Johnny Cash war ein notorischer Frühaufsteher. Spätestens um 5 Uhr Früh begann sein Tagwerk, oft sogar noch früher, um 4.30 Uhr. CD einlegen, Musik hören, etwas später Kaffee kochen, noch mehr Musik hören. Bis er so weit war, zum Stift und Papier zu greifen, um niederzuschreiben, was ihm durch den Kopf ging. "Ich setze mich nicht zu einer jeweils bestimmten Zeit hin um zu schreiben", meinte er mal. Dafür täglich.
"And I closed the Bible one morning and I said / 'Well, the man comes around' / I said it loud to nobody in the room."
Sein letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Album - "American IV: The Man Comes Around" (American Recordings/Universal) - war für ihn bereits Schwerstarbeit, "Hard Work", denn, so Cash, als er Auskunft über die Entstehung des Albums gab, er habe noch nie so lange für ein Lied gebraucht wie für den Titelsong. Dass das Album mit einem Song namens "We'll meet again" endet hatte ja zudem bereits bei Erstveröffentlichung auch etwas zutiefst Berührendes, und nach seinem Ableben umso mehr: "We'll meet again", heißt es da, "Don't know where/Don't know when/But I know/We'll meet again/Some sunny day." Und weiter: "And will you please say hello/to the folks that I know/Tell 'em that I won't be long/And they'll be happy to know/That when you saw me go/I was singing this song." Ein versöhnliches Lied also zum Abschied mit dem festen Glauben, dass es dahinter weiter geht. Irgendwie. Und die Vorstellung, dass Johnny Cash mit Hank Williams und Elvis Presley gerade jammt, stimmt ja tatsächlich versöhnlich.
Kein Song ist vor mir sicher
Johnny Cash war längst eine zwar lebende, aber erfolglose, Legende, bevor Rick Rubin in sein Leben trat. Was für ein denkwürdiger Tag muss das gewesen sein, jetzt, im Nachhinein betrachtet. Johnny Cash verlor aufgrund mangelnder Verkaufszahlen den Plattenvertrag bei Sony Music, und Nashville konnte auch endlich auf den Unbequemen in Schwarz spucken und treten und missachten. Na ja, und Rick Rubin war eigentlich DER Produzent für die harten Knaben im Metal- und HipHop-Bereich. Er musste schon irgendwie eine Vision gehabt haben, vermutlich, weil Johnny Cash bereits Texte vom Töten und dem Akt des Zuschauens darüber schrieb, als es weder Metal Music noch HipHop gab. Die Liaison war jedenfalls sehr fruchtbar und tat beiden gut. Cash konnte endlich eine Platte nur mit seinem dunklen Gesang und begleitet von einer akustischen Gitarre veröffentlichen. Ein Album, das sich zwar "nur" an die 100.000 mal verkaufte, aber die Aufmerksamkeit seitens der "jungen Generation" auf ihn lenkte. Die darauffolgenden Alben festigten seinen Status - und mehr noch: er konnte auf Nashville zurücktreten. Mittlerweile legendär ist sein ganzseitiges Inserat im Billboard-Magazin (siehe Foto), bei dem er sich in Cash-artiger Manier für die tolle Unterstützung bedankte. Ein Kunstgriff par excellence. Auf diesem letzten Album befindet sich im übrigen mit "Hurt" (im Original von Nine Inch Nails) ein atemberaubendes Anti-Drogen-Lied, zu dem Johnny Cash sagte, er hatte kein Problem damit gehabt, diesen Song von Nine Inch Nails zu seinem zu machen, "obwohl ich nie Heroin spritzte, das hab ich mir zum Glück erspart, aber bei allem anderen war ich dabei". Weitere Knaller: "Personal Jesus" (im Original von Depeche Mode), der Sting-Song "I Hung my Head" sowie der Beatles-Song "In My Life".
Er verkörperte so viel von dem, was wichtig ist - zum Beispiel Freiheit
Johnny Cash, die personifizierte Gratwanderung, war also bis zuletzt hoch motiviert und produktiv, und hinterließ der Nachwelt Grundnahrungsfutter an unveröffentlichtem Material, das locker für die nächsten Jahrzehnte reicht. So erschien ja auch bereits hierzulande die nur sehr schwer erhältliche 5-CD-Box "Unearthed" mit (ausgenommen auf CD 5) unveröffentlichten Aufnahmen aus der Zusammenarbeit Rick Rubin und Johnny Cash. Darauf enthalten sind auch jede Menge zum Teil hervorragende Duette, so z.B. gemeinsam mit dem ja ebenfalls leider verstorbenen Joe Strummer (The Clash), die sich an eine Neu-Interpretation von Bob Marleys Überlied "Redemption Song" heranmachten. Wie viele Lieder Johnny Cash zeit seines Lebens tatsächlich einspielte kann nur vermutet werden, aber es sind zumindest weit über 1.500 Songs. Das hatte freilich seinen triftigen Grund. Ende der 1960er Jahre übertraf er nämlich an Verkaufszahlen selbst The Beatles. Trotz dieses enormen kommerziellen Erfolges blieb dennoch immer das Gefühl, Cash machte es nicht des Cash wegen, sondern weil es Wichtigeres gab, nämlich z.B. aus Überzeugung Schwächere zu stärken. Er überzeugte vor eitlem Publikum im ausverkauften Madison Square Garden genauso wie bei seinen Gratisauftritten in Gefängnissen - bei letzteren kulminierte dies sogar in allerhöchster künstlerischer Ausdruckskraft. Nachzuhören auf den zwei Alben, die zu den Besten gehören, die jemals veröffentlicht wurden: "At Folsom Prison" und "At San Quentin" sind vermutlich die überzeugendsten Live-Alben in der Musikgeschichte. Er hatte die schweren Knastbrüder fest im Griff, war während des Auftritts einer von ihnen, machte Schmähs und zynische Bemerkungen und sang was sie hören wollten, nicht, was ihm von der Obrigkeit gesagt wurde, dass er zu singen hätte.
