Überdurchschnittlich gut: die experimentellen Seiten im Solo-Werk von Sir Paul McCartney.
In Teil 3 ging es um die Kritikerungunst. Paul McCartney wurde oftmals vorgehalten, er mache es sich zu einfach, sei zu durchschnittlich und produziere daher nur unterdurchschnittliches. In diesem Teil werfen wir daher einen Blick auf jene Ergebnisse von Paul McCartney, die ihn musikalisch weitest möglich weg von diesen Vorwürfen brachten.
Why don't you try me?
Steigen wir zunächst mal im Oktober 1995 ein, denn da kam es zu einem erneuten Treffen zwischen dem damals knapp 70-jährigen großen Beat-Poeten Allen Ginsberg und Paul McCartney. Die beiden kannten sich bereits seit 1965 und der Kontakt riss offenbar nie wirklich ab. Ginsberg kollaborierte ja immer wieder mal mit Musikern und Bands, sei es mit Bob Dylan Mitte der 1970er Jahre, sei es mit The Clash in den 1980er Jahren. Im besagten Oktober 1995 besuchte Allen Ginsberg die McCartney Familie in England, da der Poet gemeinsam mit anderen Lyrikern einen Auftritt in der Royal Albert Hall hatte, um eine Performance zu "The Ballad of the Skeletons" zu absolvieren. Bei diesem Privattreffen fragte Ginsberg McCartney, ob er einen jungen Gitarristen kenne, der schnell lernfähig und flexibel sei. "Why don't you try me?", soll daraufhin Paul McCartney gefragt haben. Und so entstand ihre Zusammenarbeit, die zunächst einmal beim Live-Auftritt ihre ersten Früchte trug. Ginsberg trat als Höhepunkt des Abends am Ende auf und niemand im Saal wusste, dass Paul McCartney ihn an der Gitarre begleiten würde. Ginsberg: "We introduced him at the end of the evening, and then the roar went up on the floor of the Albert Hall, and we knocked out the song." Danach meinte McCartney, wenn er (Ginsberg) vorhabe, das Gedicht professionell aufzunehmen, so möge er es ihm wissen lassen. Und so kam es dann auch. Ginsberg schickte McCartney die Basis-Aufnahme, und dieser ließ sich nicht lumpen. Neben Maracas und Schlagzeug spielte Paul eine E-Orgel und die Gitarre. Erweitert wurden die Aufnahmen von Philip Glass am Keyboards und der Gitarrist der Patti Smith Group - Lenny Kaye - spielte den Bass ein, weitere Gitarrenspuren kamen von Marc Ribot und David Mansfield. Die politische Satire "The Ballad of the Skeletons" wurde schließlich als CD-Single bei Mercury Records veröffentlicht und das dazu gehörende Video von Regisseur Gus Van Sant erhielt via MTV große Popularität. Der Beatles-Fan Allen Ginsberg freute sich wie ein kleines Kind: "It's the closest I'm going to ever come to being in The Beatles. I giggled like a teenager." Dem einen seine pure Freude [noch dazu am Lebensende; Allen Ginsberg starb am 5. April 1997; Anm.], war des anderen Inspiration für ein ganzes Album, wenn auch erst zehn Jahre später.
Electric Arguments
Das Album, das damit gemeint ist, heißt "Electric Arguments" von The Fireman, dem experimentellen Duo-Projekt von Paul McCartney und Youth (Martin Glover von Killing Joke). Der Album-Titel ist im Allen Ginsberg Gedicht "Middle of a Long Poem on These States: Kansas City to St. Louis" enthalten. McCartney bestätigte diese Inspiration mit der schönen Aussage "...looking at the beauty of word combinations rather than their meaning." Darüber hinaus ist zudem auch der improvisatorische Ansatz der Lieder auf dem Album spür- und hörbar, was auf die Beat-Poeten rund um Jack Kerouac, William Burroughs und Allen Ginsberg zurückgeht, andererseits wohl auch direkt auf jenen oben erwähnten gemeinsamen Auftritt in der Royal Albert Hall. McCartney: "I came to 'Sing the Changes' as well as all the other songs in the album, with absolutely no concept of what the melody or lyrics would be about. So it was like writing on the spot, which I think lent an electricity to the whole sound." Heraus kam jedenfalls ein saftiges, knackiges Album, genährt von kraftvoller Improvisations- und Experimentierlust - und dem so ziemlich besten Album von Paul McCartney nach The Beatles und Wings. Hört euch nur mal - neben dem recht bekannten "Sing the Changes" - das großartige "Two Magpies", "Travelling Light" oder "Sun Is Shining" an, aber am besten gleich das ganze Album, denn diese Produktion steht auf einem wackelfreien Fundament und kommt ohne Zeitgeist-Sounds aus. Somit wird dieses Album auch in x-Jahren keine Patina ansetzen. Das ganze Klangspektrum, quasi Spektakel zur Potenz, entfaltet das Album übrigens auf Vinyl, abgesehen vom sehr leiwanden Art-Work, das auf Vinyl-Größe noch mehr Freude bereitet als auf dem kleinen Silberling. Preislich vielleicht nicht ganz günstig, aber jeden Euro wert. Qualitätsmäßig und von der Strahlkraft her mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar noch höher einzuschätzen, ist schließlich "Flaming Pie", der Geniestreich von Paul McCartney aus dem Jahr 1997. Und auch bei diesem Album gab es eine große Inspirationsquelle. In den Jahren davor traf McCartney nämlich nicht nur Allen Ginsberg, sondern auch George Harrison, Ringo Starr und George Martin, um fast zwei Jahre lang an "The Beatles Anthology" zu arbeiten. Das gab McCartney wiederum den nötigen Kick und Inspiration für die Arbeit an "Flaming Pie". McCartney: "[The Beatles Anthology] reminded me of The Beatles' standards and the standards that we reached with the songs. So in a way it was a refresher course that set the framework for this album." Der Album-Titel wiederum ist - ähnlich wie "Electric Arguments" - ebenfalls eine Referenz. Diesmal an eine Anekdote von John Lennon, der 1961 in seiner humorvollen Art und Weise gegenüber einem Magazin den Ursprung des Bandnamens The Beatles folgendes von sich gab: "It came in a vision - a man appeared on a flaming pie and said unto them, 'from this day on you are Beatles with an A.'"
