Das aktuelle Programm "Under Himmelens Fäste", auf Deutsch "Unter dem Himmelszelt", ist unterschrieben mit "Schwedische Balladen, Liebeslieder und Volkslieder aus dem hohen Norden". Da blitzt ein kleiner Pleonasmus durch. Kein Fehler, der einen an der Professionalität der Darbietung zweifeln lässt, sondern ein süßer - so als hätte der Besuch den Satz, etwas unsicher in der fremden Sprache, selbst geschrieben. Und irgendwie ist diese Unsicherheit bezeichnend für den Auftritt des Quartetts aus Nordschweden: Die jungen Damen wirken alles andere als abgeklärt. Das ist nicht ihrem Alter geschuldet (zwischen 24 und 27) oder einer vielleicht erst kurzen Zeit auf der Bühne. Die Gruppe gibt es seit 2002 und hat schon Tourneen durch halb Europa hinter sich. Vielleicht ist der Mozartsaal des Konzerthauses einschüchternd und die Musikmetropole Wien sowieso (It's our first visit in Vienna at all), aber eher glaube ich: Die sind so. Keine Showtalente oder Entertainer, die ihre Kunst mit Brimborium besser verkaufen wollen. Schlicht unprätentiöse Musikerinnen (so stehen sie dann auch etwas unbeholfen auf der Bühne und wissen nicht recht was mit sie mit ihren Armen anstellen sollen, da es kein Mikrofon gibt, an dem sie sich anhalten können) aus einem beinahe menschenleeren Teil unseres Kontinents, die uns teilhaben lassen an dem, was sie geprägt hat: Ihr Volkslied.
Musikalische Güte aus Schweden Bevor jetzt aber der Eindruck entsteht, es handle sich hier um Laien, die versuchen, uns Mitteleuropäern mit ein wenig Folklore das Geld aus der Tasche zu ziehen, will ich heftig intervenieren. Die Lieder sind Volkslieder und im Prinzip einfach. Doch gerade das macht den Zuhörer vergessen, wie unglaublich anspruchsvoll der polyphone Gesang ist, durch den sie vorgetragen werden. Noch dazu ohne Begleitinstrument, hinter dem man sich verstecken könnte oder das einem Hilfe wäre. Und dass man diese Schwierigkeit gerne übersieht ist wiederum Indiz für die außergewöhnliche musikalische Güte der jungen Frauen. Vor jedem Stück wird die Stimmgabel kurz ans Ohr gehalten, eine der vier gibt die Anfangsintervalle vor und es geht los. Quinten, die man nicht nur aus skandinavischer Volksmusik, auch aus schottischer und irischer kennt dominieren, verminderte Akkorde und vor allem - und das ringt den meisten Respekt ab - plötzlicher Wechsel zur harmonisch extremen Engführung. Wer glaubt, singen sei einfach, der trällere einfach mal zu einem Popsong mit. Geht in der Regel. Dann nehme er sich beim Singen einer leichten Melodie auf, ohne Begleitung. Klingt schon nicht mehr so gut. Dann versuche er mal eine zweite Stimme zum Radio zu singen, eine einfache Terz drüber. Da hört es bei den meisten auf. Und nun singe er zu einem Ton aus dem Radio auf Zeichen einen halben Ton tiefer. In der Regel unmöglich. Nicht so für die Besetzung von "Kraja".
Liebe in erster Linie Manch einer wird sich fragen: Braucht es denn Halbtonintervalle und klingen die gut? Antwort: Ja. Ich bin kein Fan von experimenteller Musik die nicht gefallen will, aber von gut gemachter Spannung von der am Ende auch die Harmonie lebt. Mit schon verdächtiger Leichtigkeit wird virtuos gesprungen, rasch gewechselt zwischen Ein- und Vierstimmigkeit, ein großer Tonumfang abgesteckt, präzise intoniert - und immer lupenrein gesungen. Zu meinem Erstaunen 80 klare Live-Minuten ohne ein Krächzen, einen ausgebliebenen Ton oder sonstige Schwierigkeiten. Über was singen die vier? Eigentlich egal, da auf Schwedisch. Aber Liebe in erster Linie (glücklich, unerfüllt oder verflossen), Sakrales und Alltägliches wie das Wetter oder Alkoholkonsum. Natürlich nicht wie man das heute und in der Popkultur tun würde. Die Texte und Melodien sind tradiert, also alt, die Stücke nur für die Besetzung (vom Ensemble selbst) arrangiert.
Wie hört es sich an?
Wollte man Klangschubladen haben, um die Lieder einzuordnen, so wären dies stark vereinfacht drei: Traurig, fröhlich und himmlisch. Hier wartet jetzt aber ein Bruch. In die erste Kategorie fallen nämlich die Weisen, in denen von Schönem erzählt wird und in die zweite die, in denen Unglück vorherrscht. Für unsere Ästhetik eine Opposition von Dargestelltem und Darstellung, aber dem Wiener ja nicht fremd, ist er ja bekannt dafür, über das Schlimmste zu lachen und im Glück zu jammern. Mit "elysisch" lassen sich die Choräle beschreiben, die eine Transzendenzerfahrung nachvollziehbar machen und auch selbst erleben lassen. Trotz der religiösen Texte geht es weniger um Gott, als vielmehr die Sphäre selbst, in die die Musik uns zieht. Und sie zieht stark. Nicht nur im Umgang mit Harmonien sind die Schwestern Lisa und Eva und ihre Freundinnen Linnea und Frida souverän, auch mit Taktarten, im Speziellen mit alles andere als walzerartigen Dreiern. Verdichtet: Die kurzen Stücke sind hochkomplex, aber wenn man nicht "mit der Lupe" hinhört merkt man es nicht. Wenn man sich einfach berauschen lässt, bemerkt man nur eines: Wunderschön.
Platz nachdem du dich sehnst Zu kritisieren bleibt im Nachhinein ein Hauch: Die Lautstärke. Mikrofone gab es eben keine, was das puristische Moment unterstreicht. Doch ein wenig mehr Intensität schlicht durch mehr Volumen hätte ich mir gewünscht. Bei den Crescendi ging mir nämlich erst richtig das Herz auf. Einen Kraja-Auftritt in der Kirche würde ich gerne hören. Da geht zwar die Unterscheidbarkeit der Stimmen im Hall unter, doch ein Gewinn an Klanggröße und Mystik gliche das mit Sicherheit mehr als aus. Es muss wohl eine CD her und eine ordentliche Anlage. "Kraja" heißt übrigens so viel wie "Platz nachdem du dich sehnst". Ein Konzertsaal mit Kraja auf der Bühne ist genau so ein Platz. (Text: Peter Baumgarten; Foto: Thomas Frahm)
Kurz-Infos: Kraja live am 17.3.2010 im Konzerthaus Wien (Mozart-Saal) im Rahmen der Jeunesse Bewertung: @@@@@ Die Stimmen: Lisa Lestander Linnea Nilsson Frida Johansson Eva Lestander |
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