allende_inesmeinesherzens In ihrem Roman Inés meines Herzens folgt Isabel Allende den Spuren jener Spanierin, die als eine der wenigen Frauen an der Eroberung Chiles teilhatte. Von verschiedenen historischen Dokumenten inspiriert, gibt Isabel Allende der Frau eine Geschichte und Identität, deren Rolle in den Geschichtsbüchern Lateinamerikas meist stiefmütterlich behandelt wird. 

Wer ist Inés Suaréz? 

Als eine der ersten europäischen Frauen in Lateinamerika, begleitet Inés ihren Liebhaber Pedro de Valdivia in das noch unerforschte Chile. Mit nur wenigen Soldaten macht sich eine kleine Gruppe Spanier auf, um das fruchtbare Land zu erobern. Mit der, den Europäern eigenen Arroganz, vereinnahmt die spanische Expedition, im Namen der katholischen Kirche, das Land der chilenischen Ureinwohner. Die zahllosen kriegerischen Auseinandersetzungen - in denen die Indios zwar zahlenmäßig überlegen sind, jedoch gegen die gut ausgebildete spanische Miliz kaum etwas ausrichten können - verhärten den tief sitzenden Hass auf beiden Seiten. "Als wir nach Chile kamen, wussten wir nichts über die Mapuche, wir dachten es würde einfach sein, sie zu unterwerfen, schließlich war uns das mit weit zivilisierteren Völkern gelungen, mit den Azteken etwa oder den Inkas. Es dauerte Jahre, bis wir begriffen, wie gründlich wir uns getäuscht hatten. In diesem Krieg ist kein Ende abzusehen, denn wenn wir einen Toqui hinrichten, taucht sofort der nächste auf, und wenn wir einen ganzen Stamm ausrotten, drängt ein neuer aus den Wäldern und nimmt seinen Platz ein." In vielen kleinen Kriegen gelingt es den Spaniern immer wieder, sich gegen die Angriffe der Feinde zu verteidigen und die Stadt Santiago de Chile aufzubauen. Fasziniert von der Natur und dem Klima des Landes, widmet Inés sich ihrer neuen Aufgabe als Gouverneurin Chiles.

Inés Haltung zur geplanten Unterwerfung der Toqui ist gespalten: Einerseits lässt sie Mitleid mit den Mapuche erkennen, und gesteht ihnen ihren Freiheitsdrang und ihre Unabhängigkeit zu. Andererseits ist sie sich auch ihrer Aufgabe als Katholikin und als Untergebene der spanischen Krone bewusst. Die Berechtigung, diese Wilden zu missionieren und das Land unter der spanischen Krone zu regieren, ist von der katholischen Kirche - also von Gott -gegeben. Dies rechtfertigt auch ihre eigene Grausamkeit gegenüber den Mapuche: "Und ich packte das schwere Schwert mit beiden Händen, ließ es mit der Wucht meines Hasses auf den Kaziken niedergehen, der mir am nächsten stand, und trennte ihm mit einem Schlag den Kopf ab."

In einer Rückblende erzählt die greise Protagonistin Inés, Geliebte und Ehefrau des Gouverneurs von Chile um 1550, von ihrem abenteuerlichen Leben in der Neuen Welt und von den Schwierigkeiten der Unterwerfung der Mapuche - den Menschen der Erde-, den Entbehrungen und den Verlusten, die sie über die Jahre hinweg erleben musste; vom Aufbau Santiagos, und von den Reichtümern Chiles, die sich nicht in großen Goldvorkommen, sondern in einer wunderbaren Landschaft zeigen. "Mit eigenen Augen konnten wir uns von der gedehnten, degengleichen schlanken Gestalt dieses Landes überzeugen. Tal reiht sich an Tal, durchströmt von breiten Flüssen, die zwischen den Gebirgsketten und Vulkanen dem Meer entgegeneilen. Die Küste ist schroff, die Brandungen furchterregend und kalt; dichte, duftende Wälder ziehen sich über die Hügelketten, soweit das Auge reicht."

Neben der abenteuerlichen Reise nach Lateinamerika und Inés Rolle bei der Eroberung Chiles, spielen auch die Beziehungen der Conquistadora eine wichtige Rolle. Empanadas backend, Uniformen stopfend und mit der Gabe Wasser an ausgetrockneten Orten zu finden, ausgestattet, beginnt sie ein unabhängiges Leben in Peru zu führen. Dort verliebt  sie sich in den verheirateten spanischen Eroberer Pedro Valdivia, mit dem sie aufbricht, um das Land Chile zu erobern. Nicht immer gelingt es Allende, das Bild einer emanzipierten, starken Frau zu zeichnen. Denn um den Geliebten nicht bloßzustellen, schweigt sie in der Öffentlichkeit zu brisanten Themen. Und erst im stillen Kämmerlein versucht sie, mit den Waffen einer Frau, den Gouverneur in politischen Fragen zu beeinflussen.

Wie in der lateinamerikanischen feministischen Literatur gerade in Mode, widmet auch Isabel Allende ihren Roman einer historischen, wenn auch nicht allzu bekannten, Persönlichkeit. Dabei versucht sie, in einer Gratwanderung, die Eroberung Lateinamerikas aus der Sicht einer spanischen Conquistadora, die sich einerseits der spanischen Krone und der katholischen Kirche verpflichtet fühlt, andererseits ein emanzipiertes Leben führen will,  darzustellen. Die Ungerechtigkeiten gegen die Ureinwohner Chiles als Notwendigkeiten einstufend, fehlt der Figur die kämpferische Verteidigung der Gerechtigkeit, die Isabel Allendes Romane üblicherweise auszeichnen.

Wie in vielen Romanen Allendes, spielt auch in diesem die Magie, wenn auch nur im Hintergrund, eine Rolle. In einer Mischung aus europäischer Heilkunde und lateinamerikanischer Heilungsmagie, versucht sie die magische Welt Chiles mit der realen Welt Europas zu verbinden. Die faszinierende Natürlichkeit der Magie, die in Allendes Romanen die Leser/innen immer wieder in ihren Bann zieht,  mag in Inés meines Herzens nicht so recht aufkommen. Dennoch: Isabel Allende zeigt ihren Leser/innen wieder eine starke Frau, die ihren Weg geht und deren Identität nach so vielen Jahren nun endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. (Carina Kerschbaumsteiner) 

Buch-Tipp:
Isabel Allende - Inés meines Herzens
Bewertung: @@@@
Suhrkamp (2007)
Gebundene Ausgabe; 394 Seiten
Aus dem Spanischen von Svenja Becker

Link-Tipps:
Lesung Isabel Allende in Wien - die Kritik
Hannelore Hoger liest Inés meines Herzens von Isabel Allende