Von den schrillen Oberflächen der Popkultur über deren mediale Echos in Mainstream und Social Media bis hin zu den neuesten Übereinkünften der Akademia aus eigens dafür angelegten Studiengängen.
In seinem Roman "Selbst" (Suhrkamp; 2016) zieht Autor Thomas Meinecke alles aktuell Namhafte in puncto Gender heran: von den schrillen Oberflächen der Popkultur über deren mediale Echos in Mainstream und Social Media bis hin zu den neuesten Übereinkünften der Akademia aus eigens dafür angelegten Studiengängen. Seine überaus gender-affinen Protagonistinnen sind auf der Suche nach Intimität und Zärtlichkeit und setzen alles daran, heteronormative und sexistische Verhaltensmodelle zu vermeiden. Dennoch stoßen sie sich andauernd an der nach wie vor kontroversesten Körperoberfläche diesseits und jenseits postfeministischer Abhandlungen: der weibliche Körper. Steht Frau-Sein noch immer für das Körperliche per se, das nach wie vor dem Geistigen untergeordnet oder davon ausgeschlossen ist? Ist es nun ein Akt der Emanzipation oder ein Schaden, wenn Frau in der medialen Selbstdarstellung ihren sexualisierten Körper ins Zentrum rückt?
Der popaffine Autor begibt sich diesmal auf das heiß umkämpfte Terrain der Sexualität. Ähnlich wie bereits in seinem Roman "Tomboy" (Suhrkamp; 2000), eine Hommage an "Gender Trouble" von Judith Butler, liefert er kontroverse und progressive Angebote an rituellen weiblichen Selbstdarstellungen und queeren Ausbrechversuchen aus dem binären Zuschreibungsgefängnis Weiblichkeit/Männlichkeit. Das Netz ergießt sich förmlich in Shitstorms über DJane Nina Kravitz' Kokettieren mit Sex-Appeal, wenn sie sich in der Badewanne interviewen lässt. Andere wiederum sehen darin wie selbstverständlich einen emanzipierten, weil selbstironischen Umgang mit dem eigenen Körper.
Etwas widerspruchsloser sind die selbstironischen Kniffe seitens des Autors im Buch, der neuerdings selbst auch als Nebenfigur auftritt. Der selbst als DJ tätige Meinecke im Buch stellt stolz fest, selbst mit der erfolgreichen Kravitz in den Sozialen Netzwerken befreundet zu sein, deren Follower zumeist männlich seien. Bezeichnend für Meinecke ist es sein DJ-Handwerk literarisch umzusetzen. Er sampelt und pitcht die körperkritischen Diskurspartikel von Foucault, Nancy und Vinken und stellt sie neben Medienechos der Feuilletons, Blogger und Instagramer, welche euphorisch auf die sexualisierten Selbstdarstellungen einschlägiger Popstars des Mainstreams und abseits davon reagieren. Eine frische Abwechslung zum zuckrigen Stimmenwirrwarr Online und Offline bietet der Rückgriff des Autors auf nonkonformistische Exempel des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Autor sieht in der aufsässigen Schriftstellerin der Frühromantik Bettina von Arnim eine queere Vorreiterin. Durch ihr sicheres Gespür für Codes habe sie sich in der exklusiv von Männern dominierten Schreibwelt Einfluss als Schriftstellerin verschafft. Nach ihr hat eine intellektuelle Gruppierung von deutschen Vormärz-Auswanderern ihre Siedlung in den USA im 19. Jahrhundert benannt.
Derzeit ist der Kunstbegriff Camp vor allem konstruiert und massentauglich als überspitzte modische Fortführung der Gender- und Tabubrüche der 1980er Jahre einer Madonna oder Grace Jones. Dies schlägt sich noch immer positiv in den Verkaufszahlen nieder. Von subversivem Effekt aber kann bei einer Lady Gaga nicht wirklich die Rede sein. Dazu ist die Aufmache zu konstruiert und kalkuliert den Erfolg schon mit ein, sprich, es gibt kein Risiko zu scheitern. Bessere Chancen hätte nach Susan Sontags Definition von "campy" Papst Franziskus. Wie es bei seriösen Machtpositionen so schön heißt, bekleidet er ein exklusives Amt im wahrsten Wortsinn. Seine gesamte Existenz ist auf diese exaltierte und exzentrische Rolle Vertreter Gottes auf Erden zu sein ausgerichtet, wird also vollen Ernstes ausgeübt. Deshalb ist er ein gutes Beispiel für eine Figur auf einer Gratwanderung, die trotz gesellschaftlicher Breitenwirkung und Anerkennung aus der Zeit gefallen scheint. Durch seine durch und durch theatralische Erscheinung ist er eine komische Figur.
Selbst lockt das Weib. Ein Essay.
von Kathrin Blasbichler
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