Das Schulmassaker an der Columbine Highschool in Littleton war nicht der erste Gewaltakt eines Schülers gegen seine Mitschüler und Lehrer in den USA. Der Amoklauf von Eric Harris und Dylan Klebold im Jahr 1999 war jedoch der erste, bei dem die Gewalt ein solches Ausmaß annahm. Drei Jahre später richtete der 19 Jahre alte Robert Steinhäuser am Erfurter Gutenberg-Gymnasium ein Blutbad an. Es war der erste Amoklauf an einer deutschen Schule.
Ein grauenvoller, falscher Weg
Pete Smiths Jugendbuch "So voller Wut" behandelt die Geschichte eines solchen Amoklaufs. Es ist März und merkwürdig heiß in Frankfurt, als ein Gymnasiast beginnt den Tod von sieben Menschen zu planen. Schon das Wetter scheint nichts Gutes zu verheißen, weist auf einen Ausnahmezustand hin. Es ist drückend und anders als üblich. In Tagebucheinträgen bekommen die Leser Einblick in das Seelenleben des Täters. In seinen Einträgen bezeichnet er sich selbst als Ronin, seine wirkliche Identität bleibt verborgen. So sehen die Leser ihn immer aus einer Distanz. Die Geschehnisse in seinem Leben und was ihn zu seiner Tat treibt, erfahren die Leser aus der Sicht des Täters. Sein Vokabular ist oft abstoßend, er steckt voller Verachtung für die Menschen um sich herum. Ronin gegenüber steht Jamal. Er ist ein ganz normaler Jugendlicher, der in einer heilen Familie in Frankfurt aufwächst und die normalen Probleme eines Heranwachsenden hat. Anders als Ronin ist Jamal in der Lage, sich mit seiner Umwelt auszutauschen, sich seinen Eltern und Freunden anzuvertrauen. Jamal liebt Jasmin. Aus lauter Langeweile erlauben Jasmin und ihre Freundin Thea sich einen dummen Scherz und schicken eine Amokdrohung an die Polizei. Jamal steht zu Jasmin, auch als sie ihre Tat gesteht und bestraft wird. Doch Ronin fühlt sich auf merkwürdige Weise verstanden von dieser 'Miss Amok'. "Dein Herz wird dir meine Zeichen deuten", schreibt er am Tag vor seiner Tat an Jasmin und sendet ihr sein Tagebuch. Ronin befindet sich in Jasmins und Jamals direktem Umfeld und kündigt ihnen seine Tat sogar an, doch verhindern können sie sie nicht mehr.
Ein Leben wie ein Countdown Jamals und Jasmins Geschichte wechselt sich mit den Tagebucheinträgen des Ronin ab. Während die Kapitelüberschriften von Jamals Leben wie ein Countdown die Tage und Uhrzeiten zählen, sind Ronins Einträge mit seinem momentanen Gemütszustand überschrieben. Während er den Amoklauf plant hört er Rock und Heavy Metal. Am Tag des Attentates hebt Smith die Form der sich abwechselnden Sichtweisen von Jamal und Ronin auf. Während das Inferno am Heinrich Böll Gymnasium beginnt, bringt der Autor viele neue Perspektiven ein, aus deren Sicht der Tag erzählt wird. Das entstehende Chaos wird wiedergegeben durch diesen Perspektivwechsel, der Opfer, Augenzeugen und Sanitäter. Erst nach der Tat kehrt Jamals Perspektive völlig zurück. Pete Smiths Buch beschäftigt sich mit einem Thema, das spätestens seit dem Erfurter Amoklauf für jede(n) Schüler(in) aktuell ist. So hat dieses Buch auch ein wenig aufklärenden und informierenden Charakter. Zwar wird die Figur der Jasmin sehr positiv gezeichnet, dem gegenüber steht jedoch, was den Kindern im Unterricht über die Folgen solcher bösen Scherze, wie Jasmin ihn begangen hat, gesagt wird. Pete Smith informiert seine Leser hier ganz eindeutig, mit welchen rechtlichen Konsequenzen der- oder diejenige zu rechnen hat, dem solch eine Dummheit einfällt.
Präzise und bildgewaltig Trotz des teilweise etwas belehrenden Charakters des Buches ist es jedoch derart extrem gut geschrieben, dass es seine Leser erfasst und nicht mehr loslässt. Sein Schreibstil ist präzise und bildgewaltig. Die Psyche des Täters ist deutlich herausgearbeitet, er wird nicht als Monster dargestellt, sondern als Mensch der einen grauenvollen, falschen Weg einschlägt. Smith bezieht sich bei der Charakterisierung des Täters und der Beschreibung des Attentates auf die Amokläufe in Littleton, Erfurt und Emsdetten. Er beschreibt das Attentat am Heinrich Böll Gymnasium sehr detailreich, sodass die Leser das kalte Grauen packt. Wie der Täter in Emsdetten, führt auch Ronin unter seinem Pseudonym ein Tagebuch und teilt sich damit schließlich anderen Schülern mit. Auch zu den Fällen in Littleton und Erfurt gibt es deutliche Bezüge, so findet das Attentat in Smiths Roman ebenfalls in den letzten Apriltagen statt. Wie Robert Steinhäuser in Erfurt tötet Ronin vor allem Lehrer. Am Ende wird er wie dieser mit seinem Namen angesprochen, verschont sein Gegenüber jedoch, um sich dann selbst zu richten. Während die Täter in den drei genannten Fällen beinahe wahllos um sich schießen und die Zahl der Opfer hoch ist, steht für Ronin die Anzahl seiner Opfer von Anfang an fest. Er, der von seinen Mitschülern und seinem Vater nie Anerkennung oder Aufmerksamkeit bekommen hat, sieht sich als einsamer Krieger. Sein Plan ist kühl überlegt und sein Vorgehen zielgerichtet. Ronin tötet mit einem japanischen Schwert, einem Katana. Die körperliche Kraft, die er zum Töten verwendet und die Nähe zu seinen Opfern macht seine Taten noch grotesker. "Manchmal denke ich, wenn wir ihn miteinbezogen, wenn wir hin und wieder mit ihm geredet hätten, vielleicht hätte er sich dann anders entschieden", lässt Smith die überlebende Schülerin Maja nach der Tat sagen. Das Buch wirft die Frage auf, wie im Kopf eines sehr jungen Menschen eine solch große Wut, Einsamkeit und Sinnleere entstehen kann, dass er gegen andere Menschen auf solch grausame Art handelt. (Katharina Fischer)
Buch-Tipp: Pete Smith: So voller Wut Bewertung: @@@@@ Altersempfehlung: ab 14 Jahren 159 Seiten Verlag: Carl Ueberreuter (2009)
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