basementtapesdylanbandDylan nahm sich nach seinem Motorradunfall im Juli 1966 eine Auszeit und begab sich im Jahr darauf mit seinen Musikerfreunden von The Band in den Kellergeschoß deren Hauses, wegen des Anstrichs 'Big Pink' genannt, in West Saugerties nahe Woodstock, um Musik zu machen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war: "The Basement Tapes".

Formal galten die Aufnahmen als Demoaufnahmen und wurden an verschiedene Künstler verschickt - an Manfred Mann, The Byrds, The Rolling Stones, Peter, Paul & Mary, Fairport Convention, und viele mehr, die alle (mit Ausnahme der Rolling Stones) sofort ihre eigenen Versionen veröffentlichten und damit Riesenhits landeten, wie z.B. Manfred Mann mit "Quinn the Eskimo (The Mighty Quinn)". Die Originalaufnahmen selbst kursierten kurz darauf auf dem ersten nennenswerten Bootleg in der Rockgeschichte überhaupt. "Great White Wonder" (so hieß das Bootleg) enthielt neben Dylan-Aufnahmen von 1961 ("Minnesota Tapes") sieben Songs von den "Basement Tapes" und verkaufte sich angeblich weit über 350.000 Mal. Die Plattenfirma reagierte unzulänglich, nämlich gar nicht, und veröffentlichte Teile der "Basement Tapes" erst im Jahr 1975. Dass bis zum heutigen Tag (Stand: Mai 2011) "The Basement Tapes" noch nicht komplett (es beinhaltet weit über 100 Aufnahmen), z.B. im Rahmen der "Official Bootleg Series", erschien, ist unverständlich, umso mehr, weil man dadurch weiterhin einem breiten Publikum "the greatest album in the history of popular American music" (New York Times) vorenthält, also den gewissermaßen heiligen Gral der amerikanischen Popularkultur. Einerseits. Andererseits nährte es natürlich von Beginn an den Mythos um die zugrunde liegende Versunkenheit in den Liedern und passt sehr gut zum Bild einer Schatztruhe, denn nichts anderes als eine Schatzruhe sind diese "Basement Tapes". Was ist denn nun das besondere an dieser Sammlung von Songs, die zwischen den Alben "Blonde On Blonde" und "John Wesley Harding" im Zeitraum Juni bis Oktober 1967 entstanden? Es ist die Symbiose von Lockerheit und Experimentierfreude, es ist die Befreiung des öffentlichen Drucks, der bis kurz nach Veröffentlichung von "Blonde On Blonde" Dylan unter Strom setzte. Das (und sicherlich noch einige Komponente mehr) hat diese Gefühlstiefe und diese Subtilität in den "Basement Tapes" zustande bringen können. Ein ruhiger, witziger und geradezu funkiger Sound bestimmte die Sessions, und dass Dylan produktiv wie noch nie zuvor war, ist ebenfalls bemerkenswert. Und mit The Band hatte er schließlich eine geniale Band an seiner Seite. Robbie Robertson (Gitarren, Drums, Vocals), Richard Manuel (Piano, Drums, Harmonica, Vocals), Garth Hudson (Organ, Clavinette, Accordion, Tenor Sax, Piano) und Levon Helm (Drums, Mandolin, E-Bass, Vocals) waren ein wichtiger Einfluss auf seine musikalische Entwicklung, z.B. indem sie ihn zur relativen Schlichtheit der Country Music brachten, aber auch, weil die Musik stärker in den Vordergrund rückte, oder, wie Robertson es einmal formulierte: "Wir gaben an ihn weiter, was wir von Rock & Roll wussten." Hinzu kommt, dass die Zuhörer in den Songs der "Basement Tapes" mit Gefühlen überflutet werden und dadurch erst gar nicht auf die etwaige Bedeutung eines einzelnen Songs geachtet werden muss - somit konnte nicht nur der Tiefsinn, sondern auch der Unsinn gepflegt werden, ähnlich wie es in der von Harry Smith zusammengestellten "Anthology Of American Folk-Music" (Smithsonian Folkways; 6 LPs; 1952 bzw. 6 CDs; 1997) der Fall war. Natürlich gibt es auch hier Strophen bzw. Textzeilen, die sich einem einfach einprägen, wie z.B. in der herausragenden "Clothes Line Saga", wenn Bob Dylan singt, ""Have you heard the news?" he said, with a grin / "The Vice-President's gone mad!" / "Where?" "Downtown." "When?" "Last night" / "Hmm, say, that's too bad!" / "Well, there's nothin' we can do about it," said the neighbour / "It's just somethin' we're gonna have to forget" / "Yes, I guess so," said Ma / Then she asked me if the clothes was still wet." Ebenfalls drauf zu hören: "I Shall Be Released" (allerdings nicht auf dem offiziellen Album), "You Ain't Goin' Nowhere", "Please, Mrs. Henry", "Crash On The Levee (Down In The Flood)", "Apple Suckling Tree", "Open The Door, Homer", "This Wheel's On Fire", "Tears Of Rage", "Million Dollar Bash", "Odds And Ends", und noch so viel mehr unglaublich wirkungsvolle Musik. "The Basement Tapes": Ein Türöffner in eine geheime Welt voller Erinnerungen, Mythologien und Emotionen. //

Text: Manfred Horak

CD-Tipp:
Bob Dylan & The Band: The Basement Tapes
Musik: Ohne Wertung
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Columbia/Sony (1975)

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