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hannes-loeschel-herzbruchstueckAn der Schnittstelle Wiener Lied und Freie Improvisation mit altbekannten Gstanzln und Liedern von u. a. Franz Schubert veröffentlichte die Hannes Löschel Stadtkapelle vor einigen Jahren mit "Herz.Bruch.Stück" ein superbes Album. Ergänzt mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen wurde es im Herbst 2012 neu aufgelegt.

Im Zentrum von "Herz.Bruch.Stück" stehen Lieder von Franz Schubert und Franz Gruber, Zitate von Franz Lehar, Instrumentalstücke von Johann Strauss Sohn, sowie alte Wiener Volkslieder und natürlich Eigenkompositionen von Hannes Löschel. Letzterer wurde 1963 in Wien geboren und arbeitete zunächst als Interpret zeitgenössischer Musik, wandte sich dann aber ab ca. 1990 der improvisierten Musik zu und entwickelte erste stilübergreifende Arbeiten als Komponist, improvisierender Musiker, Ensembleleiter und Arrangeur. Die CD "While You Wait", firmierend als Trio Löschel Skrepek Zrost, im Jahr 1997 wurde mit dem Hans Koller Preis für Jazz- und improvisierte Musik prämiert. Kammermusikwerke und Musik für Film, Tanz und Theater sowie Varietes und Telefon-Anlagen bis hin zu elektroakustischer Musik standen seither im Mittelpunkt seines musikalischen Schaffens, bevor er sich mit der Hannes Löschel Stadtkapelle und mit "Herz.Bruch.Stück" an die Schnittstelle zwischen Tradition und Aktueller Musik wagte.

Ich habe etwas Identitätsstiftendes gesucht

"Bei den Stücken und beim Repertoire", so Hannes Löschel, "ist mir ein Anliegen, dieses Aufkommen von den Grenzen zwischen Kunstlied und Volkslied aufzuheben - ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube, dass auch Schubert bereits mit Volksliedsängern zusammen gesessen ist. Ich suche auch nicht das weinselige in den Wienerliedern - was mir eher was sagt, ist diese Dunkelheit und die Sehnsucht, auch die Todessehnsucht, allerdings nicht um sich zu bemitleiden. Ich finde diese Texte einfach großartig und sehe sie ähnlich wie Texte von Blixa Bargeld." Lange Zeit war das Wienerlied überhaupt kein Thema für Hannes Löschel, seit der hannes-loeschel-stadtkapelleUmsetzung seines ersten Wienerlied-Programms "Herz.Bruch.Stück" dafür umso mehr. Löschel über seinen generellen Zugang zum Wienerlied: "Ich bin gebürtiger Wiener und lebe mit der Identitätsfrage, ob man der Neuen Musik zugeordnet wird oder mit Jazz. Seither man die Wiener Musik Gott sei Dank wieder unvoreingenommen verarbeiten kann, habe ich etwas Identitätsstiftendes gesucht. Und so habe ich mich durch die 'Kremser Alben' durchgewühlt und den Auftrag vom Wiener Volksliedwerk zu 'Herz.Bruch.Stück' dankend angenommen." Die 'Kremser Alben' sind eine mehrbändige Sammlung von Wiener Liedern und Tänzen, herausgegeben von Eduard Kremser (1838-1914). Im regionalen Sinne sind diese durchaus vergleichbar mit "The English and Scottish Popular Ballads", also den so genannten "Child Ballads" von Francis James Child. "Es scheint", schrieb Eduard Kremser 1911, "als ob die Wiener Volksmusik, die im Laufe der Geschichte wiederholt Zeiten des Verfalles und der Blüte gesehen hat, nach einer unleugbaren Epoche des Stillstandes wieder zu neuem Leben erwachen wollte [...] und es bedarf vielleicht nur der Orientierung, der Belebung wertvoller Überlieferungen, um die musikalische Begabung unseres Wiener Volkes in ihrer echten Eigenart wieder erstarken zu sehen." Kremser, er leitete den Wiener Männergesangs-Verein und avancierte so zu einem Botschafter Österreichs, war zwar hoch beliebt aber nicht ausnahmslos. Der wohl größte Kritiker des Wiener Männergesangs-Verein, Karl Kraus, schrieb 1907 in der 'Fackel': "[...] seit Wochen ist unser Horizont mit Schmerbäuchen verhängt. Nichts auf der Welt ist mir nämlich zuwiderer als ein Aufgebot von singenden Männern mit Bärten, Brillen und Bäuchen, als eine Schar von Rechnungsräten und Fabrikanten, die sich plötzlich zusammenfinden, um den Abendstern zu begrüßen, den Schöpfer zu loben [...]." Und endete mit dem Fazit: "Ich übergebe mich."

Bei uns heißt es 'strudeln', woanders heißt es 'Blues'

Der von Humor geprägte Eduard Kremser gilt übrigens auch als geistiger Urheber, Gründer, Vorsitzender von verschiedenen Körperschaften wie die AKM, setzte sich also sehr früh seriös für die Musikschaffenden und deren Probleme ein, und forderte auch einen politischen Zug im Lied sowie eine Modernisierung der Zensur, wie man im Buch "Wienerlied und Weana Tanz" (Hrg. Susanne Schedtler; Löcker Verlag, 2004) nachlesen kann. Löschel: "Das mache ich ganz gerne, dass ich ein bisschen akademisch die Noten durchblättere, weil man dann unglaubliche Stücke findet, vor allem, wenn man alte Archivaufnahmen mit den Notationen vergleicht, Stichwort Improvisation. Da kann man daraus sehr viel Selbstbewusstsein als improvisierender Musiker beziehen, und man muss nicht andere Kontinente deswegen besuchen. Bei uns heißt es 'strudeln', woanders heißt es 'Blues' - das war sehr spannend, und ich beschäftige mich jetzt noch damit."

