minderheiten oder Nigel Farage's folgenreiche Mobilisierung für den Brexit werden auch in der Performance zwar kurz angesprochen, aber sofort wird gleich wieder zu den persönlichen Befindlichkeiten der Künstlerbiographie gesprungen. Immer wieder gibt es solche Schwenks, die politische Diskurse herunterbrechen auf das Hier und Jetzt oder das Eigene.

Liebe versus Wut 

Der Symbolik der Farbe nach polarisiert sie in der in Rot angelegten Arbeit zwischen den Extremen Liebe und Wut. Demensprechend kommt es zum hochintensiven Spannungsverhältnis zwischen Gemeinschaft und Singularität, dem die Performer mit hohem Körpereinsatz nachgehen. Feierlich erwachen die seltsamen Geschöpfe zu Ravels Fanfaren aus Boléro, um gleich darauf wieder in die Nacht zu tauchen und sich zu House ihren ganz eigenen feierlichen Raum frei von herrschenden Identitätszwängen zu nehmen. Mit einer unglaublich dichten Intensität nehmen die Performer in schneller Abwechslung tradierte weiße Musik- und Tanzstile auf und zersetzen sie. Maurice Ravels Boléro wird zu einem Housetrack und nach der triumphierend-ekstatischen Fanfare-Choreographie (Lewis zitiert hier Muarice Béjarts Choreographie Boléro aus dem Jahre 1960) finden sich die Performer wieder in Verzweiflungszuständen am Boden oder in gegenseitiger Rage. Sie reißen schlagartig verschiedene Zustände existenzieller Konflikte an, um sie dann wieder mit einem kräftigen Ruck abzuschütteln und sich so davon zu befreien.

Ihre Körper fungieren als Medien und spiegeln Geschichten der Unterdrückung, Unsichtbarkeit (eine perfide Form des Rassismus ist die Negation der Anderen) und Duldung genauso wie Aufbruch, Rastlosigkeit und Neuanfang. Lewis vermittelt mit ihrer intimen und sinnlichen Poesie der Spiegelung einer anonymen, aber keineswegs abstrakten Erfahrungsgeschichte auf der Bühne das Potenzial, das von der Kraft der Überschreibung ausgeht. Ihre radikale Gleichbehandlung des Raums für stets beides, Licht und Schatten, Abwehr und Annahme, Eigenem und Gemeinsamen, schafft transhistorische Verbindungen und trifft den Nerv der Zeit. Die inhaltliche Tiefe und das passionierte Engagement, welche anhand der dramaturgischen Kontraste und emotionalen Bandbreite hier geboten wurden, zeugt von einer gründlichen Ernsthaftigkeit. Ligia Lewis und ihre Performer haben ohne Pathos oder Klischées nachdenklich gestimmt und zugleich sehr berührt. Gebührender Applaus.