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soriga_flavio_schwarzer_regenNuraiò. Ein verschlafenes Nest in Sardinien, in dem die Einwohner schlecht schlafen – und dies nicht nur, weil in Flavio Sorigas Roman der titelgebende "schwarze Regen" das Wetter und das Gemüt der Menschen beherrscht. 

Es geschah nie etwas in Nuriaò. 

Als die schöne Marta – Gegenstand des Tratschs und der Fantasien der Männer von Nuraiò – ermordet wird, scheint der Fall klar – immerhin bietet sich der betrogene Ehemann als Täter geradezu an. Doch Martas Liebhaber sind zahlreich: der junge Priester Antonio, der seinen Traum von der Fußballerkarriere nicht verwirklichen konnte, der alternde Nicola Rau, der seiner Jugend nachtrauert und natürlich die vielen Männer von Nuraiò, die nachts von Marta träumten. Bald ist Maresciallo Crissanti in einen Fall verwickelt, der auch ihn nicht mehr ruhen lässt. Als ihm sein Freund, der Philosoph von einer geplanten Mülldeponie und den damit verbundenen Geldflüssen erzählt, weiß Crissanti bald nicht mehr, wo ein Fall beginnt und der andere aufhört. Ausgerechnet er, der beinahe fertiger Anthropologe ist und der in seiner Freizeit gerne einen Joint raucht, muss sich nun im doch nicht so idyllischen Dörfchen um die Ermittlungen kümmern, in deren Verlauf sich die Geheimnisse und verborgenen Leidenschaften der Bewohner offenbaren.

Sie tranken ihr Bier, Stille trat ein, draußen regnete es noch immer.

Sorigas Sardinien ist kein sonniges Paradies, sondern eine kalte, unfreundliche Insel voller gescheiterter Leben und zerbrochener Träume – insofern überrascht es wenig, dass die lebenslustige Marta sterben musste, ist sie doch für die Einwohner von Nuraiò unerträglicher Zerrspiegel. Selbst der Kommissar ist ein Gescheiterter – die letzte Prüfung des Studiums hat er nie gemacht, hat Rom verlassen und ist in ein Leben voller Langeweile geflüchtet, in dem ihn nur noch das Lesen von alten Krimis und Gedichten ablenken kann.
Der Autor lässt in seinem Krimi all diese Personen zu Wort kommen, wechselt oft die Perspektiven und erschafft so eine Vielzahl von glaubwürdigen Charakteren. Dementsprechend oszilliert auch der Stil Sorigas: zerfahrene Traumsequenzen, Gespräche am Wirtshaustisch und Dialoge zwischen Verliebten haben in diesem vielfältigen Kriminalroman ebenso Platz wie philosophische und literarische Anspielungen.

Sein sizilianischer Schriftsteller, voller Skepsis und schreckliche Szenen beschreibend, verzweifelt und selbstgefällig, aber niemals dumm, altmodische Krimis, ohne geniale Lösung auf der letzten Seite.

Gleichzeitig reflektiert Soriga munter über den Krimi und die Literatur an sich, legt seinem Kommissar Dürrenmatt oder den sizilianischen Schriftsteller Leonardo Sciascia in den Mund und lässt ihn beim Kaffee über das Leben philosophieren – während der Regen kein Ende nimmt.
Der schwarze Regen ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman des 32-jährigen Flavio Soriga und überzeugt durch Stimmigkeit und eine dichte Atmosphäre. (Bernhard Pöckl)

Buch-Tipp:
Flavio Soriga - Der schwarze Regen
Bewertung: @@@@
Sammlung Luchterhand, München (2007)
Roman, Kartoniert, 221 Seiten
Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn
ISBN 978-3-630-62116-6