Peter Rosei erzählt in "Das große Töten" von zwei Männern, deren Biographien die längste Zeit parallel, aber ohne Berührungspunkte geschildert werden. Was sie trotz der ganz verschiedenen Biographien verbindet, ist eine Abgetrenntheit von sich selbst und also auch von ihrem Umfeld. Sie finden schließlich über den Blog des einen zusammen, um gemeinsam den Titelgebenden Plan auszuführen. Ein Roman, dem es gelingt, etwas nie ganz Nachvollziehbares in seiner Nicht-Nachvollziehbarkeit zu erzählen.
Paul Wukitsch stammt aus einem kleinen Dorf im Burgenland, aus bescheidenen Verhältnissen. Da er überdurchschnittlich intelligent ist, kommt er ohne besonderes Zutun zuerst ins Priesterseminar und schließlich nach Wien zum Theologiestudium. Irgendetwas ist an dem verschlossenen Paul von Anfang an seltsam. Ein Angelpunkt für Paul, verrät der Autor, ist der Vorfall mit Franz, dem kleinen Bruder, der aus dem Klingelbeutel in der Kirche Geld mitgehen lässt, und vom Pfarrer hart bestraft wird: in Pauls Augen ein Unrecht, das seinem Bruder geschieht. Es ist da nicht nur ein Widerstand gegen die Institutionen, eine "Skepsis gegen die Kirche", wie der Klappentext erklärt. Rosei legt in Pauls Figur von Anfang an eine Ungereimtheit an, etwas, das ihn fast ein wenig unsympathisch macht. Das liegt teilweise auch darin begründet, dass es, Pauls verschlossenem Wesen entsprechend, keine Innenansicht gibt, sondern bloß die Fremdwahrnehmung und die des Erzählers. Alexander Altmann hat reich geheiratet und führt nach außen hin ein durchaus erfolgreiches Leben, bis seine Frau Selbstmord begeht, und Alexander der finanzielle und gesellschaftliche Absturz droht. Dann lernt er jedoch Irma kennen, von der er sich nun aushalten lässt, eine erniedrigende Existenz, in der er zunehmend verkommt. Es ist allerdings auch in dieser Biographie ein fauler Kern, und das hängt ganz wesentlich mit der (innerhalb der gesamtösterreichischen besonders dekadenten) Fäulnis der sogenannten besseren Wiener Gesellschaft zusammen: Mit "Papa" Steininger entwirft Rosei das gelungen widerwärtige Porträt ihres prototypischen Vertreters. Schön ist hierbei, dass der Autor den jeweiligen Duktus übernimmt und diesen das geschilderte Geschehen richten lässt, ohne dass der Erzähler ausdrücklich sich zur verurteilenden Instanz aufschwingen müsste. Indem er die Sprache übernimmt, die Art und Weise zu erzählen, demaskieren sich deren Sprecher scheinbar selbst. Dies kann durchaus für die beiden Erzählstränge gelten, funktioniert jedoch in der Wiener Szenerie eindeutig besser. Das Imitieren der Mündlichkeit in der dörflichen Handlung stellt sich als Verfahren allzu sehr bloß und ist unangenehm, weil es die Sprecher bloßstellen will. Es wirkt aber auf den Erzähler zurück, denn die Sprecher hört man nicht, die scheinbar dem Volk abgeschauten Sätze sind unglaubwürdig, auch wenn sie wahr sein mögen, zu wahr, um sie ungebrochen zu übernehmen. Dass die sprachliche Reduziertheit dieser Erzählung gewollt und erarbeitet ist, lässt sich nicht übersehen, trotzdem gibt es immer wieder irritierende Stellen, auch weil die Übergänge zwischen der einfachen, neutralen Erzählweise und der Mündlichkeit mit den eingestreuten Allgemeinplätzen dann bemüht wirken. Von besonderer Schönheit und Eindringlichkeit sind die kurzen, geradezu entrückten Schilderungen, in denen das Licht die zentrale Rolle spielt (dazu gehört auch die bestmögliche Beschreibung von Nerzfell, die ich mir vorstellen kann). In diese Geschichte von zwei Männern, die schließlich, um endlich auf den Titel des Buches zu sprechen zu kommen, zusammenfinden, um gemeinsam den Überfall auf ein Kaufhaus zu planen, wobei es dem einen um das Geld und dem anderen um eine diffuse Idee von Gerechtigkeit geht, wird noch eine ganze Menge österreichische Geschichte rund um Nationalsozialismus und Antisemitismus eingewoben. Es ist vielleicht nicht dem Autor und seiner Erzählkunst vorzuwerfen, sondern nur den Tatsachen, die uns zu gut bekannt und zu oft erzählt sind, dass gerade die Geschichte der jüdischen Familie Kopitzky überflüssig scheint. Rosei erklärt die Dinge nicht eindeutig, er gibt mögliche Erklärungen vor allem für Pauls Entwicklung ab, deutet Geschichten an, die im Hintergrund eine Bedeutung haben könnten - und lässt doch alles offen. Rosei liefert dem Leser alles Notwendige, um die Figuren kennen lernen, analysieren und beurteilen zu können, aber es fehlt immer noch irgendein Teil. Dieses Verfahren ist unbefriedigend, weil man doch verstehen will. Gelungen und irritierend ist es deshalb, weil man wahrscheinlich nie ganz verstehen kann, warum einer dann wirklich in ein Kaufhaus geht und ein großes Töten veranstaltet. (Laura Freudenthaler)
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