Die Festwochen 2011 präsentieren mit "Wastwater" englische Frischware. In seinem neuen Stück zeigt Simon Stephens drei lose verknüpfte Ausschnitte eines Abends, Frau-Mann-Begegnungen irgendwo in der dröhnenden Einflugschneise von Heathrow. Kammerspiel hätten wir früher dazu gesagt, filmisch heißt das jetzt und klingt gleich viel eleganter.
Harry nimmt Abschied von seiner Pflegemutter Frieda. Beide wollen einander nicht verletzen und wissen, dass sie es doch tun. Eine Umarmung? Szenenwechsel. Die Polizistin Lisa und der Kunstlehrer Mark treffen sich in einem Hotelzimmer, um außerehelichen Sex zu haben. Er möchte zur Sache kommen, sie weicht immer wieder aus und erzählt von ihrer früheren Nebenbeschäftigung als Pornodarstellerin, um ihre Heroinsucht zu finanzieren. Lisa stellt die Regeln auf, macht ihre sexuellen Wünsche klar, fragt, ob ihm das unangenehm ist. Er bleibt, irgendwann wird sie aufhören zu reden, vielleicht. Dritte Szene, in einer verlassenen Lagerhalle: die junge Sian unterzieht den älteren Jonathan einem Verhör. Sie weiß unangenehm genau über sein Leben Bescheid. Von einer Transaktion ist die Rede, Geld gegen eine 9-jährige Philippinin. Missbrauch liegt unausgesprochen im Raum, genannt wird es Adoption. Am Ende stehen sich Jonathan und seine neue Tochter gegenüber und schüchtern sich an: "Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll."
"Worum geht es?", fragt der Festwochen-Dramaturg Matthias Pees beim anschließenden Publikumsgespräch und beantwortet die Frage gleich selbst: Figuren am Rand des Abgrunds, empathielos. Dem Autor gefällt diese Antwort. Die Rede ist vom britischen Theaterstil, wo - wie hier - traditionell naturalistisch inszeniert wird. Stephens findet Schimmelpfennig toll und versucht deshalb mehr mit der Form zu experimentieren. Nicht übel, unterhaltsam, aber auch nicht so richtig überzeugend wie "Port" oder "Motortown". (Text: Christine Koblitz; Fotos: Stephen Cummiskey)
Kurz-Infos:
Wastwater
von Simon Stephens
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung am 15.5.2011 im Rahmen der Wiener Festwochen 2011
INSZENIERUNG / Katie Mitchell
BÜHNE UND KOSTÜME / Lizzie Clachan
LICHT / Lucy Carter
SOUNDDESIGN / Gareth Fry
Frieda / Linda Bassett
Sian / Amanda Hale
Lisa / Jo McInnes
Mark / Paul Ready
Harry / Tom Sturridge
Jonathan / Angus Wright
KOPRODUKTION Royal Court Theatre , London und Wiener Festwochen