Avantgardistisch und preisgekrönt.
Die zeitgenössische Musik, egal ob es sich um Jazz oder um die so genannte „Ernste Musik“ handelt ist ja, sollte, per Definition, eine momentane Erscheinung sein, eine Musik, die nach vorne strebt, die neue gesellschaftspolitische Zusammenhänge akustisch instrumentiert und den denkenden „Homo Ludens“ zu neuen, nicht nur Hörgewohnheiten sondern auch zu Verständnisgewohnheiten führt. Die Avantgarde hat die Aufgabe, die Speerspitze dieser Richtung zu sein, unbedacht der Akzeptanz der Hörer, ihre Aufgabe ist es und wäre es, kritische Geister an den Mainstream, an das Kommende, an das Angedachte, an das „noch“ Denkunmögliche, heranzuführen. Diesen Konsens muss sich die zeitgenössische Musik, egal in welcher Spielart sie sich offenbart, zu Nutze machen um ein neues Denken zu forcieren. Musik als das Ausdrucksmittel der unterschiedlichsten Kulturen erhob schon immer den Anspruch auf das Verbindende. Postulat Ende.
Diesem Anspruch gerecht zu werden ist nicht immer ganz einfach, aber der Komponist Pierluigi Billone, ein seit einigen Jahren in Wien lebender und vielfach ausgezeichneter Komponist schuf in enger Zusammenarbeit mit Petra Stump, der "Artist of the Year" im Rahmen der BA-CA Kunst-und Kulturförderung, und ihrem musikalischem Partner Heinz-Peter Linshalm das Werk "1+1=1". In dem Auftragswerk der BA-CA bezieht sich der Komponist auf ein Zitat aus dem Andre Tarkovskij Film "Nostalghia" in dem es heißt: "Ein Tropfen plus ein Tropfen ergibt einen größeren Tropfen, nicht zwei."
An die Grenzen der Hörbarkeit des noch nie Gehörten und der Unerreichbarkeit dieser Grenzen führt die Komposition von Billone. Hervorragend umgesetzt wurde das Werk von der Klarinettistin Petra Stump, die bei Johann Hindler an der Universität für Musik in Wien Klarinette und am Conservatorium van Amsterdam bei Harry Sparnaay Bassklarinette studierte und auf Meisterkurse bei Stockhausen, Molinari und Brandhofer in ihrer noch jungen Vita - sie wurde 1975 geboren - verweisen kann. Darüber hinaus ist sie auch - gemeinsam mit Heinz-Peter Linshalm - Herausgeberin der Klarinettenschule "Clarinet Up Date - Neue Musik für junge Klarinettisten" beim Musikverlag Doblinger.
"Schon lange neige ich im Rahmen meiner Arbeit zu solchem Hören auf die Besonderheit und die Unterschiede", so Billone über sein Werk, "ich suche nach möglichen Berührungspunkten und Verbindungen zwischen Dimensionen, die jedoch ihre Autonomie behalten." Er betritt noch unbekannte Hörräume und gräbt sorgsam nach Unbekanntem, noch Ungehörtem. Die Komposition schafft eine Eindringlichkeit, die bisweilen fast an die Schmerzgrenze geht, zugleich eröffnet sie aber auch den Ausführenden ungeahnte Freiräume die diesem mit ihrem teilweise sehr persönlich gehaltenem Erfahrungsschatz zu füllen im Stande sind. Hier werden die Hörer an Klangspektren herangeführt die tatsächlich die Bezeichnung Avantgarde verdienen und die doch nicht mehr sind als unser tägliches Leben. (akro)
CD-Tipp:
1+1=1 (2006; Kairos)
Live-Tipps:
27.11.2006 (20 Uhr)
Grosser Minoritensaal
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz
7.12.2006 (18 Uhr)
Musikzimmer, Hofburg
1010 Wien