Dylan goes electric, oder: Der Wechsel vom traditionellen Folk zum Rock ist vollzogen. "Bringing It All Back Home", in Europa unter dem Titel "Subterranean Homesick Blues" veröffentlicht, gilt als eines der ersten Folk-Rock-Alben, und bescherte Bob Dylan zudem seine erste Top Ten Platzierung in den US Billboard Charts.
Dieses wegweisende Album war - wie auch das nur wenige Monate danach veröffentlichte "Highway 61 Revisited" - ein Schock für die Folk-Community, was in einen großen Eklat beim Newport Folk Festival beim Dylan-Auftritt am 25.7.1965 mündete. Beim ersten Klang der verstärkten Instrumente war Pete Seeger fuchsteufelswild geworden und hatte begonnen, mit den Füßen zu trampeln und mit den Armen um sich zu schlagen. Manche meinten sogar, er wollte mit einer Axt die Verkabelung durchtrennen. Am Anfang war also die Empörung und dann kamen die Fragen. "Warum haben Sie den Folk-Sound aufgegeben?", wurde er einmal von einem Journalisten gefragt. Dylan: "Ich bin zu weit rumgekommen, um das so einfach tun zu können ... Die richtigen Folkleute haben nie die 42nd Street gesehen; sie haben nie in einem Flugzeug gesessen..." Und ein anderer Journalist fragte ihn doch tatsächlich, wie er den Folk-Rock erfand. Dylan lieferte eine herrlich ironische Antwort: "Ich saß da in diesem Café, schnippte mit den Fingern und sagte: Folk-Rock!" Bei der Lektüre eines Zeitungsberichts über sich meinte er schließlich: "O Gott, bin ich froh, dass ich nicht ich bin." Okay, jetzt aber zum Album selbst. "I have no arguments an I never drink milk. I would rather model harmonica holders than discuss aztec anthropology/english literature, or history of the United Nations. I accept chaos. I am not sure whether it accepts me", schrieb Dylan auf der LP-Rückseite quasi als Anleitung und eröffnet das mitunter rau rockende Album mit dem sensationellen "Subterranean Homesick Blues" und Parolen wie "Don't follow leaders / Watch the parkin' meters", und "You don't need a weather man / To know which way the wind blows". Zu diesem Lied gibt es außerdem ein längst legendäres Video. In dem Kurzfilm hält Dylan einzelne Schlagwörter hoch, während Allen Ginsberg im Hintergrund in Mistkübeln wühlt.
Während die erste Album-Seite sieben Lieder mit Band zum Vorschein brachte, wie z.B. "She Belongs To Me", "Maggie's Farm" und "Love Minus Zero/No Limit", gab es auf der zweiten Plattenseite vier Lieder im akustischen Gewand, das transzendente "Mr. Tambourine Man", das emblematisch mythische "Gates of Eden", die Erhöhung des Protests in "It's Alright, Ma (I'm Only Bleeding)" und die Seelenqualen in "It's All Over Now, Baby Blue". Eins meiner persönlichen Lieblingslieder von Dylan ist ebenfalls auf diesem Album, das weniger bekannte "Bob Dylan's 115th Dream" über die Entdeckung von Amerika. In der Hauptrolle: Melvilles berühmte Jägerfigur in Moby Dick, maskiert als Captain Arab, und der Wal, den er fand, als Amerika. Eine bizarre Geschichte in Form einer Satire und amüsierenden Reimen. Eines der vielen unverfilmten Filme von Bob Dylan. Sechseinhalb Minuten Hochspannung im rhythmischen Hochtempo. Eine Groteske par excellence. Eins der definitiv wichtigsten Alben der Rockgeschichte als Suche nach Erlösung von einem Musiker, der fast bereit war, sich zum Dichter zu erklären, als er sagte: "Ein Gedicht ist eine nackte Person ... Manche Leute sagen, dass ich ein Dichter bin..." //
Text: Manfred Horak
SACD-Tipp:
Bob Dylan: Bringing It All Back Home
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: Columbia/Sony (1965; 2003)
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