roedelius_portraitRobert Fischer traf sich mit Rodelius, Tim Story und der mexikanischen Sängerin Alquimia, um mehr über das Album "Lunz" und der Arbeit an der gleichzeitig veröffentlichten Remix-CD zu erfahren.

Hans Joachim Roedelius, Pionier der Elektronik-Szene, der mit seinen Arbeiten - z.B. mit Brian Eno - Künstler wie David Bowie und Air beeinflusste, unter Kennern des Genres Kultstatus genießt und kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, sprach mit Robert Fischer über seine vielfältigen, künstlerischen Aktivitäten.

Robert Fischer: Herr Roedelius, mit "Lunz" und der dazugehörigen Remix-CD gelang ihnen eine wunderschöne Produktion. Wie sind die Songs für "Lunz" entstanden?

Hans-Joachim Roedelius: Ich kenne Tim Story, mit dem ich auf "Lunz" zusammengearbeitet habe, seit 1983. Wir haben uns kennen gelernt, als ich in den USA auf Tournee war, und wir sprachen schon damals über eine Zusammenarbeit. Als ich 1999 wieder in den USA auf einer Solo-Tour war, habe ich bei längeren Zwischenstopps die Basic-Tracks am Klavier in Tims Haus aufgenommen. Tim hat in weiterer Folge in einem Zeitraum von ca. 3 Jahren diese Tracks bearbeitet und die Original-Version von "Lunz" ist dann 2002 erschienen.

Sind Sie während der Aufnahmen dann zwischen den USA und Österreich hin und her gependelt?

Nein. Tim Story hat die Basic-Tracks auf seinen Computer übertragen, hat dann daran gearbeitet und die ganze "Kleinarbeit" gemacht, d.h. die Stimmen dazugeschrieben, das Cello, die Oboe, und auch alle elektronischen Dinge stammen von Tim.

Wie war die Zusammenarbeit mit der Cellistin Martha Reikov?

Martha ist eine Freundin von Tim und hat Ihren Part in Tims Haus in L.A. aufgenommen. Tim hat die CD auch produziert und war bei der Covergestaltung der Original-Ausgabe sehr involviert d.h. Tim Story hat einen ziemlich großen Anteil bei der Produktion der "Lunz"-CD.

Welche Bedeutung hat das Cover der CD?

Es entstand aus einem Foto und einer Abbildung aus einem Atlas. Das Ganze ist nur ein Spiel mit der Optik, damit das Cover nicht so eine "dröge, esoterische Seekiste" wird und nicht in diese Richtung gedeutet werden kann.

Wie entstand die Idee für die Remix-CD von Lunz?

Die Original CD ist ja auf dem "Grönland"-Label von Herbert Grönemeyer erschienen und war ein Riesenerfolg! Sie bekam tolle Kritiken, wir spielten u.a. ein Konzert in der Londoner Queen Elizabeth Hall und nicht zuletzt waren auch Herbert Grönemeyer und das ganze Label von dieser CD einfach so begeistert, dass Anfang 2004 die Idee entstand, mal ein paar "Jungs" an die CD ranzulassen, um zu sehen, was Sie mit den "Tracks" von Lunz machen können. Und auch die Sängerin Alquimia aus Mexiko hat sich mit großer Freude an dem Projekt beteiligt. So ist ein wunderbares Album entstanden.

timTim Story: Die Idee des Labels war, durch die Remix-CD von "Lunz" auch eine größere Bandbreite des Publikums anzusprechen. Viele Künstler, die auf der Remix-CD mitgearbeitet haben, wollten helfen, durch Ihre Bearbeitungen, die Leute auf die wunderbare Musik der Original-CD aufmerksam zu machen. Auch junge Leute, die elektronische Musik hören, sollten so die Gelegenheit bekommen, die "Lunz"-CD zu hören. Es gab seitens des Labels fast keine Vorgaben, jeder Künstler war frei, die Stücke nach eigenem Geschmack zu verändern. Manche veränderten die Original-Stücke nur sehr wenig und punktuell, während andere Musiker durch den Remix fast komplett neue Stücke schufen.

Wie kam die Kooperation mit Lloyd Cole zustande?

Tim Story: Lloyd Cole war gerade auf Tour, als wir Ihn wegen der Remix-CD ansprachen. Er hatte deswegen nur wenig Zeit, nahm einige Gesangsspuren für den Remix des Stücks "Akimbo" auf, hat diese an mich geschickt und beauftragt, den Track neu abzumischen. So hat fast jeder Track auf dieser Remix-CD seine eigene Geschichte.

Wie sind Sie an den Remix herangegangen, Alquimia?

Alquimia: Ich überspielte mir den Original-Track "Wobbly Flu Twilight" auf meinen PC, wo ich ihn dann bearbeitete. Zuerst überlegte ich mir eine neue Melodie für meine Gesangsspur und einen dazupassenden Text. Zum Schluss gab ich dem Track auch noch einen neuen Titel.

