Wer hat das noch erwartet? Als Lindenberg-Fan von Kindheit an - also quasi ein Lindenzwerg und späterer Udopist, der den Karriereverlauf des "Detektivs, der niemals schlief" seit langer Zeit sehr genau beobachtet - war man in den letzten beiden Dekaden nicht gerade verwöhnt maßgebliche Werke des Panik-Präsidenten vorgesetzt zu bekommen.
Spuren der Versengung
"Stark wie Zwei" jedoch entschädigt für die überlange Warterei von der ersten Sekunde an. "Ich bin gerast durch dieses Leben", singt Panik-Udo ohne Vorwarnung, "bin geflogen aus den Kurven/hab' mich selber ausgeknocked", und schon ist man mittendrin im Lindenbergischen Kosmos der Gefühle mit so Udopischen Hammer-Zeilen wie "Doch du warst immer bei mir, irgendwie/wie 'ne superstarke Melodie/die mich packte und nach Hause trug". Seine Gesangsstimme trägt heftige Spuren der Versengung, die er sich auf'm Highway to Hell holte, aber das macht sowas von überhaupt nichts, weil man sich generell freut, dass ihm noch einmal ein derart großes Lied gelingt, denn musikmäßig stellt sich die Einstiegsnummer "Ich zieh' meinen Hut" als völlig unprätentiös, uneitel und alles andere als überladen balladiert dar. Und dann die nächste große Überraschung. Schlag auf Schlag geht es nämlich in dieser Tonart weiter. Beim zweiten Lied "Wenn du durchhängst" stellt sich bereits die dringende Frage, wo er diese Quelle der Kraft und Inspiration plötzlich wieder her hat, um quasi mir nichts dir nichts den x-ten Frühling zu zelebrieren. Herausragend auch das dritte Lied des Albums, "Ganz anders", feat. Jan Delay, in dem das Gesangsduo beteuert, dass sie eigentlich ganz anders seien, nur kommen sie halt viel zu selten dazu, und: "Du machst hier grad'/mit einem Bekanntschaft/den ich genauso wenig kenne wie du". Dazu gibt es den Überlindenhammer-Beat in Funk-Rock-Manier. Dem folgen zwei der typischsten Udo Lindenberg-Lieder, zunächst das Rührstück "Was hat die Zeit mit uns gemacht", danach das rockende "Mein Ding" mit Udo-Reimen wie "Ja, ich mach mein Ding/egal, was die ander'n labern/Was die Schwachmaten einem so raten". Gänsehaut-Partie Hut ab gebührt auch dem Titellied. Eine absolute Gänsehaut-Partie komponiert von Annette Humpe, getextet von Mr. Lindenberg. "Der Tod ist ein Irrtum", heißt es da, und, "Der Fährmann setzt dich über'n Fluss rüber/Ich spür' deine Kraft geht voll auf mich über". Ein Lied, groß wie sein Hit "Horizont" aus dem Jahr 1986 vom Album "Phönix". Der lindische Ozean nimmt danach nochmals ordentlich an Lindstärke zu, und zwar im Rocker "Der Deal" feat. Silbermond, gefolgt vom melodiösen Blödelspaß mit Helge Schneider als Duett-Partner und Mann an sämtlichen Instrumenten. "Chubby Checker" heißt das jazzige Grimassenspäßchen der zwei Detektive samt Drogenhund Rex, die einen verdächtigen Gast an der Rezeption ausmachen, "Man weiß noch nicht genau/man ahnt noch rein ins Blaue/Vielleicht ein Koksbaron". Besten Wortwitz findet sich auch im darauf folgenden Lied "Der Greis ist heiß", das ordentlich losrockt und in dem Udo wieder mal eines seiner Lieblingsthemen auspackt: "Er trinkt sein Bier aus der Schnabeltasse/und dann geht es wieder richtig los/Er sagt: BBBaby, Baby/gewähr' mir mal den Gnadenstoß". Are you having a problem, ein Alkoholproblem Sex & Drugs & Rock'n'Roll - die