Eines der außergewöhnlichsten Jazz-Alben mit deutschen Texten aus dem Jahr 2011 kommt aus Deutschland und trägt den ausgereizten Titel "Poesiealbum". Umso reiz- und lustvoller dafür die darauf enthaltenen Lieder von Olivia Trummer.
Bevor jetzt jemand daherkommt und fragt wohin sich der Jazz bewegt, bzw. ob er sich überhaupt noch bewegt. Ja, natürlich ist der Akku noch nicht leer, man denke nur in Österreich z.B. an Àngela Tröndle und ihrer Band Mosaik und natürlich an das Duo Gansch/Breinschmid. Aus Deutschland fiel 2011 in erster Linie das herausragende Album von Olivia Trummer (Piano, Gesang, Komposition und Texte) und ihrer Band mit Johannes Lauer (Posaune), Martin Gjakonovski (Kontrabass) und Bodek Janke (Schlagzeug, Perkussion) aus dem Rahmen des Gewöhnlichen. Trummer spielt nicht nur gekonnt Klavier, sondern ebenso gekonnt auch mit Worten. Ironie und Humor sind dabei genauso Bestandteile ihrer Poesie wie düstere Betrachtungen. Zudem ist "Poesiealbum" voll von musikalischen Koketterien. Trummer und Band agieren wie selbstverständlich im freien Raum der Improvisation und verflechten dabei Versatzstücke aus Swing, Latin Jazz, Rag, Bebop, Chanson und Tupfern Klassik. Die diversen Tempi- und Stimmungswechsel (oft innerhalb eines Liedes) hätten daraus auch eine chaotische Irrfahrt in eine Sackgasse machen können, Olivia Trummer und Band haben hingegen daraus eine Abenteuerreise gemacht, die bei jeder Station eine neue Schatzkiste öffnet. Das erste selbstbewusste Statement, "Meer ohne Wasser", liefert gleich einmal einen exzellenten Ausblick auf die Ausrichtung des Albums. "Meer ohne Wasser" zeigt Trummers Vielseitigkeit und das handwerkliche Können, spielt mit verqueren Gedanken und durchquert eine verspielte Melodie. "Menschen hält man für verrückt wenn sie glücklich sind obwohl sie noch nie golfen waren" heißt es da, und: "Wir werden in einem Meer ohne Wasser untergehen". Dazu swingt es, walzert es, fingersnippt es. Weitet sich aus und hält ein. Stop-and-Go par excellence. "In Gesellschaft eines Hummers schweigt nur der, der nichts zu sagen hat" singt Trummer mit ihrer ausdrucksstarken Stimme in "500 Millionen", einem rasanten Stück über den schnöden Mammon, das irgendwo zwischen Friedrich Hollaender und Bertolt Brecht/Kurt Weill schwebt und dabei zielsicher den Nerv der Gegenwart einfängt. "Verrückt sein will geübt sein, wann hast du den Bogen raus?", fragt Olivia Trummer indes gegen Ende des Albums - da weiß man freilich bereits längst, dass sie und ihre fabelhafte Band den Bogen raus hat. Das "Poesiealbum" von Olivia Trummer ist spannend, vergnüglich, pittoresk, bietet eine knappe Stunde Lebenslust und vor allem Lust auf noch mehr Musiklyrik von Olivia Trummer. (Text: Manfred Horak; Foto: Mascha Zhuk)
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