kissenmannDie unbändige, faszinierende Macht des Geschichten Erzählens. "Der Kissenmann" unter der Regie von Andreas Robertz ist großes, neues Theater, aufgeführt als Gastspiel des artheater Köln in Kooperation mit Moving Theatre, im WUK.

Wir steigen knallhart ein. Ein Polizeiverhör. Guter Polizist und böser Polizist. Ein Mann, verdächtig unsagbar grausamer Kindermorde. Das Indiz: Seine Geschichten, in denen genau diese Morde beschrieben wurden. Die Methoden: brutal und zynisch. Irrwitzig absurd die Szenerie. Kaltes, fleckiges Neon-Viereck. Verstörende Geräusche und Töne. Big Brother meets Brasil. Guantánamo trifft auf vermeintlichen Kinderschänder. Das ist das Stück "Der Kissenmann".

Zugegeben, der Abend ist keine leichte Kost für Menschen mit zartbesaitetem Gemüt. Aber selbst diesen sei ans Herz gelegt, hier eine Ausnahme von ihren Gewohnheiten zu wagen und eine der leider nur wenigen Vorstellungen im WUK zu besuchen. Selten noch ein so glückliches Zusammentreffen einer packenden, kafkaesken Schockergeschichte (wunderbar englisch, zynisch, böse von Marin Mc Donagh) mit Querverweisen auf Monty Python. Kongenial umgesetzt von dieser Kölner Gruppe, die modernes Theater im besten Sinne zeigt. Spannend, höchst witzig, schockierend und tief berührend.

Im Laufe des brutalen Verhörs werden wir immer aufs Neue Zeugen einer sich drehenden Schuldfrage, der Aufhebung von Dichtung und Wahrheit - und dazu immer wieder der hypnotische Sog von scheinbar simplen, erzählten Geschichten. Die sparsame, nichtsdestotrotz großartige Musik (Stefan Bohne) bringt elektronische Beunruhigung, brummend, schrill oder fiepend. Die karge Bühne und die präzise, niemals störende und mit viel Liebe zum Detail gesetzte Regie von Andreas Robertz halten Spannung bis zur Unerträglichkeit am Köcheln und führen zwangsläufig in schlüssige Eruptionen. Die Kostüme von Pino Cervino unterstreichen effizient und pfiffig den surrealen Wahnsinn.

Und zweifellos machen die großartigen schauspielerischen Leistungen des Ensembles (Stefan Bohne, Achim Conrad, Bernd Rehse und Tomasso Tessitori) den ohnehin energiegeladenen Abend noch zum theatralen Leckerbissen erster Güte. Da ist jede der vier Figuren (die beiden Polizisten und die Brüder Katurian) mit größter Sorgfalt erarbeitet. Genau werden körperliche Eigenheiten gezeigt, ohne unnötige Manierismen und mit einer technisch und emotional farbenreichen Konturierung, die diese futuristischen Typen plastisch hervortreten lassen. Dazu sprachliche Präzision und ein großartiges Gefühl für Timing, fetzige Dialoge und verstörende Weichheit mittendrin.

Es wäre auch ein Lehrstück für neues Theater, wenn nicht die dramatische Wucht der Aufführung einen schon einfach hineinzieht und nicht mehr loslässt. Unglaublich wieder zu erleben, dass die Wurzel allen Theaters, das Erzählen von Geschichten, eine so magische Kraft entwickelt, die keine Sekunde veraltet wirkt, ganz im Gegenteil: moderner nicht sein könnte. Die Verleihung des Kölner Theaterpreises ist die absolut berechtigte Würdigung dafür, dass beim "Kissenmann" das Stück und die Menschen dem Theater eine beklemmende, bewegende, verstörende und dabei immer höchst unterhaltende Zeit schenken. Eine große Empfehlung! Zu sehen noch bis 25. April 2009 im WUK. (Text: Tristan Jorde; Foto: Christoff Geissel)

Kurz-Infos:
Der Kissenmann
Bewertung: @@@@@
WUK (Saal)
Gastspiel des artheater Köln
22. bis 25. 4. 2009
Regie: Andreas Robertz
Musik: Stefan Bohne
Kostüme: Pino Cervino
Licht: Johannes Kordes
Bühnenbild: Michl Thorbecke
Es spielen: Tomasso Tessitori, Achim Conrad, Stefan Bohne, Bernd Rehse.