Über die unverbindliche Liebe und der Lässigkeit des Seins erzählt der deutsche Schriftsteller Günter Ohnemus im Roman "Ava oder Die Liebe ist gar nichts", zweifellos ein Romanhöhepunkt des Jahres 2014.
Auf einem Flug von Los Angeles nach San Francisco lernen sich Gloria und Gerald kennen, sie arbeitet bei der Nato in Paris, er ist Schriftsteller aus München, sie hat kein Talent zur Monogamie, er hat es noch nicht ausprobiert. "Ich heiße Gloria, sagte sie. The name's Gloria. Ich bin Tom, sagte er. Das war nicht sein Name, aber er nannte sich überall Tom, wo er wußte, daß er nicht lange bleiben würde." Aus diesem Zufallstreffen wurde eine länger anhaltende Liaison ("Dann machen wir jeden Tag einen anderen Strudel") und dann, irgendwann, eine mehrjährige Pause. Nach neun Jahren, und hier setzt der Roman ein, treffen sich die beiden in München (beabsichtigt) wieder. Aus dieser Begegnung entsteht eine Beziehung mit gemeinsamer Wohnung ohne dass die beiden dabei ihre Eigenständigkeit aufgeben.
Die Essenz des Daseins
Es wird in Erinnerungen gewühlt und nach Antworten gesucht, es ist eine Suche nach der Zueinandergehörigkeit und es ist immer auch irgendwie ein hoffnungslos romantischer Bildungsroman, dieser Roman von Günter Ohnemus. Es geht um Liebe, Zufriedenheit, Verdrängung und Aufarbeitung, die der Autor in nur 237 Seiten bewältigt und dabei auch kräftige Seitenhiebe mit seiner sensiblen Sprachfertigkeit an unterschiedliche Adressaten austeilt. Die Essenz des Daseins, theoretische Moral und Relativismus, Skepsis und Prinzipien ergeben sich aus all den Fragen und Antworten, den Dialogen, zwischen Gloria und Gerald (alias Tom), zwischen Tom und Nina (die eigentlich Nora heißt) und in den Gesprächsmomenten auf Partys. "Es gibt keine Sehnsucht, und deswegen gibt es auch keine richtige Enttäuschung mehr."
Spuren der Vergangenheit stückweise aufknoten
Was diesen Roman so großartig, ja, geradezu herausragend aus all den vielen Neuveröffentlichungen, macht, ist, wie uns der Autor mit den Gedanken seiner Protagonisten voranzutreiben versteht und wie er die Spuren der Vergangenheit stückweise aufknotet. Nicht mit Action versucht Günter Ohnemus zu überzeugen, obwohl die Voraussetzungen geeignet wären - hier die schöne Spionin, da der Intellektuelle - sondern mit wortreichen Reflexionen. Die Spannung offenbart sich in den Bildern, die der Autor filmreif aufbaut bzw. die das Lesepublikum in der Fantasie weiter spinnt. Die Protagonisten erzählen aus ihrer Vergangenheit, sprechen über die gemeinsame Gegenwart und fabulieren Möglichkeitsformen, was hätte sein können, wenn bestimmte Momente anders verlaufen wären. Mutmaßungen, die keinesfalls humorfrei skizziert werden, im Gegenteil, in "Ava" findet sich stets ein leiser Humor. "...eine Schauspielerin - nie! Sie können auf Kommando weinen, völlig grundlos. Manche können es zehnmal hintereinander. Das ist wahrscheinlich eine Kunst, aber ich mag keine Frauen, die grundlos zehnmal hintereinander weinen können. Und Literaturfrauen? Nein, nicht mit mir. Für die gibt es Frühjahrsprogramm und Herbstprogramm, und das dreißig Jahre hintereinander..."
Yes, we have no bananas
Ein wichtiger Bestandteil des Romans sind die Zitate, und da gibt es jede Menge davon, die der Autor verwendet. Die US-Sängerin Lucinda Williams findet z.B. mit ihrem Song "Blue" (2001) immer wieder Eingang, ebenso der Mathematiker, Singer-Songwriter und Satiriker Tom Lehrer, dessen Song "Who's Next?" (1965) über Atomkriegsängste und die zunehmende Verbreitung der Nuklearwaffen zur Sprache kommt. Und Filmtitel werden zitiert. Und Literaten. Und Philosophen. Und natürlich die dem Romantitel gebende US-amerikanische Schauspielerin Ava Lavinia Gardner. "Sie lachte. Yes, we have no bananas. Hast du dir eigentlich jemals überlegt, wie wir sie nennen würden, unsere natürliche Tochter? Nein, Gloria. Dazu war doch gar keine Zeit! Natürlich war dazu Zeit. [...] Und das, sagte Gloria jetzt, das hast du vergessen? Das war die Taufe unserer Tochter! Das kann man doch nicht vergessen, auch wenn sie nie geboren ist. Auch wenn sie nicht einmal ein bißchen angefangen hat zu leben." Ohnemus legt hier also einen Roman vor, der vieles ist und sehr vieles kann, der leicht zugänglich und gleichzeitig intellektuell bedeutend ist. Und die Liebe, die laut Untertitel gar nichts ist - dieses Fundament allen vernünftigen Lebens in all ihren Facetten, Widersprüchlichkeiten, Romantizismen, Verlockungen, Illusionen, Wunschvorstellungen, Irrwegen, Unverbindlichkeiten, Versprechungen (die Liste kann beliebig erweitert werden) - erhält dabei den größtmöglichen Raum. Indirekt ist "Ava" auch eine Hommage an die romantische Filmkomödie "Hannah und ihre Schwestern" (1986), einem der komplexesten und erfolgreichsten Filme von Woody Allen, und somit also ein ebenso stiller wie gesprächiger Roman und in jedem Fall ein Roman, den es sich zu lesen lohnt. (Text: Manfred Horak; Foto: Filmstill von ZehnSeiten.de)
Buch-Tipp:
Günter Ohnemus: Ava oder Die Liebe ist gar nichts
Bewertung: @@@@@
Verlag: C.H.Beck (2014)