covergirl01Abgründe im szenischen Konjunktiv taten sich im Gastspiel von Herold/Fliri im Kosmos Theater Wien bei der Premiere von "Covergirl" am 6. Mai 2009 auf.

Dieses Stück hätte viel erzählen können. Die zur öffentlichen Person gemachte, einfache US-Soldatin Lynndie England posiert auf Drängen ihres damaligen Freundes zu menschenunwürdigen Folterszenen im Irak-Krieg. Mit Zigarette und Lächeln. Die Sache fliegt auf, weil die unglaublich brutalen Soldat/innen in Abu Ghraib auch noch so selten dumm sind, dass ihnen neben Maß und Schamgefühl auch die Gerissenheit fehlt, die es doch so sehr braucht, in einer Gesellschaft, die zwar das institutionelle Töten für vorgeblich hohe Ziele toleriert, aber die Bilder dazu "sauber" halten möchte.

covergirl02covergirl03Natürlich wird Lynndie zum Monster stilisiert, und andere, auch wenn sie noch so grausame Kriegstaten und -verbrechen begangen haben, bleiben ungeschoren. Natürlich ist das geheuchelte mediale Entsetzen noch größer, weil doch eine Frau so etwas nicht tun kann (als ob es bei Männern verständlicher wäre). Und natürlich haben alle ihre Pflicht getan und militärische und politische Oberbefehlshaber nichts davon gewusst (auch das nicht neu - von Antigone bis Waldheim).

Es wäre auch spannend gewesen, in all ihre persönlichen Abgründe einzutauchen. Dem nachzuspüren, wie einer einfachen Frau aus der Provinz die elementaren menschlichen Abwehrreflexe ausgetrieben werden, durch soziales Elend, durch militärischen Drill, durch den unvorstellbaren Druck eines Krieges. Oder wie sie das, was sie enthemmt und aufputscht, mit ihrem Privatleben vereinbaren kann, im Gespräch mit ihren Eltern, ihrem Kind, ihren Freund/innen. Wie militärischer Alltag Menschlichkeit zerreibt. Und trotzdem die scheinbar einzige Heilsversprechung einer Karriere bietet. Wie ist diese Frau außerhalb der barbarischen Gefängnismauern im Irak? All dies erlebbar zu machen auf der Bühne, wäre eine große Herausforderung für diese ungeheuerliche Geschichte gewesen. Eine Herausforderung an Buch, Regie und Spiel.

Zynische Distanz

covergirl04covergirl05Leider bleibt der Abend völlig lakonisch an der Oberfläche, übt sich in Distanzierung und Entfremdung, in Leidenschaftslosigkeit und gespielter Nebensächlichkeit. Es war dem Stück die Angst anzumerken, in diese menschlichen Abgründe wirklich einzutauchen und damit den Horror plastisch entstehen zu lassen, den noch so detaillierte Nachrichtensendungen im TV immer nur mit zynischer Distanz seicht flimmernd auf die Bildschirme senden.

Es gibt ein paar solche Momente in dem Stück, beispielsweise, wenn die scheinbar zivilisierte Mutter, oder die noch viel verlogenere Talkmasterin zu Wort kommen, da blitzt auf, was alles hätte sein können, bei Lynndie und auf der Bühne. Davon mehr ließ aber die klar fehlende Distanz zwischen Autorin und Regisseurin einfach nicht zu. Daher blieb die grausame Geschichte der Lynndie England und der Menschen, die sie medial und politisch ausschlachteten leider nur im szenischen Konjunktiv. (Text: Tantris; Fotos: Franz Nagel)

Infos zum Stück:
Covergirl
Bewertung: @@@
KosmosTheater
Siebensterngasse 42, 1070 Wien

Ein Gastspiel von Herold / Fliri
Es spielt: Maria FLIRI
Text und Regie: Barbara HEROLD
Kostüm: Ursula N. MÜLLER
Licht: Arndt RÖSSLER