Selten noch war der an sich komplexe Einstieg in das scheinbare Kontinuum der physikalisch-universellen Ereignisse so bunt, so schillernd, so vielfältig und so vergnüglich zu erlesen. Der Schriftsteller, Sprach- und Performancekünstler Walter Kreuz hat mit "Karlas Lauf gegen die Raumzeit" ein tiefsinniges Kaleidoskop eines Miniuniversums geschaffen.
Worum geht es? Ein möglicherweise, wie man wohl heute sagen könnte, verhaltensoriginelles Mädchen - Karla - bricht aus der Psychiatrie aus, quetscht sich durch eine quietschend-pittoreske Gartentür und beginnt einen atemlosen Lauf durch die Gefilde des zweiten Wiener Gemeindebezirks - entlang der mittlerweile eingestellten Straßenbahnlinie 21. Und an diesem Ausbruch ein- und aufgefädelt erheben die Dinge, die Ereignisse, die "Wesenheiten" um Karla herum ihre Stimmen. Beginnen zu sprechen, zu klagen, zu jubilieren, zu philosophieren und sogar amtszuhandeln. Sei es die Linde am Heustadelwasser, sei es der Nachmittag, das Wiener Lüfterl, oder die eingangs zitierte Gartentür, sie alle werden zum Leben erweckt und finden zu Worten, zu Lauten, zu Äußerungen, zu artikulierter Poesie. Walter Kreuz gelingt das Kunststück, diese verwirrende Kakophonie in einfühlsamen Farben zu malen, jedem "Etwas" eine unverwechselbare Art der Mitteilung zuzuweisen und es damit zu einer Persönlichkeit zu erheben, die schrullig, listig, witzig aber auch traurig, einfühlsam und anklagend sein kann. Und damit niemand in den sich spaltenden Paralleluniversen verlustig geht, hat er auch dankenswerter Weise eine amüsante Gebrauchsanleitung beigepackt, die auch solchen Menschen, welche sich nur mit dumpfem Grauen an ihre früheren Kenntnisse der Physik und der Kosmologie erinnern, einen spielerischen Einstieg ermöglichen. Dass er dann nebstbei auch mit einer gehörigen Portion Witz den Wissenschaftssprech und Amtsgeschäftigkeit gründlich auf die Schaufel nimmt, erweitert das Lesevergnügen. Auch eine im Berichtsstil verfasste Kurzeinleitung zu jedem Kapitel und die in wissenschaftlicher Betulichkeit verfassten teils hoch seriösen Fußnoten lassen einem das Buch kurzweilig und fast atemlos erlesen. Immer wieder viel Musik und Rhythmusgefühl in den verwendeten Spracharten, ein traumwandlerisch sicheres Gespür für den Wechsel aus Gag und berührender Poesie, das zeichnet "Karlas Lauf gegen die Raumzeit" aus. Und so wandeln wir fließend vom "straßenbahnalen" Koitus zur bewegenden Gedichtpassage - ohne dabei als Lesende überrumpelt oder übergangen zu werden. Als Kritikpunkt bleibt vielleicht anzumerken, dass es dem Verlag gut getan hätte, diesem schönen Buch mehr Platz und Papier zu widmen (Extrakt!), weil einige der berührenden Zeilen im Schriftbild doch zu gedrängt erscheinen, um ihre literarische Fülle entfalten zu können. In Summe: ein souveränes Spiel mit vielen Möglichkeiten der Sprache, ohne dabei manieristisch oder aufgesetzt zu wirken. Und viele, äußerst bewegende, poetische Zeilen inmitten von sowohl Leichtigkeit als auch Bedeutung. Und dann, plötzlich, beim Spazieren durch die Stadt, erheben auf einmal mehr und mehr Dinge rund um mich ihre vielfältige Sprache. So kam es mir jedenfalls vor, nach der Lektüre. (Tristan Jorde) Buch-Tipp: |
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