Ein großer Erzähler treibend im Fluss. "Die Morawische Nacht" von Peter Handke ist ein poetisches Denkmal für den Balkan, ein Buch voller Schönheit, einzigartiger Sprache und von berührender Menschlichkeit. Leseeindrücke von Tristan Jorde.
Man kann es Peter Handkes Arbeit ansehen. Seinen Texten, seinen Büchern. Er hat es satt. Satt, sich auf den ideen- und menschentötenden Zeitgeist einzulassen, auf die stromlinienförmige Generalmeinung aus veröffentlichten Beiträgen und medialem Quatsch. Einzulassen auf die unsagbare Dummheit von karrieregeilen Politikern und quotenlüsterner Journaille, die ihm einstmals sogar brachial andichtete, er sei ein Verteidiger von Mördern und Despoten, die ihm einen Heine Preis zuerkannten, um ihn denselben gleich wieder in Abrede zu stellen, kurz, die in der Zurschaustellung der eigenen Unreflektiertheit sich des Dichters zu bemächtigen suchten, um ihn klein zu kriegen. Seine konsequente Verweigerung seit damals, sich in den öffentlichen Disput einzubringen, ist nur allzu verständlich. "Die Morawische Nacht" nennt Peter Handke also diese Erzählung, wo er mit der ihm eigenen Kraft, Poesie und Wucht alle seine halbsprachmächtigen Kritiker wieder einmal erbärmlich kleinlaut erscheinen und hinter sich lässt. Es ist eine Reise durch Europa, durch Kriegsschauplätze (wie die Enklave Porodin) und Stätten von aberwitziger Skurrilität (das internationale Treffen der Maultrommelartisten), durch melancholische Landschaften und voller Menschen, die aber genauso ein Kaleidoskop der Lebensfreude bieten, selbst im Angesicht der Verzweiflung. Der Erzähler führt seine nächtliche Tafelrunde über den Balkan, an die Adria, in die Mancha und nach Galicien, in den Harz in die verschiedensten Winkel Österreichs und dann wieder zurück an den Balkan, auf einem Schiff treibend, das mehr schlecht als recht am Ufer des großen Flusses vertäut ist, stets in Gefahr abzudriften oder weggerissen zu werden. Und es sind tatsächlich immer wieder die Motive der Fragilität, der Zartheit, der weichen Menschlichkeit, die allen Stationen der literarischen Nachtreise gemeinsam sind. Der Kongress der Lärmkranken, die erlebte Vaterlosigkeit, der angegriffene Autor. Auch das Motiv der dummdreisten österreichischen Balkanpolitik der 1990er Jahre, im Buch nicht zufällig in auffälliger Nähe zu tief betroffen machenden Auswirkungen einer Streubombe. Dieses heuchlerisch pseudo-nostalgische Mitteleuropa, das damals österreichische Kleingeister als späte, wenn auch schlecht verhohlene Rache für Sarajewo beschworen. Dem gegenüber setzt Handke ein beredtes Denkmal für "seinen Balkan", den er nicht so sehr geographisch, wie menschlich, wie als Rettungsanker gegen zeitgeistliche Scheinkorrektheiten beschreibt. Der Erzähler bezeichnet sich in der Geschichte als "ehemaliger Autor", auch hier ist die Verletzung zu spüren, die ungläubige Fastkapitulation vor der Meute der schnellen Besserwisser. Da erscheint der mitten drin auftauchende Selbstmord Ferdinand Raimunds als eine schon frühe Metapher für die Unmöglichkeit, inmitten der Moderne das Poetische zu suchen. Folgerichtig stellt der Autor sich müde an den Rand des Stroms, wird dabei sogar milder im Urteil und sanfter mit den Unverständigen. Und so kommt gegen Ende des Buchs auch wieder die Hoffnung, ein neuer Morgen, neue zarte Wege, im Unmöglichen das Mögliche zu suchen und sich daran zu erfreuen. "Ein schräges Leuchten aus den Wolken, schau, das war manchmal das Leben. Daß du der Sohn deiner Sekunde seist. Und dass die Sekunde dein Atem sei." Ein Buch voller Schönheit, einzigartiger Sprache und von berührender Menschlichkeit. Uneingeschränkte, große Empfehlung. (Tristan Jorde)
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