Ein sozialkritischer Roman liegt mit "Das Kind der anderen" von Karine Reysset vor, der aufzeigen möchte, wozu Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch fähig sind, welche Dramen sich in der Seele jener Mütter abspielen, die lebende Särge ihrer Kinder sind.
In einer Pariser Klinik stehen zwei Frauen kurz vor der Entbindung. Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die eine, Emilie, ist blutjung, jedoch nicht bereit ein Kind aufzuziehen, sie möchte es anonym zur Welt bringen und zur Adoption freigeben. Die andere, Judith, wartet nach mehreren Fehlgeburten voll Vorfreude auf die Ankunft ihres Sohnes Camille. Die Schicksale beider Frauen verknüpfen sich, als Judith wieder eine Fehlgeburt erleidet und in ihrer Trauer und Besessenheit nach einem eigenen Kind jenes von Judith von der Geburtenstation entführt. Sie flüchtet mit der kleinen Lea in ihre eigene Welt und genießt die kurze Zeit die ihnen gemeinsam bleibt. In der Klinik bleibt Emilie zurück, die nun erkennt, wie endgültig ihre Entscheidung zur Adoption gewesen wäre. Durch die unerwartete Entführung des Babys wachgerüttelt, beschließt Emilie sich ihrer Verantwortung als Mutter zu stellen, sollte das Baby wohlauf gefunden werden. Die Tage, die Judith mit dem Kind der anderen verbringen kann sind gezählt als man ihr das Kind entreißt, woraufhin sie in ihrer Verzweiflung einen Selbstmordversuch begeht. Das Leben von Emilie und Lea verläuft in geordneten Bahnen, die junge Mutter findet Arbeit, lernt einen netten jungen Mann kennen und zum zweiten Mal begegnen einander die beiden Frauen, die wie mit einem unsichtbaren Band verbunden scheinen. Ihre Schicksale verschmelzen im Kampf um den Wunsch Mutter zu sein, der Drang wird zur Besessenheit der einen, die andere wird in ihrer Arglosigkeit Opfer und Täterin zugleich. Ein sozialkritischer Roman, der aufzeigen möchte, wozu Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch fähig sind, welche Dramen sich in der Seele jener Mütter abspielen, die lebende Särge ihrer Kinder sind. Der Roman vermittelt Verständnis für beide Seiten, für die zurückgebliebene und die fremde Mutter, für die Nöte und Sorgen, die sich durch eine Geburt oder Fehlgeburt bei vielen Frauen einstellt. "Das Kind der anderen" ist allerdings auch, da die Handlungen parallel erzählt werden, etwas sprunghaft und verliert sich dadurch manchmal zu sehr in Details. Das Ende ist dramatisch und erschütternd zugleich, was alles in allem keine leichte Kost für all jene die es betrifft oder betroffen hat ergibt. (Karin C. Ruprecht)
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