Nicht-Tanzen ohne Musik auf höchstem Niveau. Aber das in verschiedenen Schattierungen, in die man unterschiedlich viel hineingeheimnissen kann. Der zeitgenössische Tanz versucht sich schon seit längerem neu zu erfinden. Das Zauberwort unter den Choreographen heißt "research". Entsprechend verkopft ist es dann mitunter. Immerhin kann und darf manchmal auch gelacht werden.
Die Künstler lobten bei der Abschlusspressekonferenz das kritische Wiener Publikum (das zu einem guten Teil aus den Teilnehmern des Workshop-Programms generiert wird oder zumindest international, jung und durchtrainiert aussieht) und die schönen Rahmenbedingungen des Festivals. Der Intendant Karl Regensburger verkündete stolz die Auslastung (voraussichtlich 96%, 105 Vorstellungen, ca. 60.000 zahlende Besucher). Der künstlerische Leiter Ismael Ivo freute sich über den Trick, mit dem es gelungen ist, namhafte Choreografen für die Workshops zu gewinnen. Sie müssen jetzt nicht mehr unterrichten, sondern dürfen exklusiv "research" betreiben, wofür das teilnehmende Studiensubjekt auch noch bezahlt. Als Repräsentantin des exklusiven Sponsoringpartners Novomatic freute sich Frau Dr. Monika Racek über die gute Zusammenarbeit und die gelungene Annahme des extra für ImpulsTanz frühzeitig eröffneten Novomatic-Forums als Festival-Lounge. Aber ist all diese Freude auch berechtigt?
Bare Soundz von Savion Glover
Der Titel ist Programm. Drei kleine Plattformen stehen auf der Bühne, dahinter jeweils eine Box, die die Schritte verstärkt. Für ca. 70 Minuten wirft Savion Glover seine Präzisionsmaschine an. Keine, der hier besprochenen Produktionen ist länger. Im Unterschied zur Eröffnung sind die Stücke diesmal weitestgehend durchchoreografiert. "Improvographie" heißen diese Schritte von Mentor Gregory Hines, die Platz lassen für die eine oder andere Improvisation. Immer locker in den Knien erzeugt Savion Glover mit Marshall Davis Jr. und Cartier Williams puren Rhythmus. Am Schluss gab es Standing Ovations, die auch nach einer ordentlichen Zugabe nicht enden wollten.
Les Inconsolés mit Alain Buffard
Die Unversöhnten. Scham zwischen Verlangen und Bestrafung. So unentrinnbar wie im "Erlkönig". Wer weiß schon, was sich da im Wald abgespielt hat zwischen Vater, Sohn und Erlkönig. Das Gedicht von Goethe, als Text und in der dramatischen Schubertinterpretation von Georgette Dee - bildet die Klammer für diesen Abend. Die Tragik liegt in dem, was nicht gesagt wird. Der französische Choreograf Alain Buffard lässt die Körper sprechen und beschwört gleichermaßen beunruhigende wie fesselnde Bilder.
"Ich glaube, dass wir nicht getröstet werden können" (Alain Buffard)
Bilder aus der Vergangenheit, die einen einholen und niemals ungeschehen gemacht werden können. Die Harmlosigkeit des Spiels und die Sexualität liegen knapp beisammen. Kindesmissbrauch stand schon im Zentrum des Festwochen-Gastspiels Purgatorio . Wo Castellucci das Nachdenken mit seinen Bildern erdrückt, zeigen die Figuren und Schatten von Alain Buffard überzeugend den inneren Zwiespalt zwischen Abstoßung und Begierde. Am Ende bleibt als Ausweg aus sich selbst nur der Strick.
Xavier le Roy in "Self unfinished"
Der 46-jährige Xavier le Roy ist der Konzeptkünstler unter den Nicht-Tänzern. Bei seinem ebenfalls während des Festivals gezeigten Solo "Sacre du printemps" kommt der Bewegungsimpuls wie beim Dirigenten vor der Musik. In "Self unfinished" stellt er den Körper auf den Kopf. Als Prelude gibt er exakte Roboterbewegungen mit Beatboxing. Darauf folgt "eine Fuge der isomorphen Möglichkeiten des Körpers", wie es im Programmheft so schön heißt. Arme und Beine sind praktisch bedeutungsgleich. Oder wie das kleine Mädchen hinter mir im Sekundentakt flüsterte: "Und was ist er jetzt?" Xavier le Roy verbiegt sich, schält seine Arme in einen zweiten Unterleib und wird zu einem miteinander verbundenen Duo. Der Kopf sitzt nicht länger zwischen den Schultern, aus Armen werden Fühler. Dann wandelt sich die Nacktschnecke in einen Frosch. So nimmt er immer neue Formen an. Interessant, aber auch etwas ermüdend. Musik? Als Schlussstatement tönt "Upside down" aus dem Ghettoblaster auf der Bühne.
Pieter Ampe & Guilherme Garrido: A still difficult duet
Dieses Stück ist für das Festival etwas Besonderes, weil sich die beiden Tänzer 2006 hier kennen gelernt und beschlossen haben, ein gemeinsames Stück zu machen. Von der Kuratorin der [8:tension]-Reihe, Christa Spatt, gefragt, was denn so schwierig sei, antwortet Peter Ampe: "Die Arbeit mit Guilherme. Er ist faul, riecht ein bisschen und er ist Portugiese." Guilherme Garrido meint, sie verstünden sich privat recht gut und standen vor der Frage, wie man das in ein Stück bringt.
