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clezio_nobelpreis08Der 1940 in Nizza (Frankreich) geborene und eng mit Mauritius verbundene Jean-Marie Gustave Le Clézio – dessen Romane häufig stark autobiografische Züge tragen – und der von sich sagt, "Die französische Sprache ist vielleicht meine einzige wirkliche Heimat", erhält den Literatur Nobelpreis 2008.

 

"Ich betrachte mich (selber) als jemand im Exil“, so der Autor in einem Gespräch 2001, "denn meine Familie ist ganz und gar mauritisch. Seit Generationen pflegen wir die mauritische Folklore, Küche, Kultur und mauritischen Legenden. Das ist eine sehr durchmischte Kultur, in der sich Indien, Afrika und Europa begegnen." Bekannt wurde Le Clézio bereits mit seinem Roman-Erstling "Le Procés-Verbal" [dt. "Das Protokoll"; Anm.] im Jahr 1963, das gleich nach seinem Erscheinen von der Kritik mit emphatischem Lob bedacht und mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet wurde. Im Zentrum dieses bizarren, "realistischen Märchens" - das sogar mit der (wenn auch leicht veränderten) typischen Märchen-Einleitung "Es war einmalchen" beginnt steht der 30-jährige Held Adam Pollo, der sich in einem leerstehenden Haus am Meer eingenistet hat, wo er, meist auf einem Liegestuhl in der Sonne ausgestreckt, zurückgezogen lebt, in einer Angstwelt "voller kindlicher Schreckgespenste", die er sich selbst erschaffen hat, um sein seelisches Gleichgewicht zu bewahren. Er lebt in einer Art "Antiexistenz" und in völliger Angespanntheit seiner Sinne, die ihn über die materialistische Ekstase letztlich zum Wahnsinn führt, oder wie es im Roman heißt: "Nichts im Gefüge dieser gebrechlichen Dinge sagte ihm mit Sicherheit, ob er aus dem Irrenhaus kam oder vom Militär."

Reisen auf die andere Seite

In den Folgejahren begab sich der Schriftsteller nach Panama und Neu-Mexiko, veröffentlichte weitere Romane, wie z.B. 1975 "Voyages de L'Autre Cóté" [dt. "Reisen auf die andere Seite"; Anm.], dessen Text in seiner rätselhaft anmutenden Zusammenhanglosigkeit im Gegensatz zu Literatur, die mimetische Wirklichkeitsdarstellung zum Ziel hat. Im Jahr 1980 veröffentlicht Le Clézio seinen mit dem von der Académie francaise verliehenen Grand Prix Paul Morand ausgezeichneten Roman "Désert" [dt. "Wüste"; Anm.] mit seinen clezio_wuestezwei Handlungssträngen, die auf unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelt sind, thematisch jedoch eine Einheit bilden. Zum einen erzählt der Roman von dem Leben marokkanischer Nomadenstämme, das durch das Eindringen der Kolonialmächte in den Jahren 1909 bis 1912 gewaltsam verändert wird: Auf die Unterwerfung der Nomaden folgt die verzweifelte Suche nach einem ihnen versprochenen fruchtbaren Terrain. Hunger und Durst machen diesen Traum von der Freiheit jedoch zunichte. Zum anderen steht die in der Gegenwart sich abspielende Geschichte der jungen und schönen Lalla, die in einem Dorf irgendwo an der marokkanischen Küste lebt, im Mittelpunkt. Ihr bis dahin erfülltes Leben findet ein jähes Ende, als sie sich auf die Flucht vor einem fremdem Mann begibt, der bei ihrer Amme mit Geschenken um sie wirbt. So gelangt sie nach Marseille und macht dort Erfahrungen, die in krassem Gegensatz zu ihrer Existenz in Marokko stehen. Der Autor übt mit diesem Roman indirekte, aber harte Kritik an der so genannten westlich zivilisierten Welt und wertet dabei Formen von "nicht zivilisierter", glücklich-naiver Existenz auf. In den letzten Jahren erschienen schließlich die mit autobiographischen Zügen versehenen Romane "Révolutions" [dt. "Revolutionen"; 2003; Anm.], "L'Africain" [dt. "Der Afrikaner"; 2004; Anm.] und 2006 sein bislang letzter Roman "Ourania" [dt. "Urania"; die Muse der Astronomie; Anm.], der noch auf deutsche Übersetzung wartet. Le Clézio in einem Interview auf "Ourania" Bezug nehmend: "Ich glaube, sehr früh von einem Ort geträumt zu haben, an dem man eine himmlische Harmonie verwirklichen konnte, und dieser Ort konnte, entgegen dem griechischen Mythos, nur das Gebiet einer Frau sein." (Manfred Horak; Foto: E. Feferberg)