"Es gibt gute Musiker, die wahrscheinlich sentimental sind. Ich bin es nicht. Ich bin ein leidenschaftlicher Musiker. Musik ist für mich wie Atmen." Am 11. September 2007 hörte Joe Zawinul mit dem Atmen auf. Von Manfred Horak
.Joe Zawinul hat den Lauf des Jazz derart mitbestimmt wie kein anderer Europäer, und er archivierte auch so ziemlich alles, was er an Musik kreierte, wie er mir in einem Interview einmal verriet: "Ich bin früh drauf gekommen, dass für mich das Komponieren so schnell geht, dass ich kaum mitschreiben konnte. Ich habe an die 5000 Kassetten voll von mehr oder weniger verwendbarer Musik, denn ich spiele seit mehr als 40 Jahren jeden Tag. Wenn ich unterwegs bin, stelle ich im Hotelzimmer in fünf Minuten alles auf, und dann spiele ich 90 Minuten. Auf dem Laptop bleibt das alles gespeichert. In den letzten eineinhalb Jahren sind auf diese Weise an die 700 Stücke entstanden."
O-Töne von Zawinul hatten immer seinen besonderen Reiz – er war absolut zitierfähig, nicht nur ein Wödmasta in der Musik, sondern auch ein Großmeister im Wuchtel scheiben, stets dem Superlativ auf der Spur: "Für mich gab es nie Eifersucht auf andere Musiker. Für mich war es wichtig, dass ich besser werde."
Erdberg war seine Heimat, und in Erdberg ist auch das Joe Zawinul's Birdland beheimatet. Das Birdland in Wien wurde in den letzten Jahren zum Wohnzimmer von Zawinul, dort präsentierte er seine jeweils jüngsten Alben, dort gab er auch bereitwillig Interviews, dort gab er exzellente Live-Konzerte mit 100%-Groove. Die große Reise vom Jazz-Wödmasta in den Pop-Olymp und wieder zurück in die Club-Atmosphäre endete also dort wo sie begann. Zawinul über sein Syndicate: "Ich finde immer, meine aktuelle Platte ist die beste. Einfach, weil ich selbst ein besserer Musiker wurde über die letzten Jahre. Man wird besser, weil die Lebenserfahrung wächst. Das Großartige für mich ist, dass ich beim Syndicate alle Freiheiten habe, die Musik zu variieren."
Zawinul erblickte am 7. Juli 1932 in Wien das Licht der Welt. Im Alter von fünf Jahren erhielt Josef Zawinul ein kleines Akkordeon und Unterricht bei einem Musiklehrer, der nach einem Dreivierteljahr Zawinuls Mutter erklärte: "Frau Zawinul, ich kann dem Bub nichts mehr beibringen, der hat so viel Talent für Musik, der sollte eigentlich ins Konservatorium gehen." Als sich herausstellte, das Zawinul über ein absolutes Gehör verfügt, bekam er sofort einen Freiplatz fürs Konservatorium.
Als Zawinul mit nur 800 Dollar Bargeld 1959 in die USA reiste war er in Österreich längst ein bekannter und begehrter Pianist, und spielte u.a. mit Hans Koller, Fatty George, Friedrich Gulda, Horst Winter, Karl Drewo, Hans Salomon, Oscar Klein, Viktor Plasil, Rudolf Hansen, Dick Murphy. Vier Monate hatte Zawinul Zeit in den USA – denn so lange galt sein Stipendium fürs Berklee College of Music. "Ich schlenderte den Broadway hinunter, am 'Birdland' vorbei, und all die Lichter gingen an. Da wurde ich dann einen Moment richtig traurig. Ich war traurig, weil ich wusste, dass ich nie mehr nach Wien zurückgehen werde."
Wödmasta. Am 12. Jänner 1959 besuchte Joe Zawinul erstmals das Birdland, jenen nach Charlie Parker genannten Jazzclub in Manhattan. Dort lernte er rasch Musiker wie Duke Ellington und Miles Davis kennen, dort begegnete er Maxine – seine spätere Frau. 1959 erschien auch sein erstes Album unter eigenem Namen in den USA, To You With Love, sowie das Album What A Diff'rence A Day Makes von Dinah Washington, in deren Band Zawinul zwei Jahre spielte. Von 1961 an spielte Joe Zawinul in der Band von Cannonball Adderley, die Alben In New York, Nippon Soul und Mercy, Mercy, Mercy! dokumentieren diese Zeit bestens, auf letztgenanntem Album schrieb Zawinul seinen ersten Welthit gleichen Namens, jene Soul-Ballade, die auch die Pop-Charts stürmte und worauf Zawinul erstmals am elektrischen Klavier zu hören ist. Zawinul: "'Mercy, Mercy, Mercy!' war lange in der Hitparade. Wir kamen 1967 bis auf Platz 11 in den Billboard-Charts. Und für die Performance der Band gab es einen Grammy."
