Ersparen wir uns die Superlativen und Benennungen wie Fixstern am musikalischen Firmament, Übervater des Jazz und Rock, Wegbereiter von Heerscharen Nachgeborener, Großmeister des Zorns, etc. Widmen wir uns ganz einfach der Musik von Miles Davis aus dem Jahr 1970 und knien wir nieder vor der Genialität des 1926 geborenen und 1991 verstorbenen Trompeters.
Wir schreiben das Jahr 1969, In a Silent Way und Bitches Brew war eben aufgenommen, erschien 1970 am Markt und hatte der Musik des ausgehenden Jahrhunderts einen neuen Impuls verpasst. Die Boxerstory Jack Johnson war in Vorbereitung, die CD wurde am 7. April 1970 aufgenommen, und Miles Davis spielte Festival um Festival, nachzuhören auf den CDs At Fillmore West vom 10. April des Jahres sowie Miles Davis at Fillmore vom 17. bis 20. Juni 1970 und Live – Evil, das am Ende des Jahres 1970 entstand. Miles Davis sprach davon, die größte Rockband der Welt zusammenzustellen und fabulierte davon, die Musik von Sly & the Family Stone mit den grenzgenialen musikalischen Ideen von Jimi Hendrix zu verbinden. Zu dieser Zeit hatte er sein vibratofreies Trompetenspiel bereits zu einer unnachahmlichen Perfektion entwickelt und sich nur mit Musikern umgeben, die seinen Ideen uneingeschränkt folgten und die sich selbst in den folgenden Jahren zu Superstars der Jazzszene entwickeln sollten. Jack DeJohnette, Joe Zawinul, Airto Moreira und Keith Jarrett seien hier, unbetrachtet ihres stilistisch musikalischen Werdegangs, erwähnt. Was auch immer danach passierte wurzelte in dem Freibeutertum von Miles Davis.
The Cellar Door - Kniefall Nummer 1
Zwischen dem 16. und 19. Dezember 1970 wurden The Cellar Door Sessions 1970 mitgeschnitten. Die Besetzung: Miles Davis, Trompete, Gary Bartz, Sopran und Altsaxofon, Keith Jarrett, Piano und Orgel, Michael Henderson, Bass, Jack DeJohnette, Schlagzeug, Airto Moreira, Perkussion und John McLaughlin an der Gitarre verheißen wundervolles.
Diese Erwartungen werden, erster Kniefall, erfüllt!
All die Nachgeborenen und/oder musikalisch sozialisierten Klugscheißer werden dazu verurteilt, Miles Davis am Gipfel, wobei der Gipfel einem permanenten Hochplateau schon verdammt nahe kommt (!), zu hören. Eine schönere Ballade als „Honky Tonk“, nachzuhören auf CD Nummer 5, Take 2, kann es ganz einfach nicht geben.
Bleiben wir bei der CD Nummer 5 und widmen wir uns „What I say“.
Kniefall Nummer 2
Schlagzeug, Perkussion und Bass (!) führen uns an das Thema ran. Kurze Tupfer der Bläser führen das Thema weiter, ein Solo, nur wenige Takte, folgt, die geniale Truppe nimmt das Thema wieder auf, es brodelt, Lava strömt, die Rhythmustruppe erhöht die Schlagzahl, sie werden dem Titel gerecht, sie sagen uns etwas, was sie uns sagen entzieht sich jeder Definition, sie wollen uns nicht zwangsbeglücken, sie spielen, sie treiben das Thema weiter, verlieren sich in ihren Gedanken, machen den Geist wach und die Beine zucken. Keith Jarrett tobt an den Tasten, kein Stöhnen, kein Ächzen, Miles dreht uns den Rücken zu, Jack DeJohnette spielt sein Solo, Airto lässt die kleinen Glocken klingen, Jack bearbeitet weiter die Felle, die Truppe setzt ein, Miles Davis gibt seine musikalischen Order. Fade out!
Kniefall Nummer 3
Nein, es ist keine pekuniäre Leichenfledderei, die Sony da betreibt, in dem das Major Label hier „alte“ Aufnahmen veröffentlicht. Das Gegenteil kommt der Wahrheit verdammt nahe. Diese Aufnahmen des, und hier sind wir wieder bei den eingangs verleugneten Superlativen angelangt, genialsten Musikers des verblichenen Jahrhunderts sind es ganz einfach Wert für die Nachwelt aufbewahrt zu werden. Vor allem und gerade dann wenn es in einer derart liebenswerten Art und Weise erfolgt wie mit diesem 6-fach-Album.
In den sorgsam editierten Linernotes kommen die Ausführenden ausführlich zu Wort, sie schildern in sehr persönlichen Worten ihr Verhältnis, ihren sehr persönlichen Zugang zu dem nicht immer sehr einfachen Miles Davis und machen dadurch den Blick frei auf die faszinierende Persönlichkeit der Person. (akro)
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: Sony BMG (6 CDs; 2006)