Ein Projekt von Christoph Marthaler und Anna Viebrock - einer Koproduktion der Wiener Festwochen - kam am 10. Mai 2009 in der Halle 1 der Studios am Rosenhügel zur Uraufführung. "Riesenbutzbach" heißt das Schauspiel mit Liedern, das zur makroökonomischen Bildung beiträgt und zum Schlafen anregt.
Also die Rosenhügel-Studios. Imposante Halle, geschichtsträchtiger Boden. Mitten hinein, als gäbe es kein Morgen, eine sündteure Theaterkulisse hineingeklotzt (Bühne: wie immer bei Marthaler: Anna Viebrock). Und die bleibt auch gleich das Beste bei diesem dümpelnden Zweieinhalbstünder aus beharrlich zelebrierter Langsamkeit. Es empfängt uns also Grindmöblierung aus der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderphase, Garagentore führen nahtlos in Wohnzimmermöblage, Balkons grüßen über dem Mistkübel und eine Art Büro ist auch hineingestellt worden. Eine wahre Trash-Ästhetik, aber immerhin. Zusammen mit gleich gestalteten Spießerkostümen eine Atmosphäre der Hässlichkeit und ins Absurde geführten Zweckmäßigkeit vor Mauerblümchentapete. Kann man noch gelten lassen.
Fadesse auf höchstem Preisniveau, oder: Gähnen in Riesenprotzbach
Den Abend aber zeichnet aus, dass über lange Phasen gar nix passiert. Das empfindet Christoph Marthaler wahrscheinlich als erzieherisch für sein aus einer hektischen Welt herein geflüchtetes Theaterpublikum. Der erste Gähnreflex nach zehn Minuten Stillleben mit sechs Frauen. Es sollte nicht mein einziger bleiben. In den Pausen zwischen den dominierenden Phasen des absolut Nervenzerrenden Stillstands auf der Bühne, (der nicht zum Innehalten sondern vielmehr zum Beobachten der geschickt montierten Sitzreihen im Publikum animiert), in diesen kläglichen Versuchen zu Handlungsanläufen also, werden unsägliche No-Na-Net-Krisen-Kalauer geboten (Dramaturgie und Texte: Stefanie Carp, nebenbei praktischerweise auch die Schauspielchefin der Festwochen). Wir erfahren dabei so brandaktuelles wie: die Konsumgesellschaft hat ihre Tücken (ah, danke!), die kleinen Leute sind die größten Verlierer (wer hätte das gedacht?) und für das Versagen weniger zahlt die Allgemeinheit (pardauz!).
Angewandte zerebrale Autoerotik mit Mikrounterstützung
Diese holprig eingewobenen Textflächen - angewandte zerebrale Autoerotik mit Mikrounterstützung - tragen also zu unser aller makroökonomischer Bildung bei. Da sage noch jemand, "modernes" Theater sei keine moralische Anstalt! Dann gibt es dazwischen einmal eine Lärmorgie aus den Garagen, ein an Plumpheit kaum zu unterbietendes Telefongespräch eines Familienmörders und die Beweinung des Mobiliars. Ideen von Theater - und was es sein könnte - kommen ab und zu in den ironisierten Gesangssequenzen (Chöre und Heimorgel) und bei einzelnen szenischen Gags auf, die aber dann gleich wieder regelmäßig und mit Bravour jegliches Seichtigkeitsniveau mühelos unterschreiten. Nachbarn werden erschossen und stehen wieder auf. Dann wieder zehn Minuten absichtsvolle Langeweile. Krähen krächzen (wie vergänglich doch alles zu sein scheint, mit Ausnahme der Zeit an diesem Abend). Französisches Geplapper (Hinweis: Wiener Welttheater!) trifft auf gebrüllte Wortfetzen. Man meint sich in einem frühen Probenstadium, aber die Seitenblicke befilmte Anwesenheit von Kulturstadtrat, Festspielintendant und der zugehörige Promi-Almauftrieb belehren uns eines Besseren.
Vorschneller Schlussapplaus
Der Regisseur konnte sich offensichtlich nicht von seiner Bühne trennen, besonders drastisch zu merken am holprig inszenierten, sich über zwanzig Minuten hinziehenden Schluss, in dem verklemmte Krisenopfer ihre Abgangsmodenschau geben und einige beherzte Menschen aus dem Publikum mit vorschnellem Schlussapplaus dem lähmenden Endspiel einen definitiven Schlusspunkt verpassen möchten. Allein, Marthaler lässt ihnen keine Chance und exekutiert gnadenlos sein elendslanges Finale suderoso. Einmal mehr: dieser Kaiser hat keine neuen Kleider, dieser Kaiser ist nackt. Und es war lang. Und fad. (Text: Tantris; Fotos: Dorothea Wimmer)
Kurz-Infos:
Riesenbutzbach
Bewertung: @@ (der zweite nur für die Musik)
Wiener Festwochen
Spielort: Filmstadt Wien / Rosenhügel-Studios, Halle 1
Inszenierung: Christoph Marthaler
Bühne: Anna Viebrock
Bühne Mitarbeit: Thilo Albers
Kostüme: Sarah Schittek
Regie Mitarbeit: Gerhard Alt
Musikalische Leitung: Christoph Homberger
Musikalische Assistenz: Bendix Dethleffsen
Dramaturgie und Texte: Stefanie Carp
Lichtdesign: Phoenix (Andreas Hofer)
Maske: Christian Schilling
Mit: Marc Bodnar, Raphael Clamer, Bendix Dethleffsen, Silvia Fenz, Olivia Grigolli, Christoph Homberger, Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Katja Kolm, Bernhard Landau, Barbara Nüsse, Sasha Rau, Lars Rudolph, Clemens Sienknecht, Bettina Stucky