"Well the further I must go/Then the nearer I must stay/Men have sailed seven seas to be free..." - Van Morrison, der Schutzheilige aller Sinn-Suchenden veröffentlicht mit "Keep It Simple" sein 32. Studio-Album.
"Only a fool could think that things would ever be simple again", singt der Belfast Cowboy Van Morrison in "No Thing" auf dem Album "Keep It Simple", seinem 32. Studio-Album.*
Zur Erinnerung: Van Morrison veröffentlichte bis 1991 und inklusive dem Album "Hymns to the Silence" ausnahmslos große Musik mit unglaublichen Songs und einer Stimme, die so viel verbergen kann und gleichzeitig alles preisgibt. Jahrhundert-Songs wie "Madame George", "Cyprus Avenue", "Moondance", "Crazy Love", "Listen to the Lion", "Snow in San Anselmo", "When the Healing has begun", "Rolling Hills" (um nur einige ganz wenige anzuführen) und Jahrhundert-Alben wie "Astral Weeks" (1968), "Moondance" (1970), "His Band and the Street Choir" (1971), "Saint Dominic’s Preview" (1972), "Hard Nose the Highway" (1973), "Veedon Fleece" (1974) und "Into the Music" (1979), sowie unwiderstehliche Live-Momente auf "It's Too Late To Stop Now" (1974) bildeten damals - Anfang der 1980er Jahre - die Essenz vieler Plattensammlungen. Was sich wie ein Ende liest war aber in gewisser Weise erst der Anfang, denn George Ivan Morrison hörte weder auf Musiker zu sein, noch hörte er auf gute Alben zu veröffentlichen. Im Gegenteil. Mit "Common One" (1980) und "Beautiful Vision" (1982) zeigte er gleich mal, dass ein Musiker, der in den 1960er und 1970er Jahren bereits erfolgreich wirkte, auch in den 1980er Jahren Top sein kann.
DAS Lied über DEN geglückten Tag
Weitere Highlights in den 1980er Jahren: Das ungewohnt synthie-lastige und stark esoterisch-verzierte "Inarticulate Speech of the Heart" (1983), die stark unterbewerteten Alben "No Guru, No Method, No Teacher" (1986) und "Poetic Champions Compose" (1987), die Zusammenarbeit mit The Chieftaines auf "Irish Heartbeat" (1988) und das wohl größte Juwel am Ende der Dekade, "Avalon Sunset" (1989). Auf das Lied "Coney Island" vom letztgenannten Album bezog sich übrigens Peter Handke, als er über den Versuch eines geglückten Tages schrieb. Darin heißt es: "Sing mir das Lied vom geglückten Tag! Es gibt tatsächlich ein Lied, das diesen Titel haben könnte. Van Morrison singt es, "mein Sänger" [...] Es ist ein sehr kurzer Song, vielleicht die kürzeste Ballade, die es je gab, sie dauert gerade eine Minute [...] und von jenem Tag wird mehr sprechend als singend erzählt, sozusagen sang-, klang- und tonlos, ein Murmeln gleichsam im Vorübergehen, dabei aus einer mächtig geweiteten Brust, im Moment der größtmöglichen Weite jäh abbrechend..."
Die 1990er Jahre begannen wie die 1980er endeten: Mit schier unglaublichen Kreativitätsschüben höchster Qualität und den zwei Alben "Enlightenment" (1990) und "Hymns to the silence" (1991). Danach war aber Schluss mit extraordinär. Erstmals folgten eine Reihe durchschnittlicher Alben - eine Phase, die im Prinzip bis heute anhält, unterbrochen nur von Alben wie "Days Like This" (1995), "The Healing Game" (1997), "What's Wrong With This Picture" (2003) und "Magic Time" (2005), wobei in der Regel ein für Morrison-Verhältnisse schwaches Album im Vergleich zur restlichen Musikwelt immer noch sehr gut wegkommt.
I'm not a legend in my own mind
Und jetzt also "Keep It Simple", in schlichtem Blau-Tristesse gehalten, worauf der Sänger sich ausnahmsweise nicht hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Das Cover erinnert an sein meisterliches Album "Into the Music" aus dem Jahr 1979, und tatsächlich führt uns Van Morrison mit "Keep It Simple" wieder tief hinein, into his music, fast bis zum Stillstand und zurück an diverse Ausgangspunkte gemäß dessen was Robert Musil in "Mann ohne Eigenschaften" schrieb: "Und eines Tages ist das stürmische Bedürfnis da: Aussteigen! Abspringen! Ein Heimweh nach Aufgehaltenwerden, Nichtsichentwickeln, Steckenbleiben, Zurückkehren zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt. [...] Alles Starke ist einfach." In der Einfachheit liegt auch die Stärke von "Keep it simple", einem Blues-Album mit 11 neuen Liedern von Van Morrison, gestärkt mit seiner unüberbietbaren Mischung aus scharfem Realitätssinn und transrealer Mystik, ewig auf der Reise nach Wahrheit und Wirklichkeit, Sinn und Sinnlichkeit: "Well the further I must go/Then the nearer I must stay/Men have sailed seven seas to be free...", singt er z.B. im majestätischen "Song of Home". Hervorragend auch der Nachtklub-Song "Don't go to Nightclubs anymore", in dem der von vielen als Legende bezeichnete Ire die Textzeile "I'm not a legend in my own mind" unterbringt.
