Der nächste geniale Streich von Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung setzt die Zeitmaschine ins Jahr 1968 in Bewegung. Wie vom komödiantischen Sänger gewohnt ist es eine Tour de Farce zwischen Intellektualismus und Dadaismus.
"Alle waren Nazis das war normal / [...] / das warn normale Leute mit normaler Frisur / und keine ostdeutsche Jugendkultur / [...] / und dann kamen diese Langhaarprolos / und spielten Gitarrensolos / [...] / die 68er sind an allem schuld." Einmal mehr verblüffend die hohe Textqualität und zudem wie scheinbar locker die tollsten Melodien aus den diversen Ärmeln geschüttelt werden. Hinzu kommt generell, dass auch das dritte Versöhnungs-Album das hohe Niveau der ersten beiden Silberlinge halten, wenn nicht sogar toppen, kann. Diesmal begeben sich Rainald Grebe (Gesang, Tasten), Marcus Baumgart (Gitarren), Martin Brauer (Schlagzeug) und Franz Schumacher (Bass) also auf Zeitreise zurück ins Mythos beladene Jahr 1968. Von diesem Jahr ausgehend werden diverse Fäden, Assoziationen und Befindlichkeiten erforscht, karikiert und zitiert, sei es Eric Burdon in "Als ich jung war", sei es Ton Steine Scherben in "Die Ratte", sei es Janis Joplin in "Es gibt kein richtiges Leben im falschen", sei es The Beatles in "LSD". Die 13 auf den Punkt gebrachten Geschichts-Reflexionen in Liedform sind raue, kantige Rocker und Balladen in perfekter Unperfektion, immer auf der Suche und am Sprung den Liedern unerwartete Wendungen zu geben. Im Visier: u. a. die Gesundheitsdiktatur ("Raucher"), Filmbiografien und Filmdokumentationen ("Zeitmaschine"), Politik ("Die Ratte", "Der Präsident"), die Folgen der 68er-Generation ("Wellnesshotel", "Die 90er"), Gegenwarts-Befindlichkeiten ("Sag wir zu mir"), letzteres z.B. mit der bemerkenswerten Strophe "Im Fernsehen sagt ein Mann Gemeinschaft ist wichtig / im Fernsehen sagt ein Mann die Sehnsucht danach die ist enorm / was uns allen fehlt das ist doch Liebe / und eine Steuerreform". Bisher ist ihm der ganz große Durchbruch dennoch nicht gelungen, vielleicht weil er, wenn auch Stil sicher wie kein Anderer, am schmalen Grat zwischen Liedern, die für sich stehen, und den kabarettistischen Elementen wandelt. Schade, denn seine Texte bieten Doppel- und Mehrfachblicke zwischen Intellektualismus, Humor und Dadaismus, seine modernen Volkslieder im Rock-Format mit diesen unnachahmlichen und oft wie ein Mantra zelebrierten Refrains sind nämlich weiterhin das Beste, was der deutschsprachigen Singer-Songwriter-Szene passieren konnte. "Rock'n'Roll sieht anders aus", heißt es an einer Stelle bei Rainald Grebe. Möglich, aber wenn die Versöhnungspartie so groß aufspielt wie in "Die Ratte" dann kann Rock'n'Roll gar nicht anders aussehen. (Manfred Horak)
CD-Tipp:
Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung: 1968
Musik und Text: @@@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: Versöhnungsrecords/Brokensilence (2008)