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roy-hargrove-2011-01Wer von Wynton Marsalis eine Trompete geschenkt bekommt, der hat sie sich auch verdient. Davon konnte man sich am 6.11.2011 beim ersten Besuch des Trompeten-Superstars in der Wiener Jazzkrypta, dem Porgy & Bess, überzeugen.

 

Eigentlich hat Hargrove anno 2011 schon 42 Jahre auf dem Buckel. Doch seine Erscheinung scheint sich reziprok zu seinem biologischen Alter zu entwickeln. So trat zu später sonntäglicher Stunde ein Herr auf die Bühne, den man aus üblicher Konzertentfernung nur aufgrund seines fein ziselierten Oberlippenbartes jenseits der 20 ansiedeln würde. Sehr dünn, mit Hut, Hosenträgern, Hornbrille, knappen Stoffhosen und Fliege schaute er aus wie ein Bursche aus den frühen Sechzigern, der für den sonntäglichen Kirchgang von seiner Mutter herausgeputzt wurde. Es ließ sich nicht verhindern, an einen gewissen Steve Urkel zu denken.

Ein Miles im Habitus?

Verwunderlich deshalb, da man ihn so anders kennt. Als sportlichen Typen oder cool im glänzenden Anzug. Das mag daran liegen, dass er schon über 20 Jahre im Geschäft ist. In dieser Zeit entwickelt man sich natürlich und vielleicht auch mit Kalkül - sowohl musikalisch und auch in der Inszenierung. Diese Entwicklungswut zeichnet Hargrove aus, der öfter schon ausgekundschaftetes Terrain verließ, und macht ihn zu einem Erben des großen Miles Davis, der auch immer bereits weg wollte, wenn die anderen noch nicht einmal da waren. Eben auch die Mode betreffend. Obwohl die Sixties gerade ja sehr angesagt sind.

Ein Ausnahmeimprovisateur muss kein Showmaster sein

Mitgebracht hatte der Trompeter neben der Rhythmusgruppe auch Justin Robinson am Saxofon, der sich beileibe nicht verstecken musste (und konnte). Stets blieb er aufmerksam mit einem Auge auf seinem Bandleader, der, selbst die Augen immer verschlossen, nur ganz subtile Zeichen an seine Musiker gab. Es schien also keinen fixen Plan zu geben. Überhaupt waren die Stücke von Freiheit geprägt, wenngleich es alles andere als Free Jazz war. Bis auf einige Bop-Nummern, waren die Kompositionen sehr hörbar, melodiös, wenn auch harmonisch anspruchsvoll. Gespielt wurde am laufenden Band: Ansagen oder eine Art Unterhaltung mit Worten zwischen den Stücken gab es nicht. Bereits im erst aufbrandenden Applaus nach einer Nummer begann Hargrove die Töne der folgenden zu spielen. Als er einmal doch zum Mikrofon griff und das Quartett hinter ihm vorstellte, geschah dies auch nur mit leiser Stimme und ohne die Absicht verstanden zu werden ins Klatschen hinein. Aber ein Ausnahmeimprovisateur muss ja nicht auch noch ein Showmaster sein. Auch hier Parallelen zu Miles Davis: Zwar gab es keinen Anlass zu glauben, das Publikum sei ihm zuwider, doch ganz wichtig schien es ihm auch nicht zu sein.

Ein Chet im Spiel?

Hargroves wahre Qualität liegt wohl in der Unvorhersehbarkeit seiner Kompositionen und Improvisationen. Das geht sogar so weit, dass er die Soli beim Konzert so anlegte, dass sie aufhörten, wenn sie am schönsten waren. Scheinbar mittendrin, dreht er sich abrupt zur Seite, wurde zur Bühnenmarginalie und ließ einem Kollegen den Vortritt. Die Dramaturgie innerhalb der Soloparts war auch nicht aufregend, eine Art Klimax nicht zu erkennen. Aber aufgeregt spielt er einfach nicht. Manchmal erinnerte er deshalb an Chet Baker, den anderen Giganten. Nur dessen Aura des Schwermuts entfaltete er nicht, Hargrove umgab Coolness, ein unsichtbarer Schutzschild, auch als er mit seinem Flügelhorn ganz warme Töne über die Köpfe der Zuhörer stäubte. (Text: Peter Baumgarten; Fotos: Universal)

roy-hargrove-2011-02Kurz-Infos:
Roy Hargrove Quintet live am 6.11.2011 im Porgy & Bess, Wien
Bewertung: @@@@@
Die Besetzung:
Sullivan Fortner (p), Arneen Saleem (b), Montez Coleman (dr), Justin Robinson (as)