Soul is not the colour of your skin
Das Album startet mit dem schleppenden Blues-Grummler "How can a poor boy?" und dem Leitmotiv Entfremdung als Grunderfahrung: "Had my rise, had my downfall/Now I'm gonna rise up again/Had my degrees, my initiations/Not speaking to the profane". Es ist ein sehr ungewöhnlicher Auftakt, aber es macht Sinn je öfter man das Album hört. Eines der Herzstücke des Albums trägt den profanen Titel "Soul", das auch mit einem wunderbaren E-Gitarren-Solo aufwartet. Morrison - man kann sich gut vorstellen, dass er gefragt wurde, ob er sich als Bleichgesicht denn überhaupt Soul-Sänger nennen kann/darf - definiert Soul u. a. folgendermaßen: "Soul is a feeling, feeling deep within/Soul is not the colour of your skin/Soul is the essence, essence from within/It is where everything begins". Gesanglich wird er (mit zwei Ausnahmen) übrigens von einem Tross an Backing Vocals unterstützt, u. a. von Karen Hamill, Margo Buchanan, Crawford Bell und Katie Kissoon. Bleiben wir gleich bei der Besetzung: Mit u. a. Cindy Cashdollar an der Steel Guitar, John Allair am Organ, John Platania an der Gitarre, David Hayes am Bass und Neal Wilkinson am Schlagwerk gibt es wieder jede Menge alte Bekannte zu hören und vor allem John Allair verhält sich dankenswerter Weise sehr auffällig. Durch ihn bekommen großartige Lieder wie "Lover Come Back" das letzte Tüpfelchen, um im Gesamtwerk Van Morrisons nicht zu (v)erblassen. Fein auch, dass Morrison nicht ausschließlich in der Rolle des Sängers verharrt. Neben der akustischen Gitarre, Piano und Saxofon greift Van the Man diesmal gleich bei drei Liedern zur Ukulele, zu hören im Titellied, in "That's Entrainment" und in "Behind the Ritual", letzteres ein weiterer Höhepunkt und zugleich Schlusslied des Albums.
Drinking that wine, stretching time
Frage an Van Morrison: "In welchen Gemütszustand bzw. Geisteszustand begeben Sie sich, wenn Sie ein Lied schreiben?" Antwort: "Drinking wine in the alley/Making time, talking all out of my mind/Drinking that wine in the days gone by/[...]/Getting high behind the ritual". In diesem fast 7-minütigen Lied taucht er in jene Sphären ab, für die er so geschätzt wird, wo dieses Grummeln und Granteln Methode hat, wo er sich und die Umgebung vergisst, wo er die Sehnsucht festhält und den Moment genießt. Mitten im Lied wendet sich der Sänger sogar der absoluten Simplifizierung zu. Van Morrison singt in "Behind the ritual" tatsächlich eineinhalb Strophen lang "Blah, blah, blah..." und beweist somit endgültig, dass es Kraft seiner Stimme eigentlich egal ist was er singt, Hauptsache er singt. (Manfred Horak)
* Anmerkung:
In der Zählung nicht mit eingerechnet seine Live-Alben "It's Too Late To Stop Now" (1974), "Live At The Grand Opera House Belfast" (1984), "A Night in San Francisco" (1994) und "The Skiffle Sessions - Live In Belfast 1998" (2000), sowie die Anthologie "The Philosopher's Stone - The Unreleased Tapes, Volume One" (1998), sowie die zwei Alben mit Them, die diversen Veröffentlichungen der Bang Masters und natürlich auch nicht die unzähligen Best of-Kompilationen.
CD-Tipp:
Van Morrison - Keep It Simple
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Musik: Ohne Wertung
Klang: @@@@@@
Label/Vertrieb: Exile Productions/Universal (2008)
Literaturtipps:
Peter Handke - Versuch über den geglückten Tag
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Robert Musil - Mann ohne Eigenschaften
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