kassandra_teaser"Tod bedeutet für mich nur den Verlust der Stimme, niemals das Ende meiner Existenz." Nataša Mirkovic-De Ro überzeugt restlos in ihrer "Kassandra"-Darstellung. Von Birgit Gabler.

Kassandra ist die Interpretin des Klagelieds für 23 Verstorbene. Die Tochter des Priamos und der Hekabe in der griechischen Mythologie, erwiderte die Liebe des Apollon nicht. Kassandra erhielt von ihm die Gabe der Weissagung mit dem tragischen Zusatz, niemals damit Glauben zu finden. Sie prophezeite den Untergang Trojas und wurde bei der Einnahme der Stadt im Tempel der Athena geschändet. Agamemnon nahm Kassandra als Sklavin mit nach Mykene, wo sie von seiner Frau Klytaimnestra ermordet wurde. Die Sängerin und Schauspielerin Nataša Mirkovic-DeRo wurde in Sarajewo geboren und lebt zur Zeit in Graz und Wien. Bekannt wurde sie als eine der drei großartigen Sängerinnen des Sandy Lopicic Orkestars, sowie durch mehrere Theaterproduktionen. Bereits im vergangenen Sommer stand sie in der dramagraz-Produktion "Gipsy's Lullaby" beim La-Strada-Festival als einzige Darstellerin auf der Bühne (von einer charmanten Ziege und der musikalischen Begleitung abgesehen).

kassandraSeit Jahren beschäftigt Nataša sich auch mit altem Liedgut aus Mazedonien, Albanien, Serbien und Bosnien. In "Kassandra" interpretiert sie 17 Klagelieder solo und in Originalsprachen aus dem Balkanraum: Totenklagen, Lieder von Verlust, Liebe, Schmerz, und Trennung. Souverän meistert sie dabei die große Herausforderung, dieses mal allein und ohne Begleitung eines Instrumentes auf der Bühne zu agieren.
Kassandra - ganz allein im Raum, auf einem Podest, kommt mit sparsamsten Requisiten wie Kleid, Tuch, Glas und Stein aus. Regisseur Ernst M. Binder lenkt alle Aufmerksamkeit auf Körper und Stimme.
Parallel zu den Liedern wird ein extra für diese Produktion gemalter Totentanzzyklus der Grazer Malerin Claudia Paulin über die Darstellerin und das Bühnenbild projiziert. In der jeweiligen Landessprache des Aufführungsorteswerden Paraphrasen von Ernst Marianne Binder in diese Bilder montiert. Unaufdringlich tragen sie die melancholische Stimmung durch das Stück und bieten all jenen Halt, die die Klagelieder nicht im Original verstehen können. Binder bringt die Bilder in einer behutsamen Inszenierung, meisterlich reduziert auf das Wesentliche, mit Stimme, Körper(haltung) und Licht in perfekten Einklang.Kassandra ist ganz in weiß gekleidet - in die Trauerfarbe des Südens.
Claudia Paulin setzt ihre dunklen, linolschnitt-artigen Bilder dahinter. Sie borgt sich von den klassischen Knochenmännern Augenhöhlen und Rippen und platziert diese in neuen Zusammenhängen mal kontrapunktisch schemenhaft, mal linear zu den einfachen Melodien, zum Körper und Stimme. Bild, Text und Stimme werden in der Komposition eins.
kassandra1Das große Spektrum der Klagelieder reicht von scheinbar unbeschwerten Schlafliedern, gebetsmühlenartigen Formeln, eruptiven, archaischen Rufen bis zu rhythmischen, tanzbaren Gesängen. Für deren groove braucht es nicht mehr, als diese "Stimme am richtigen Fleck". Sie kann weinen, flüstern, schreien, raunen oder einfach "nur" singen, das warme, angenehme timbre, das Natašas Stimme so unverkennbar macht, bleibt immer erhalten.
Mühelos und ohne jede Anbiederung entwendet Nataša die mediterranen Klagelieder der Ethnologie und macht sie zur Klage des Menschen schlechthin. Ihr Gesang spielt nicht mit exotischem Flair - Unmittelbarkeit braucht keine Übersetzung. Der Körper ist das Instrument, das sich selbst spielt und gespielt wird - gesprochen, geklopft, getragen, begleitet von Licht, vom Mahlen zweier Steine aufeinander, vom Tropfen des Wassers oder - von Stille.
"Kassandra - laments of the balkans" ist ein großartiges Stück Theater, großartige Musik.
Musiké in ihrer ursprünglichsten Form - vielleicht wie im Griechenland Kassandras?

Zusatzinfo:
Kassandra ist eine Produktion von dramagraz und pvot: http://pi-vot.net

CD-Tipp:
Nataša Mirkovic-De Ro, Ernst M. Binder und Claudia Paulin - Kassandra (Laments of the Balkan) (Extraplatte)