Vergesst eure Volksmusik nicht

Das Wienerlied war und ist, um nochmals Eduard Kremser zu zitieren, "ein bescheidenes Blümchen im Zaubergarten der Kunst, [...] wert, dass man es hegt und pflegt und sich an seinem Duft erfreut." In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts befreiten in erster Linie Franz Bilik, Karl Hodina und Roland Neuwirth das Wienerlied von den modernden Gerüchen, indem sie es mit Jazz und Blues neu formten. Die jüngste Generation, angefangen von Kollegium Kalksburg bis hin zu 5/8erl in Ehren, Die Strottern und Hannes Löschel Stadtkapelle, führt diesen Weg fort, zum Teil in noch radikaleren Bahnen. Löschel: "Was diese Bands vereint ist, dass die Musiker in verschiedenen Stilen spielen, und ja auch in vielen anderen Projekten zu finden sind, viele davon in Jazz, Rock und Pop. Es hat mit einer Aufgeschlossenheit und einer Grenzgängerei zu tun. Ich glaube, dass die Genres in sich vielleicht ausgereizt sind und dass der Reiz in der Musik selbst liegt, im Erkennen von Gemeinsamkeiten. Es gibt ja auch parallel dazu im Jazz extrem konservative Strömungen, die aus offensichtlichen Gründen in Hochglanzmagazinen lanciert werden, wie z.B. Diana Krall. Wir stehen also einer sehr stark restriktiven Bewegung gegenüber und dem halte ich so etwas schon sehr Positives entgegen. Die Weiterentwicklung im Wienerlied, finde ich, ist gegeben. Es ist nämlich gar nicht anders möglich als die eigene Identität und Herkunft in das was man als 20-jähriger aufnimmt und reflektiert einzubringen. Was ich als Jugendlicher in der amerikanischen Musik bewundert habe ist, dass z.B. Frank Zappa und Ry Cooder mit einem unheimlichen Selbstbewusstsein ihre eigene Geschichte recherchiert, formuliert und sich ausgetobt haben. Ich bin ein großer Fan von Ry Cooder und sein Album 'Jazz' [1978; WEA; Anm.] war eine Referenzplatte für mich. Alleine bei der Besetzung bekommt man ein Gefühl was Jazz ist, wie ein Schlagzeug nicht zu knackig gespielt werden muss, sondern rumpelnd wie ein Waschbrett. Diese Verbindung aus den Archiven des Wienerlieds und Jazz, so wie es Cooder arrangierte, hat etwas von nordamerikanischer Volksmusik, so würde ich es bezeichnen. Diese Ernsthaftigkeit und dieser Habitus in den einfachen Dingen ohne borniert zu sein sind mir wichtig. Ich komme nicht aus einer Arbeiterfamilie und von daher musste ich mich ganz zart und mit viel Respekt herantasten. Generell halte ich daher Bands wie Kollegium Kalksburg, Die Strottern und meine Stadtkapelle für eine Innovation und wenn man sie vergleicht mit New York und anderen Szenen sind wir nicht weit hinten. Ich glaube, im Moment sind wir ziemlich gut unterwegs."

Streichen, zupfen und schlagen

Ist nun für Hannes Löschel das Wienerlied im Allgemeinen und "Herz.Bruch.Stück" im speziellen so genannte World Music? "Ich sage da gerne 'Ja' drauf, bin aber vorsichtig bei dieser Bejahung, denn es wird sehr oft in einer weichen Art von Weltmusik gesprochen, bei der es mir schnell fad wird, wenn es heißt, dass alles miteinander verbunden ist. Ich bin davon überzeugt, dass der Weltschmerz in der Saudade genauso unverwechselbar ist wie z.B. irische Musik oder der Humor von Monty Python - das könnte man jetzt endlos fortführen - das gibt es nur dort. Ich würde sagen, jeder schaut in seiner Region ein wenig über den Tellerrand, und wenn das Weltmusik ist, okay. Ich lege es aber nicht darauf an, mich mit jedem Musiker zu verstehen. Ich brauche dieses Nicht-Schöne in der Musik. Für mich ist das experimentelle jener Aspekt, der jeder tun kann. Nicht das politische und religiöse hervorkehren, um daraus eine Kathedrale zu bauen und zu sagen, 'Schaut her, ich bin ein Weltmusiker und wir lieben uns alle', sondern es mit einem gewissen Witz versehen, da habe ich dann viel weniger Berührungsängste. Ich bin mir sicher es gibt auch viele Projekte von z.B. jungen neuseeländischen Musikern, die vor dem gleichen Problem stehen, die sich überlegen, wie man das anders spielen kann, die ihre Musiktradition ins 21. Jahrhundert tragen, aber nicht nur auf dem Laptop spielen wollen, sondern ebenso wissen, dass es in der Musik ums streichen, zupfen und schlagen geht. Diesem globalen Verständnis, diesem Weltmusikgedanken, fühle ich mich sehr verbunden." (Text: Manfred Horak; Fotos: Hannes Löschel Archiv)

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CD-Tipp:
Hannes Löschel Stadtkapelle: Herz.Bruch.Stück
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@
Label/Vertrieb: Cracked Anegg/Lotus Records (DoCD; 2012)

Live-Tipp:
Hannes Löschel Stadtkapelle
6.12.2012, Liebhartstaler Bockkeller
Gallitzinstr.1, 1160 Wien (Beginn: 19:30 Uhr)