Berührendes Theater als Kontrapunkt zur festwöchlichen Omnipräsenzwalze unter der Regie von Martin Schwanda.
Es ist ja nicht gerade einfach, in der Zeit der sogenannten Wiener Festwochen, die ja hauptsächlich ein Fest der Millionen Euros bei überschaubarer kultureller Qualität darstellen, einen Platz zu finden, in dem einfach nur gutes Theater gespielt wird. Es zahlt sich aber aus, z.B. die diversen, überlangen Castorf- und Marthalerschen Fadgasattacken getrost beiseite zu lassen und sich neugierig auf die erste Produktion der neugegründeten Wiener Gruppe "Scaramouche - Theater mit Masken" im Wiener WUK einzulassen.
Kleine Giraffe in staubiger Bürosteppe
Eine öde, graue Bürokulisse (Ausstattung: Christian Weißenberger) samt unentbehrlicher Utensilien - von der Altschreibmaschine bis zum Aktenvernichter - wird zur Arena eines ebenso witzigen wie tragischen Alltags der drei gereiften Männer im Strickpullover, die geflissentlich Tag für Tag ihrer ebenso wuchernden wie kafkaesken Verwaltungstätigkeit nachgehen. Kleine lieb gewonnene Rituale, ein verzweifeltes Aufbegehren individualistischer Seelenreste, sollen die Routine erträglich werden lassen. Aber außer dem Abstreichen eines wieder vollendeten Tages am ewigen Amtskalender bleibt kaum Raum für Erfolge. Umso verstörender, als eines Tages eine junge Kollegin mit Laptop, Handtasche und Desktop-Giraffe die Abläufe im Mikrokosmos des männlichen Stempelparadieses durcheinanderwirbelt. Aus anfänglichem Shreddermüll-Mobbing mit brutaler Giraffen-Hinrichtung wird schnell ein zartes Balzen der graumelierten Aktenhengste mit Jogging-Schuhen, Zitherspiel und Orchidee, dem wiederum alsbald handfest prügelnde Ritterspiele um die Gunst des melancholisch-sanften Fräuleins folgen. Wie dann das Team um Martin Schwanda (Idee, Regie, Masken) wieder aus dem Kuddelmuddel überbordender Offiziums-Sehnsüchte herausfindet, sei hier nicht verraten, sondern nur zum Selber-Anschauen empfohlen - aber sie schaffen es, so witzig wie berührend.
Masken mit vieldeutiger Melancholie - geführt von spielfreudigen und präzisen Schauspieler/innen
Die wunderschönen Kopfmasken haben zarte Traurigkeit, die mit hoher Originalität auch aus dem Universum edler Trickfilm- und Comic Kunst (Tintin, Wallace & Gromit, Les Triplettes de Belleville) schöpft und damit verzaubert. Die vier Schauspieler/innen (Florentina Kubizek, Anne Wiederhold, Peter Bocek, Florian Tröbinger) sind mit diesen Masken beschenkt, aber damit natürlich auch ihrer Mimik entledigt, was die vier aber mit großartigem, minutiösem und fein geführtem Körperspiel mehr als wettmachen. Da wird der Eindruck erweckt, die Masken wären lebendig, da wird mit Blicken und kleinen Gesten raffiniert gespielt und sogar die kurzen Momente echter, menschlicher Nähe funkeln und strahlen. Hohe Musikalität formt ihr Spiel genauso wie bewundernswerte Athletik mit ihren ästhetischen Kunstköpfen. Die in jeder Phase des Abends beglückende Musik (extra für die Produktion wunderbar komponiert von Klaus Karlbauer) treibt manchmal die Bürohengste durch Ihre Ordnersteppe, manchmal lässt sie ein ziseliertes Gespinst von intimen Gefühlen entstehen und auch der allgegenwärtige Regen scheint dazuzugehören - besonders wenn er kurz einem sonnigen Gezwitscher weicht. Hier traut sich dieses Körper- und Maskentheater einen kompromisslos modernen Weg zu zeigen: kein verstaubtes Stadttheater, aber auch kein pseudoradikal-überwuzeltes Regietheater Marke Festwochen. Dieses Stück ist sehens- und erlebenswert. Möge die Giraffe wachsen und gedeihen. (Text: Tristan Jorde; Fotos: Scaramouche)
Kurz-Infos:
Amour Fou von Scaramouche - Theater mit Masken
Bewertung: @@@@@
Uraufführung am 3.6.2011 im WUK (Wien)
Idee, Regie, Masken: Martin Schwanda
Ausstattung: Christian Weißenberger
Musik: Klaus Karlbauer
Darsteller/innen: Florentina Kubizek, Anne Wiederhold, Peter Bocek, Florian Tröbinger