Tim Story: Die Entstehung des Songtitels "Wobbly Flu Twilight" hat auch eine witzige Story. Ein gemeinsamer Freund von Joachim und mir schrieb mir in einem E-Mail, dass er schon eine Woche krank im Bett läge, es gehe ihm zwar schon ein wenig besser, aber er fühle sich immer noch in einem "Wobbly Flu Twilight".

Wie haben Sie Roedelius und seine Musik kennen gelernt?

Alquimia: So um 1999 herum lernte ich durch einen Journalisten-Freund in London, wo ich derzeit lebe, Roedelius und seine Musik kennen. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut, sind seitdem in Kontakt und haben auch schon eine CD gemeinsam aufgenommen.

Wie lange dauerte es eigentlich die Remix-CD fertig zu stellen?

Tim Story: Die Produktion hat ca. 1 Jahr gedauert.

Herr Roedelius, sind sie glücklich darüber, dass ihre mehr als 30-jährige Pionier-Arbeit auf dem Gebiet der elektronischen Musik, für die sie lange nur in der Szene große Anerkennung erhielten, jetzt auch eine breitere Öffentlichkeit in Österreich interessiert?

Roedelius: Es wurde Zeit, dass das passiert. Die Zeit war reif dafür. Ich will ja nicht für meine eigenen Ohren Musik machen. Ein Künstler arbeitet ja nicht nur für die eigene Tasche, seine Kunst muss Adressaten haben. Ich bin froh, dass das passiert - da, diese Verkaufszahlen brauchen wir! [Lachend zeigt Roedelius auf eine von ihm selbst gefertigte Pinwand im Büro, auf der eine steile Erfolgskurve für die Verkaufszahlen der "Lunz"-CD zu sehen ist, die sogar die erfolgreichreichste Aktie der Wall Street vor Neid verblassen lassen würde; Anm.] Ich hatte zwar schon länger außerhalb der deutschen Sprachgrenzen Aufmerksamkeit für meine Arbeit, mehr als hier im eigenen Land. Obwohl ich in Österreich zwar eine wunderbare kleine Lobby von Leuten wie Wolfgang Kos, Edek Bartz und Giselher Smejkal hatte, die ab und zu eine Platte von mir im Radio gespielt haben, war es trotzdem schwierig, meine oft spröde und nicht leicht zugängliche Arbeit, im eigenen Land zu promoten.

Wären Sie interessiert, wie Ihr ehemaliger musikalischer Partner Brian Eno, als Produzent mit einem richtig großen Namen der Rock- oder Pop-Musik zusammenzuarbeiten?

roedelius1Ach Gott, wenn es sich ergibt, warum nicht? Wenn der Job interessant ist und wenn es Leute sind, die Kunst wollen und keinen Kommerz, keine Frage! Ich arbeite ja schon laufend als Remixer für viele verschiedene Leute. Derzeit habe ich ca. 15 Projekte laufen, u.a. für einen amerikanischen Poeten aus Providence im Genre Hip-Hop und Trip-Hop. Ich kooperiere mit unterschiedlichsten Leuten aus allen Ecken.

Sie machen auch Filmmusik.

Ja. Ich wurde eingeladen die Musik mitzugestalten für einen Film über John Lennon namens "Imagine, Imagine". Der Filmemacher heißt Frederick Baker. Nanni Moretti hat das Stück "By This River" [erschienen auf dem Brian Eno-Album "Before and after the sience"; 1977, E.G.Rec./Virgin; Anm.] für einen Film verwendet, einige andere Filmemacher haben Musik von mir für ihre Filme verwendet ohne speziell mit mir in Kontakt zu treten und ich arbeite derzeit noch an einigen anderen Filmmusik-Projekten.

Haben Sie Berührungspunkte mit dem Singer/Songwriter-Genre und Leuten wie Nick Drake, Joni Mitchell oder Bob Dylan?

Ich bin interessiert an solchen Sachen, weil ich Sie auch selbst mache. Ich habe ja selbst eine Veröffentlichung mit Songs namens "Vom Nutzen der Stunden - Lieder vom Steinfeld" herausgebracht [Vol. 1 erschien 1995; Vol. 2 im Jahr 1999, und Vol. 3 schließlich 2003; alle "Private Release"; Anm.] arbeite viel mit Text und schreibe auch eigene Gedichte. Das ist ein wichtiger Teil des musikalischen Spektrums. Ich interessiere mich schon seit Beginn meiner Arbeit für Musik in allen ihren Spielarten und habe einfach auch keine Lust, immer den selben Nagel ins selbe Loch zu klopfen! //

Interview und Fotos: Robert Fischer

roedelius_coverCD-Tipps:
Roedelius - Lunz (2002; Groenland/EMI)
Lunz "Lunz - Reinterpretations" (2004; Groenland/EMI)



Live-Tipp:
Festival " More Ohr Less" in Lunz am See (2. - 6. August 2006) - die in diesem Artikel zu hörende Musik ist übrigens der Kupelwieser-Walzer, gespielt von Franz Wagner

Link-Tipps:
www.roedelius.com
www.timstory.com