Wir sind alle Weicheier im Vergleich zu Johnny Cash
Johnny Cash hatte aber auch seine persönliche Not im Schatten des Glanzes seines Ruhms. Er ging dabei fast zugrunde, bevor ihn seine spätere (zweite) Ehefrau June Carter (aus der berühmten Carter-Family) aus dem Drogensumpf hervorzog. Sie schrieb für ihn "Ring of Fire", gab ihm die Religion, Willensstärke, Frieden und jede Menge Liebe. Die beiden - Johnny Cash und June Carter Cash - waren, so stelle ich's mir vor, das perfekte Ehepaar. Ohne den anderen ging nichts, und als June Carter Cash im Februar 2003 starb, waren auch die Tage von Johnny Cash sehr rasch gezählt. Ohne diesen liebevollen Rückhalt ging er leider noch schneller dem Ende zu. Sein Lebenslicht erlosch am 12. September 2003. Ich weiß gar nicht mehr so recht, wann ich zum ersten Mal auf Johnny Cash aufmerksam wurde, vermutlich irgendwann in den 1980ern als die Columbo-Serie mit Johnny Cash als Mörder im TV gezeigt wurde. Sein "I Saw The Light" war jedenfalls eine ziemlich erhellende Angelegenheit für mich und in einem Aufwasch lernte ich dabei die Musik von Johnny Cash und Hank Williams kennen, spürte deren Songs auf, kaufte mir von beiden, was ich ergattern konnte - und, ja, das zog natürlich seine Kreise, aber Johnny Cash mit dieser dunklen, monotonen Stimme und dieser unheimlichen Ausdruckskraft, ja, das war für mich seither schon so ziemlich das Größte. Dass Johnny Cash nicht mehr unter den Lebenden weilt ist traurig, aber der Trost für uns, die um ihn trauern, ist seine Musik, die bleibt.
Er schien bei allem, was er tat, eine Stimme der Wahrheit zu sein
Mit "The Legend" erschien nun bei Sony BMG eine opulent aufgemachte 4-CD-Box, die im wesentlichen aus des Herren Cash alte Hadern besteht. Darauf zu hören gültige Klassiker angefangen von "I Walk The Line", "Ballad of a Teenage Queen", "Don't take your guns to town" bis hin natürlich zu "Ring of Fire", "Daddy sang Bass", "Jackson" und wie sie alle heißen, die ihn so berühmt und unvergesslich machten. Aufgeteilt in den Kapiteln "Win, Place and Show - The Hits" (CD 1), "Old Favorites and New" (CD 2), "The Great American Songbook" (CD 3) und "Family and Friends" (CD 4) bekommt hier der geneigte Musikkonsument und Cash-Afficinado einen guten Überblick über sein reiches Schaffen, gewürzt mit einigen wenigen bis dato unveröffentlichten Aufnahmen. Bereichert wird das ganze mit einem extensiven Booklet, einmal mehr interessanten Liner-Notes und vielen bestechenden Fotos aus seinem Familienalbum. Und wenn wir schon bei Fotos sind. Im Heyne Verlag erschien unter dem spartanischen Titel "CASH" (2005, Heyne) ein diamantener Essay- und Bildband zur Person Johnny Cash. In diesem 225 Seiten starken Band kann man nachlesen, was Musikerfreunde über ihn meinten. Tochter Rosanne Cash schrieb das Vorwort, und im Kapitel "In Memoriam Johnny Cash" griffen u.a. Bob Dylan, Merle Haggard, Kris Kristofferson, Bono (U2), Al Gore (ex-Präsidentschaftskandidat der USA), Jerry Lee Lewis, Emmylou Harris, Tom Petty, Steve Earle und Sheryl Crow zur Feder. Darüber hinaus ist ein Interview mit Rick Rubin im Buch enthalten, und vieles mehr. Ein inspiriertes wie inspirierendes Füllhorn. Die 4-CD-Box "The Legend" und das Buch "CASH" ist ein weiterer notwendiger Baustein, um Leben und Werk von Johnny Cash noch besser begreifen zu können, denn wie schreibt Emmylou Harris richtigerweise über ihn?: "Er schien bei allem, was er tat, eine Stimme der Wahrheit zu sein." (Manfred Horak; 2005)
CD-Tipp:
Johnny Cash - The Legend
Musik: @@@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Sony BMG (4 CDs; 2005)
Buch-Tipp:
CASH
2005; Heyne Verlag
225 Seiten
Gebunden; mit zahlreichen Fotos
ISBN 3-453-12019-1