Archäologenutensilien auspacken und vorsichtig alle Spuren frei legen, nur ja nix verwischen oder gar zertrümmern. Die Sängerin begab sich seit jeher auf die Spurensuche der Kelten und jener versunkener Zeit, in der dieses mystische Volk ihre kulturellen Einflüsse wirksam machten.
Loreena McKennitt verfügt dabei über eine Stimme, die man freilich sehr gerne gerade mit Mystik und Mythen in Zusammenhang bringt (was bisweilen – bei ihr zu Unrecht – mit Esoterik verwechselt wird) und untermauert ihre schöne Gesangsstimme mit grundsoliden musikalischen Arrangements – zwar nicht allzu eckig, aber eben auch nicht weichgespült. Damit ein derartiges musikalisches Unterfangen klappt und erst gar nicht in die Ecke der Lächerlichkeit gedrängt wird, bedarf es einigermaßen an Logistik (und irgendeinen großen Finanzier dahinter). An der Fertigstellung von „An Ancient Muse“ wirkten immerhin an die fünfzig Musiker mit – u.a. Kapazunder wie Manu Katché, Haig Yazdjian und Hugh Marsh. Aufgenommen wurde das Album in zehn Studios zwischen England (Real World Studios von Peter Gabriel) und Griechenland, Kanada und USA. Dass ein derartiges Musikeraufgebot und eine derartige Vielzahl an diversen Aufnahmeorten letzten Endes nicht immer der Musik dienlich ist und den einzelnen Musikstücken ganz einfach die Gefahr läuft überproduziert zu werden ist dabei ziemlich hoch. Loreena McKennitt bugsierte allerdings alle Gefahrenquellen ins Reich der Fiktion und schuf mit „An Ancient Muse“ ein Lehrstück wie man in konzentrierter Form kompromisslos seine musikalischen Visionen umsetzen kann.
Die neun Kompositionen von McKennitt, allen voran der wunderbare Einstieg mit „Incantation“ und einer nonverbalen Stimmperformance, sowie das nachfolgende „The Gate of Istanbul“ inklusive dem musikalischen Gütesiegel was Verschmelzung divergierender Musikkulturen betrifft, bringen die aufmerksamen Zuhörer garantiert sofort in die richtige Position.
In „Caravanserai“ bleibt die Sängerin – nachdem sie das Tor von Istanbul geöffnet hat – in der Türkei und somit auf den östlichsten Spuren, die Kelten hinterließen. Ausgangspunkt von „An Ancient Muse“ ist übrigens eine Textzeile in Homers „Odyssee“ (“Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes...“), um Reiseschilderungen bis in die Ebenen der Mongolei, in König Midas’ Reich und bis ins alte Byzanz zu folgen. Alles freilich neu aufbereitet und in die Gegenwart transportiert. Der Instrumentenmix von herkömmlichen Instrumenten (Bass, Schlagzeug, Gitarre, Klavier) und so genannten Exoten bringt rhythmische Vielfalt ins Spiel, ohne allzu verspielt zu wirken. Harfe, Drehleier und Akkordeon gehören genauso zur Ausstattung wie Oud, Lyra und Kanoun bis hin zur Nyckelharpa, der skandinavischen Tastenfiedel. „An Ancient Muse“ ist – um es platt zu formulieren – ein zeitgenössischer historischer Roman von Loreena McKennitt mit unterschiedlichen musikalischen Requisiten und Stimmungen im High-End-Format. (Manfred Horak)
Musik: @@@@
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: Quinlan Road/SPV (2006)