Als Paul McCartney in den Jungbrunnen fiel
Produziert wurde das Album von Jeff Lynne (ELO, Traveling Wilburys), der ja auch die neuen Beatles Songs auf Anthology produzierte. Im Gegensatz zu "Electric Arguments" ist hier denn auch die sorgfältige Produktion deutlich herauszuhören. Die Lieder glänzen mit Schönheit, verzichten dabei gänzlich auf Experimente und Improvisation. Paul McCartney schöpft hier aus dem Vollen seiner kreativen Fähigkeiten und die 14 dargebotenen Lieder sind allesamt eine Wucht, egal, ob das Duett mit Steve Miller ("Used to be bad"), oder das Beatle-eske "The Song We Were Singing", oder das grandiose "Calico Skies", und wie sie alle heißen. Ein Triumph folgt dem nächsten, oder: McCartney at the best. Der Treppenwitz dabei ist ja, dass "Flaming Pie" nur auf Platz 2 landete. Die Spice Girls waren nämlich zu jener Zeit dermaßen populär, dass nichtmal eine Glanztat von Paul McCartney daran vorbei kam, dafür wird es immerhin auf Platz 988 der "All-Time Top 1000 Albums" im The Encyclopedia of Popular Music gelistet, "Spice" von The Spice Girls kann man da hingegen vergeblich suchen. Das Album erschien auch in einer einmaligen Pressung auf Vinyl, was bedeutet, dass es mittlerweile eine gesuchte Rarität ist, für die man gegenwärtig oftmals weit über 100€ hinblättern muss. Auch auf CD ist das Album nur im Second-Hand-Bereich zu finden, was sehr schade ist, aber es bleibt zu hoffen, dass "Flaming Pie" ja im Rahmen der Paul McCartney Archive Collection wiederveröffentlicht wird. "Flaming Pie" war zudem das letzte Album unter Mitwirkung von Linda McCartney, die ein Jahr später starb. Das Album, das Paul seiner geliebten Linda widmete, war das darauf folgende "Run Devil Run" (1999) mit u.a. David Gilmour (Pink Floyd) an der Lead-Gitarre und Ian Paice (Deep Purple) bzw. Dave Mattacks (Fairport Convention) an den Drums. Das Album ist vollgepackt mit Rock'n'Roll Coverversionen wie "Blue Jean Bop", "All Shook Up" und "Brown Eyed Handsome Man", sowie mit drei Originalen von Paul McCartney. Fetzt der Titelsong im Chuck Berry Style, so sind "Try Not to Cry" und "What It Is" eine sehr intim-persönliche Traueraufarbeitung. "What It Is" dürfte dabei sogar das erste Lied nach Lindas Tod sein, das Paul McCartney schrieb. Ein grandioses Album mit Ecken und Kanten. Rau und unverwüstlich bis in alle Ewigkeit. An dieser Stelle wäre eigentlich schon ein Amen angesagt, aber eine Aufnahme - nur ein Lied - fehlt noch, nämlich "Cut me some slack". Veröffentlicht im Dezember 2012 ist es genauso eckig, kantig und roh wie das beschriebene Album "Run Devil Run", nur dass Paul McCartney hier nicht mit Altersgenossen den Song einspielte, sondern mit einer weitaus jüngeren Generation an Musikern, nämlich mit Dave Grohl (dr), Krist Novoselic (b) und Pat Smear (g), Stichwort Nirvana. Für diese Zusammenarbeit - genauer gesagt, diesem einen Jam - der auf dem Soundtrack zu Dave Grohl’s Doku "Sound City" veröffentlicht wurde, erhielt das Quartett einen Grammy für den besten Rock Song. Ein Song, der wieder mal daran erinnerte, dass Paul McCartney nicht nur sanfte Pop-Ohrwürmer zum Besten geben kann, sondern auch härteren Stoff Marke "Helter Skelter" zu singen imstande ist. Dass es dazu kam ist wiederum der Benefiz-Gala am 12.12.2012 im New Yorker Madison Square Garden für die Opfer des Wirbelsturms Sandy zu verdanken. Dort tauchten kurz davor erste Gerüchte auf, dass Grohl und Co. etwas mit McCartney planen würden. McCartney später dazu: "Ich wusste nicht genau, wer sie waren. Sie sagten, es fühle sich großartig an, wieder zusammen zu spielen. Ich sagte: Was? Ihr habt die ganze Zeit nie zusammen gespielt? Dann flüsterte man mir zu: Das sind Nirvana und du bist Kurt [Cobain; Anm.]. Ich konnte es nicht glauben." Für McCartney erwies sich dieses Zusammentreffen und erstes Kennenlernen offenbar wie ein Jungbrunnen, denn ca. zwei Jahre später spielte er das Schlagzeug (!) im Song "Sunday Rain" vom Foo Fighters Album "Concrete and Gold". Dave Grohl über Paul McCartney: "He's a pal. He's the most wonderful person in the world. He hadn't even heard of the song but only did two takes." //
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Text: Manfred Horak
Foto: Linda McCartney (Paul und Allen Ginsberg, 1995 in der Royal Albert Hall, London)
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