Verwirklichung dessen treffen kaum auf jemand anderem aus deutschen Landen besser zu als auf Uns Udo. So nimmt er nach dem Lustprinzipalienlied "Der Greis ist heiß" das Thema Alkohol zur Brust. In "Woddy Woddy Wodka" schuf er erneut eine Figur wie er so viele schon erschuf - von Rudi Ratlos bis Ole Pinguin, von Bodo Ballermann bis Jonny Controletti, von Elli Pyrelli bis Riki Masorati, und wie sie alle heißen. Ein toter Mann wird am Strand gefunden, "Aber schon nach dreieinhalb Tagen/alles klar auf Golgatha - war er wieder auferstanden/Freitagabend an der Bar". Dazu der atmosphärisch-dichte Astronauten-Sound und fertig ist ein weiteres Lindenberg-Lied, das man gerne hört. Das zweite Hochpromillenlied ist zugleich auch ein weiterer Höhepunkt des Albums. "Nasses Gold" fliegt wie ein Prototyp eines Schwebemodells durch die Musikgeschichte, stets dem Wahnsinn und Genie (auf der nassen Spur) hinterher, Collagen-mäßig verpackt sind hier auch einige seiner Frühwerke zu diesem Thema - völlig zurecht, denn "Nasses Gold" zählt überhaupt zu den besten Liedern von Udo Lindenberg. Gleich nach dem Werbeblock/mach ich das Interview mit Gott Selbiges gilt auch für "Interview mit Gott", dessen Grundthema ebenfalls eine lange Tradition von Mr. Udo weiterführt, und in einer Linie steht mit Liedern wie "Wozu sind Kriege da?" (1985 aus dem Album "Radio Eriwahn"), "Der große Frieden" (1984 aus dem Album "Götterhämmerung"), "Kleiner Junge" (1983 aus dem Album "Odyssee"), "Grande Finale" und "Affenstern" (1981 aus dem Album "Udopia") - nun, das ließe sich mehr oder weniger beliebig quer durch sein Gesamtschaffen weiterführen. Mit "Interview mit Gott" gelang dem knautschigen Sänger einmal mehr ein glaub-würdiges gesellschaftskritisches Lied, umgesetzt als Rock-Ballade. Sozusagen der Idealzustand. Das vorletzte Lied auf dem Album, "Verbotene Stadt", ist ebenfalls im Genre Rock-Ballade zu Hause, erweitert von Till Brönners Jazztrompete, was ziemlich gut kommt. Edle Melodie, gepaart mit Zuckertextzeilen wie "Ich muss dich vergessen/auch wenn das die Hölle ist/Wir haben uns getroffen/es war Leiden auf den ersten Blick" ergeben demnach einen weiteren Udo-Klassiker. Küss mich ein letztes Mal Einen besonderen Stellenwert haben auch jene Lieder auf einem Udo Lindenberg-Album, die den Ausklang bilden. Seine besten Lieder gingen daraus hervor, sei es "Bis ans Ende der Welt" (1978 aus dem Album "Dröhnland Symphonie"), "Kugel im Colt" (1981 aus dem Album "Udopia"), "Immer noch verrückt nach all den Jahren" (1978 aus dem Album "Lindenbergs Rock-Revue"; Original von Paul Simon) oder "Es war einmal eine Liebe" (1988 aus dem Album "CasaNova") - auch hier ließe sich übrigens die Liste beinahe beliebig fortführen. Diesmal heißt das Finale "Der Astronaut muss weiter" und noch einmal beweist Udo Lindenberg seine schöpferische Kraft in einer schwelenden Klavier-Ballade: "In irgend'nem Sternental", singt Udo zartbitter und schön wie schon lange nicht mehr, "geh' ich als Staubkorn nieder/seh'n uns vielleicht nie wieder/Küss mich ein letztes Mal". Ein Udonautisches Album allererster Güte. (Manfred Horak) CD-Tipp: Die 10 besten Alben von Udo Lindenberg (ohne Reihung): Das beste Live-Album von Udo Lindenberg: Link-Tipps: |
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