In A Silent Way ist nur eine von mehreren hundert Stücken, die er im Lauf der Jahrzehnte schrieb, eine Ballade, die für Furore sorgte und 1969 auf dem Miles Davis-Album In A Silent Way erschien. Diese Komposition markiert die Trendwende des Jazz zu Fusion und Crossover. Endgültig sein Gesicht verändernd zeigte sich der Jazz auf dem epochemachenden Miles Davis-Album Bitches Brew von 1970, die Rockjazz-Welle auslösend. Auf beiden Alben war Joe Zawinul nicht nur als Komponist sondern auch als Studiomusiker wesentlich beteiligt. Miles Davis über Joe Zawinul: "Er ist der weiße Jazzmusiker, der sich am ehesten einer typisch schwarzen Spielweise nähert." Was auch auf den zwei Joe Zawinul Solo-Alben The Rise And Fall Of The Third Stream und mehr noch auf Zawinul nachzuhören ist.
Nein, auf Tour mit Miles Davis begab sich Joe Zawinul nicht. Er beschloss vielmehr seine erste Band zu gründen. Der magische Bandname ist gleichzeitig Synonym für permanente Veränderung und Weiterentwicklung, eine Werkstätte voller unnachahmlicher Klänge und Beats, die ihrer Zeit um einiges voraus war: Weather Report. Für Weather Report schrieb Joe Zawinul auch seine weltweit bekannteste Komposition Birdland, das erstmals auf dem Album Heavy Weather im Jahr 1977 erschien, und zwei Jahre später als fulminante Live-Version auf dem Doppel-Album 8:30. "Birdland" hat in drei verschiedenen Dekaden Grammys gewonnen. Erst mit Weather Report, dann mit The Manhattan Transfer, und schließlich in den 1990er Jahren mit Quincy Jones und seinem Album Back On The Block. Zawinul: "Das Stück hat viel von der Atmosphäre der Birdland-Ära: Man ging über den Broadway, und dann tauchte man ein ins Birdland und hörte die beste Musik." Kurzum: Gemeinsam mit u.a. dem Saxophonisten Wayne Shorter und dem Bassisten Jaco Pastorius schrieb Zawinul mit der Stil prägenden Band Weather Report zwischen 1971 und 1986 Musikgeschichte.
Und was dann kam hatte bis zuletzt Bestand, das Zawinul Syndicate. Dazwischen, 1986, gab es aber noch das Solowerk di-a-lects, worauf neben Zawinul "nur" Bobby McFerrin zu hören ist. Dem raren Zawinul-Syndicate-Debütalbum The Immigrants von 1988 folgten Alben wie Black Water, Lost Tribes, das Grammy-nominierte My People von 1996, die Live-Doppel-CD World Tour, das ebenfalls Grammy-nominierte und bei den Amadeus-Award-prämierte Album Faces & Places, und zuletzt Brown Street. Apropos Preise: Zawinul erhielt nicht nur in Österreich diverse Auszeichnungen für sein Lebenswerk, sondern auch satte 26mal den Titel als "Bester Keyboardspieler der Welt" im International Critics & Readers Poll der Jazzbibel Downbeat, sowie sieben "Golden Trophies" für die Platte des Jahres in Japan, insgesamt neun individuelle Grammy-Nominierungen und nicht zuletzt ganze sechs Grammy-Gewinne (für Zawinul selbst oder für seine Kompositionen), außerdem erhielt Joe Zawinul 1991 die Ehrendoktor-Würde des Berklee College of Music in Boston, wo er 1959 als Kurzzeit-Student seine US-Karriere begann.
Längst nicht alles, aber nur noch so viel: Das Hilton, jenes Hotel, wo Joe Zawinul's Birdland seinen Unterschlupf findet, war bereits unzählige Male auch der Ort, an dem Zawinul eines seiner Kompositionen schrieb – wie z.B. Rooftops of Vienna vom Album "Faces & Places". Dass Joe Zawinul noch längst nicht am Ende seiner kreativen Ausdruckskraft war, davon zeugten seine zuletzt veröffentlichten Alben wie die Doppel-CD "Brown Street". Zawinul in einem Interview 2003: "Oft genug setze ich mich nach einem Konzert noch einmal für eine Improvisationsstunde hin. Da habe ich die beste Energie. Dazu zwei oder drei Slibowitz und es fährt schon." Anfang August 2007 - seine Frau Maxine starb kurz zuvor - musste Joe Zawinul ins Krankenhaus, Diagnose Hautkrebs. Joe Zawinul verstarb am Dienstag, 11. September 2007 um 4.55 Uhr im Wiener Wilhelminen Spital. Seine Musik aber wird unaufhörlich weiter atmen. (Text: Manfred Horak; Fotos: Rainer Rygalyk, bearbeitet von mh)