Als ORF Lesesklaven betitelten sich Christoph Grissemann und Dirk Stermann bei der ersten Lesung ihrer neuen Veranstaltungsreihe "Zwei Klassiker lesen Weltliteratur" im Radiokulturhaus. Im März 2010 geht das Spektakel dann schon in die zweite Runde.
Allein schon mit der Wahl des Veranstaltungsortes haben Stermann & Grissemann ihrem Publikum schon etwas Gutes getan, denn im Auditorium des Radiokulturhauses findet man die wohl bequemsten Sessel Wiens. Ein weiteres gutes Händchen wurde bei der Auswahl der Texte bewiesen, wenn auch, nach eigenen Angaben, nicht von Stermann & Grissemann selbst, sondern mittels Diktat des ORF. Als Rahmenprogramm diente die Literatur zweier Länder. Zunächst Russland und im Anschluss dann die USA. Im russischen Teil hangelte man sich von Tschechow, über Gogol und Daniil Charms bis hin zu Wladimir Kaminer. Musikalisch umrahmte Bertl Mütter die zwei Lesenden an der Posaune. Nach kurzem Statement zum Autor ging es dann direkt in medias res. Es wurde gelesen. Bis auf eine Ausnahme waren die Texte nichts zum schallenden Lachen, gaben aber einen interessanten und vielschichtigen Querschnitt durch die landestypische Literatur. Nach 90 Minuten Russland dann die Pause. Während man beim anfänglichen Betreten des Saals noch überrascht bemerkte, dass Stermann & Grissemann Publikum in jeder Altersklasse anziehen, wurde man in der Pause enttäuscht. Rund ein Viertel der Zuschauer ging, einerseits weil sie sich etwas anderes darunter vorgestellt hatten, andererseits weil sie nach eineinhalb Stunden Weltliteratur nicht mehr sitzen mochten. Im zweiten Teil wurde Russland der Rivale aus dem Kalten Krieg gegenübergestellt: Amerika. Auch hier eine ungewöhnliche Textauswahl. Darunter alte Bekannte, wie Woody Allen und Charles Bukowski und vielleicht nicht jedem Bekannte wie Raymond Carver oder Mary Flannery O'Connor. Der amerikanische Teil des Abends war ebenfalls eher in düsterer Stimmung gehalten. Die Erzählungen waren traurig und melancholisch und wurden beispielsweise wie im Fall von Flannery O'Connor als "ein Text, wie ein Haneke-Film" angekündigt. Die Lesung an sich würde wohl auch jeder andere genau so gut über die Bühne bringen, doch dann würde man auch den für Stermann & Grissemann typischen Witz vermissen. Und es würde auch den Wettstreit nicht geben: Wer sich öfter verliest, muss mit Alfons Haider essen gehen. Nach meinen Berechnungen ist Herr Stermann mit 6:5 Fehlern an der Reihe. An sich hat so eine Lesung im Wiener Veranstaltungskalender noch gefehlt. Es war witzig und man hat seinen Horizont mit grandiosen Texten erweitern können, die sonst eher hinter dem Buchdeckel verborgen bleiben, wenn man sich die "Klassiker" vornimmt. Aber bei aller Liebe: Auch der größte Stermann & Grissemann Fan schließt bei einer Textlänge von 30 Minuten und einer Veranstaltungsdauer von fast drei Stunden mal kurz gelangweilt die Augen. Zudem kam das Publikum nicht so recht in Schwung und saß ruhig und besonnen in den gemütlichen Sesseln. Den Zuschauern wünscht man für das nächste Mal weniger Langatmigkeit und mehr Wortbeiträge von Seiten der Vorleser. Stermann & Grissemann wünscht man dafür ein nicht so eingerostetes Publikum, welches sich die Lesung auch bis zu Schluss anhört. (Text: Katja Kramp; Foto: Udo Leitner)
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