"We are Pieter Ampe and Guilherme Garrido and we are lost a bit at the moment."
Am Abend schauen die beiden in der Halle G im Museumsquartier vorbei. Musik haben sie für die nächsten 40 Minuten keine dabei. Sie begrüßen ihr Publikum mit "Wir sind sehr verrückt, hier zu sein" und "Thank you for coming. We hope you enjoy the Show." Dann legen sie rasch noch ihre Kleidung ab und los geht's. Zum Aufwärmen wird eingehüpft, am Platz, um die eigene Achse, vor und zurück, seitwärts auf irisch und klassisch im Kreis. Und schon geht das Divengezicke los. Zeit für eine Verschnaufpause, einatmen, ausatmen. Die harmlose Grundstimmung ist dahin. Die Freunde entpuppen sich als Egoisten gefangen in einem Duo. Klapse werden ausgeteilt, Schwanzlängen gemessen (nicht im übertragenen Sinn), dem anderen Scham- und Barthaare ausgezupft - was es eben so an kleinen Gemeinheiten gibt. Sie lassen ihre Muskeln spielen und pflegen die große Geste. Das alles immer mit aus dem klassischen Ballett inspirierten Bewegungen in eine abschließende Pose hinein. Doch dieses Spiel kippt, wenn Pieter Ampe auf seinen am Boden liegenden Partner steigt und sich nicht mehr abwerfen lässt. Auch nicht, als Guilherme Garrido aufsteht. Dafür hat er nachher ein schlechtes Gewissen. We did enjoy the Show.
Olivier Dubois ist Faune(s)
Bei der Pressekonferenz erzählt Olivier Dubois mit viel Überzeugungskraft sein Vorhaben, die tragische Geschichte des Fauns ausgehend von der Pariser Interpretation Vaslav Nijinskys 1912 in vier Variationen zu erzählen. Dessen Choreographie zu Claude Debussys 12-minütigem Musikstück "Prélude à l'après-midi d'un faune" war damals ein kleiner Skandal. Er weigerte sich, die im Ballets Russe übliche Hochleistungshüpferei zu zeigen, sondern stolzierte im Profil, ohne sein Gesicht zu zeigen und mit nur einen kleinen Sprung durch das Werk um glaubhaft das Wesen des Fauns darzustellen. Eine Woche war Olivier Dubois in intensiver "residency" in Wien, Endproben hätte man früher dazu gesagt. Entsprechend hoch sind meine Erwartungen für den Abend. Was folgt ist eine herbe Enttäuschung. Die ersten Minuten wird ein Schwarz-Weiß Video auf den Vorhang projiziert. Der erste Faun stellt jungen Tennisspielern nach. Sein Verlangen ist nicht zu übersehen. Gegen bares bekommt er ein verschwitztes T-Shirt im Stundenhotel und erfüllt sich damit seine Lust. Teil II ist die schon erwähnte historische Vorlage. Statt der jungen Burschen sind es Nymphen, statt dem T-Shirt ein Schleier. Dazu Debussy. So weit so ordentlich. Als nächstes zwängt Olivier Dubois seinen stattlichen Körper in das Kostüm eines Jägers, presst die Sehnsucht mit Riesenhänden aus einem Waldhorn und verwandelt sich in einen Satyr. In Teil IV wachsen ihm Hörner, sein Pelz wird zum Fell, das die ganze Bühne überzieht, während ihn der wummernde Lärm zudröhnt. Hier verschwindet die Idee unter einer aufwändigen, leeren Pose und hinterlässt den Eindruck einer unfertigen Arbeit. Auch wenn diese schon 2008 beim Festival in Avignon Premiere hatte. Matter Applaus für wenig Tanz und etwas Musik und viele ratlose Gesichter.
Ob der weitestgehende Verzicht auf Musik an einer der Rezession geschuldeten Sparpolitik liegt?
Bei allen von mir gesehenen Vorstellungen kam Musik, wenn überhaupt, nur äußerst sparsam zum Einsatz. Und dann möglichst in Abwesenheit der Tänzer auf der Bühne. Verständlich, denn sonst hätten sie sich womöglich dazu bewegen müssen. Ab und zu ist es doch passiert, stimmig und harmonisch. Gut, auch Tanz darf natürlich nicht nur unterhalten, sondern auch anspruchsvoll und gelegentlich anstrengend sein (siehe Alain Buffard). Aber man will als Zuseher nicht nur für Generationen vergnügungssüchtiger Balletbesucher büßen. (Text: Christine Koblitz; Fotos: Vencent Cavaroc, Marc Domage, Bart Grietens, Raynaud de Lage, Katrin Schoof, Herman Sorgeloos)
Kurz-Infos:
Bare Soundz
Bewertung: @@@@@
Spielort: Halle E
Konzept: The Original Hoofers
"Improvographie": Gregory Hines
Tänzer: Savion Glover, Cartier Williams, Marshall Davis Jr.
Les Inconsolés
Bewertung: @@@@1/2
Spielort: Volkstheater
Konzeption: Alain Buffard
umgesetzt von: Alain Buffard, Mattieu Doze, Christophe Ives
Self unfinished
Bewertung: @@
Spielort: Akademietheater
von und mit Xavier Le Roy
still difficult duett
Bewertung: @@@@@
Spielort: Halle G
von und mit Pieter Ampe und Guilherme Garrido
Faune(s)
Bewertung: @@@
Spielort: Akademietheater
Konzeption: Olivier Dubois
mit: Olivier Dubois, u.a.