mit den Schlagworten:

mitch_ryder_youdeservemyartDie dritte gemeinsame Studio-Produktion von Mitch Ryder und Manne Pokrandt beweist, dass der Sänger aus Detroit (USA), der mittlerweile in Berlin lebt, noch viel zu sagen hat und weiterhin imstande ist kraftvolle Songs zu schreiben.


 

Mitte der 1960er Jahre war Mitch Ryder mit seinen Detroit Wheels drauf und dran ganz groß durchzustarten. Mit "Jenny Take A Ride", "Devil With A Blue Dress On/Good Golly Miss Molly" und "Sock it to me, Baby" landete er gleich drei Top 10 Hits, die sich millionenfach verkaufen ließen. In Europa wurde er Ende der 1970er Jahre aufgrund seines Albums "How I Spent My Vacation" (1978) und vor allem wegen seines (wenn auch volltrunkenen) Auftrittes im Rahmen der Rockpalast-Serie (1979) wieder einem größeren Publikum in Erinnerung gerufen. Mitch Ryder stand seit jeher für DEN weißen Soul-Screech mit all seinen durchdringenden Schreien, der stets sein Innerstes nach Außen kehrte – und glücklicherweise nicht daran zerbrach. Vielmehr gelang es ihm in den letzten Jahren wieder Fuß zu fassen und mit schöner Regelmäßigkeit gemeinsam mit der deutschen Band Engerling und dem Co-Produzenten Manne Pokrandt Alben zu veröffentlichen, so etwa zuletzt "The Aquittet Idiot" (2006).

Das Album geht ab wie eine Rakete

Mit "You Deserve My Art" legt er wohl eines seiner besten Alben überhaupt vor mit 10 unglaublich stilvollen, packenden und mitreißenden Liedern. Ein Album, das ihm eigentlich erneut millionenfachen Verkauf bescheren sollte. "Goin' up like a rocket" heißt es in der Eingangszeile von "Rocket", dem ersten Lied des Albums (und gleichzeitig eines von zwei Cover-Versionen), das mit gepflegtem Mid-Tempo-Rock zu überzeugen weiß und gleich mal Gusto auf die restlichen Lieder macht, um im nächsten Lied mit voller Kraft voraus das 21. Jahrhundert zu besingen. Seine Rock-Stimme ist hier ein Aufschrei mit Brüchen, musikalisch begibt er sich mit "The 21st Century" zwischen den Stühlen signifikanter Jazz-Momenten und Old School R&R als Reflexion auf George Orwells düstere Visionen der Big Brother-Mentalität. Dass William Levis, wie Mitch Ryder mit bürgerlichem Namen heißt, auch den Slow Blues zu singen weiß, sollte allen klar sein. Mit "All The Fools It Sees" röhrt er sich im besten Ryder-Falsetto durch halsbrecherische fünf Minuten: "All that time I spent believing in you/And all the time believing what say you do/There ain't no way a love can be so true", weint er in die Welt hinaus. Und dann, Überraschung! "I have never done a latin based rhythm before and have always wanted to", schreibt Mitch Ryder in den Anmerkungen zu den Songs im Booklet. Na dann! "The Naked Truth" besitzt Hit-Qualitäten, weil es unweigerlich an Santana erinnert ohne peinlich zu sein und weil es mit einer Melodie das Ohr erobert, das einem auch nach dem zigsten Hördurchgang erfreut. Das darauf folgende "Heaven takes you back" führt den Mitch Ryder-Fan (und ein solcher ist man spätestens bei diesem Lied) in die Reduzierung. Weg vom Rock hin zur akustischen Gitarre und Duduk. Eine Ode an die Welt gewissermaßen, stilistisch dem Barock angelehnt: "Somewhere on this earth/Some know what life is worth/Here and there they care/Here and there they try/All you do is lay and wonder."

Lieder über Freiheit und Lebens-Alternativen

Gedanklich endet hier die Seite 1 des Albums, da man bekanntlich eine CD nicht umdrehen braucht, folgt die Seite 2 prompt. Und was für ein Auftakt! "Under That Big 'Ole Texas Sky" ist ein rasanter TexMex-Zydeco Gemisch, das alle Stückerln spielt und zu den besten Liedern im Gesamtschaffen von Mitch Ryder zählt. Ein Lied über die Freiheit entscheiden zu können wo man leben möchte: "Under that big 'ole Texas sky/That's where I want to live and die/If we can't speak no Mexican/Than we'll go home to Michigan", heißt es süffisant in der letzten Strophe des Liedes. Die Suche nach einer Alternative zum Materialismus ist hingegen Ausgangspunkt und Zentrum von "In My Garden", einer auf einfachen Akkorden aufgebauten Ballade, die im gospeligen Blues-Rock von "Moondog House" (der zweiten Cover-Version des Albums) aufgeht. Einen weiteren Zahn legt Mitch Ryder in "The Night The Devil Died" zu, einer Hommage bzw. Erinnerung an ein Konzert von Mitch Ryder in New York, bei dem The Cream UND The Who als Vorgruppen (!) fungierten. "It was my turn/To make souls burn/Starting riots/Was my performance", singt Ryder und die Gitarren brennen. Mit einem quicklebendigen, verspielten Up-Tempo Blues-Rock mit Reggae-Anleihen lässt der Sänger das Album schließlich ausklingen. Die Stärke von "Strollin' With My Mouse" liegt eindeutig im musikalischen - textlich ist es nämlich eher eine nette Wort-Spielerei zum Thema Internet – und hier vor allem in den befreienden Gitarren-Soli von Gisbert Piatkowski und Heiner Witte. Super Album. (Manfred Horak)

CD-Tipp:
Mitch Ryder – You Deserve My Art
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Musik: @@@@@@
Klang: @@@@
Label/Vertrieb: BuschFunk (2008)