mit den Schlagworten:

moravia-konformistDer Wagenbach Verlag, bekannt für tiefsinnige, engagierte und hochpoetische Literatur, hat mit "Der Konformist" von Alberto Moravia wohl nicht von ungefähr eine Neuausgabe eines wichtigen Buchs gewagt. Wenn dieses auch zweifellos in die Reihe "Politische Klassiker der Moderne" eingereiht werden kann.

"Der Konformist" schildert eindrücklich, berührend und verstörend die Geschichte des zunächst noch kleinen Marcello, der aus Besitzgier und heimlich wachsenden Machtansprüchen, gepaart mit innerer Unsicherheit und erlittenen Demütigungen beginnt, tödliche Größenphantasien zu entwickeln. Und was da mit der "Enthauptung" einer schönen Tulpe im heimatlichen Garten beginnt, entwickelt sich, genährt von Unterdrückung und bürgerlichem Drang zu Vertuschung und Unterordnung, zu einer monströsen Karriere des Tötens - handfest und als Handlanger. Und das Verführerische des Bösen ergreift nicht einen klassischen Bösewicht, nein, vielmehr treibt der gewöhnliche Durchschnittsbub (auch mit eigenen Gewalterfahrungen) in ein Szenario der Abgründe. Etwas älter geworden erfüllt er so gewissenhaft seine vermeintliche Pflicht, dass er gar nicht anders zu können glaubt, als sich der faschistischen italienischen Geheimpolizei anzudienen. Und obwohl er immer wieder - auch aus alten eigenen Schuldgefühlen - ein "Unbehagen" gegenüber Gewaltanwendung verspürt, lässt er sogar seine eigene Hochzeitsreise in den Dienst der schwarzen Schergen stellen und liefert einen exilierten Professor und Regimegegner dabei ans Messer. Aber dazwischen blitzt immer wieder Marcellos Menschlichkeit auf, seine Sehnsucht nach einem "normalen" Leben, nach Lieben und geliebt werden. Nicht zuletzt in einem verzweifelten Aufbäumen seines Unbehagens buhlt er heftig und im Beisein seiner frisch angetrauten Frau um die leidenschaftliche Liebe der Assistentin des schreibenden Professors. Sein Leben scheint an der Kippe, doch er lässt die Würfel fallen und alles geht den Weg der Vernichtung. Was Moravias "Biographie eines Durchschnittsbürgers" so brillant macht, ist sein Glaube an die Menschlichkeit seiner in den Untergang schlitternden Hauptfigur, ihr Zweifeln, ihre Unsicherheit, ihre fast regelmäßigen klaren Entscheidungen, die für sich genommen nicht tragisch erscheinen, aber dann ins "Böse" führen. Seine Lage ist nie ausweglos, sein Weg zum Mörder nie zwingend, aber er geht ihn doch aus einem bewussten Drang zur "Normalität" heraus. Und dies weist die erschreckenden Parallelen in unsere Zeit. In Europa driften heute wieder die zornigen "Normalbürger" in ein autoritäres Umfeld ab. Wahlresultate in vielen Ländern der sogenannten gefestigten Demokratien geben davon furchterregendes Zeugnis. Das Buch ist daher neben seiner wunderbaren literarischen Qualität auch eine Mahnung, ein Fanal. Ebenfalls bei Wagenbach erschien ja Erich Fried, dessen Gedicht "Totschlagen" eine Kurzfassung des großartigen Buchs von Moravia sein könnte: "Erst die Zeit / Dann eine Fliege / Vielleicht eine Maus / Dann möglichst viele Menschen / Dann wieder die Zeit". (Tristan Jorde)

alberto-moravia-konformistBuch-Tipp:
Alberto Moravia: Der Konformist
Aus dem Italienischen übersetzt von Percy Eckstein und Wendla Lipsius
Bewertung: @@@@@
Verlag: Wagenbach Taschenbuch (Neuauflage 2009)