Es ist Nacht und es schneit auf der schönsten Alpenstraße Europas. Ohne bekanntes Ziel sind sieben Auto- und Beifahrer, beladen mit Geheimnissen und Schuldgefühlen unterwegs, um ihrem Alltag zu entfliehen. Die Gedanken darüber, die der Leser in Bernhard Aichners "Schnee kommt" durch einen allwissenden Erzähler erfährt sind es auch, die zu den beiden Unfällen vor und in dem Tunnel führen, welche das Leben aller Beteiligten von Grund auf neu strukturieren werden.
Valentin, dessen LKW auf der matschigen Fahrbahn außer Kontrolle gerät, stirbt, weil nach dem von ihm verursachten Tod seiner Frau Glück für ihn nicht mehr erträglich noch möglich ist. Fünf unschuldig daran beteiligte Figuren werden so aufgehalten und (wieder) zueinander geführt, denn draußen gewährt das Schicksal (oder die blühende Fantasie des Autors) einen Funken Hoffnung, initiiert durch den Schnee, der die Protagonisten scheinbar magisch berührt. Innerhalb des Tunnels lenkt Maurice rasend vor Wut das Auto gegen die Wand und produziert dadurch eine Karambolage mit zwei weiteren Fahrzeugen. Dunkel und hell sind die Kontraste die der Autor setzt, um damit auch die Schuldigkeit der Figuren zu unterstreichen, sitzen doch im Tunnel die Ehebrecherin, der Liebhaber, der voyeuristische Mann ohne Nase und die "blinde" Suza fest. Die Gründe, warum etwa Suza vorgibt eine blinde Fotografin zu sein oder weswegen Walter den Mann mit dem Loch in der Nase verbal angreift, werden langsam über die Kapitel von sich abwechselnd auftretenden Protagonisten preisgegeben. Das facettenreiche Porträt dieser so lebendig geschilderten Charaktere führt den Leser in eine Krisensituation, die einen jeden kurzfristig aus der Bahn wirft und da man stundenlang festsitzt, sich mit sich selbst konfrontiert. Von menschlichen Abgründen und vom Bedürfnis nach Geborgenheit, Sicherheit und Liebe erzählt Aichner auf besonders beklemmende Weise anhand der anfangs so perfekt scheinenden Ehe Uschis mit Bertram, die an der Tatsache zugrunde geht, dass Bertram beim Heimwerken seine Nase verliert. Um zeitweise dieser zur Farce verkommenen Ehe zu entfliehen, flüchtet sich die Frau in eine Affäre mit dem depressiven Polizisten Walter. Mit diesem hatte sie ein romantisches Wochenende geplant, weswegen der Liebhaber im hinteren Wagen sitzt und ebenfalls in den Unfall verwickelt wird. Walter richtet nach der Karambolage all seine Wut auf den Nasenlosen und nicht auf den eigentlichen Grund seines Leidens, Uschi, die ob der Begegnung ihrer beiden Männer hysterisch und außer Kontrolle zum Feuerlöscher greift und ihren Geliebten erschlägt. Aufregend kühl in kurzen und klaren Sätzen schildert der Autor dies teils einem Thriller ähnlich, so dass einem beim Lesen schon mal etwas mulmig zumute wird. Durch simple Dialogeinschübe werden der Umgangston, die Beziehungen zueinander und die Konflikte verdeutlicht, ja verwirklicht: "Sie ließen sich nicht los. Es gab nur noch sie beide, alles andere war unwichtig. Es ist Liebe, sagte er. Was ist schon Liebe, sagte sie." Was ist die Liebe?
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